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Krise in Georgien:

Saakaschwili hat ausgespielt

Von Jelena Schesternina *

Als Michail Saakaschwili die Proteste gewaltsam beenden ließ und den Ausnahmezustand verhängte, zeigte er das wahre Gesicht der Demokratie in Georgien.

Und zwar nicht nur den Georgiern, sondern auch dem Westen.

Die Aufrufe, auf Gewalt zu verzichten, sind nicht nur aus Russland zu hören, sondern auch aus den Ländern, die zuvor als Saakaschwilis Hauptverbündete galten: EU, Ukraine und sogar den USA.

Der georgische Präsident hat einen verhängnisvollen Fehler gemacht: Jetzt hat er keine Chance, an der Macht zu bleiben. Die Opposition hat eine Pause eingelegt, die Straßen von Tiflis sind leer und der TV-Sender Imedi, das wichtigste Sprachrohr der georgischen Opposition, ist vom Bildschirm verschwunden. Doch das ist nur ein Zwischensieg, der den georgischen Präsidenten im Endeffekt zu einer Niederlage führen wird. Und das geschieht in jedem Fall - egal, in welchem Szenario sich die Ereignisse weiterentwickeln. Der Abtritt von Saakaschwili ist ab jetzt nur eine Frage der Zeit.

Es ist unmöglich, mit dem eigenen Volk unendlich Krieg zu führen, Wahlen stehen an. Und sie müssen durchgeführt werden. Die Wahlen ganz abschaffen kann Saakaschwili nicht, sonst belegt er endgültig die Errichtung einer Diktatur in Georgien. Nach den Ereignissen hat Saakaschwili alle Chancen, nicht nur die Parlaments-, sondern auch die Präsidentschaftswahl zu verlieren. Darüber konnte noch vor wenigen Monaten nicht die Rede sein. (Nach Massenprotesten gegen die Regierung hat Michail Saakaschwili überraschend vorgezogene Präsidentenwahlen für den 5. Januar 2008 angesetzt.)

Selbst wenn die Behörden die Wahlergebnisse fälschen wollen (die Regierungsgegner schließen das nicht aus), trifft es den Präsidenten noch härter. Nichts anderes als Wahlfälschung war vor vier Jahren der Grund für den Anfang der Rosenrevolution und den Sturz von Eduard Schewarnadse geworden.

Saakaschwili reagiert eindeutig mit Panik. Und das schon zwar viel früher, als er hätte aushalten können. Niemand konnte garantieren, dass die Ereignisse nach dem ukrainischen Szenario verlaufen würden und dass das Zeltlager, das die Oppositionellen vor dem Parlament errichten wollten, so lange stehen geblieben wäre, wie in Kiew im Herbst 2004.

Saakaschwili ist aus irgendeinem Grunde sicher, dass der einzige Weg aus der Patsche die Festigung der Nation angesichts der Bedrohung durch den „äußeren Feind“ sei. Zuerst erklärte er in seiner Fernsehansprache, dass die Opposition von „russischen Oligarchen“ gesponsert werde. Als das keine Wirkung erzielte, schob er die ganze Schuld dem russischen Geheimdienst in die Schuhe, mit dem die Oppositionsführer angeblich zusammengearbeitet haben sollen.

Der präsidentennahe Fernsehsender Rustawi-2 hatte kompromittierendes Material gezeigt. Doch die Aufnahmen sind etwas merkwürdig: Dass sich Mitarbeiter der russischen Botschaft mit georgischen Politikern treffen, ist kein Geheimnis. Dafür aber hat es sich herausgestellt, dass nicht nur die Telefone der russischen Botschaft abgehört werden (und zwar „legitim“, wie die georgischen Abgeordneten erklärt haben), sondern auch alle Politiker mit versteckten Kameras bespitzelt werden.

Das erste Video ist auf Mai 2005 datiert. Das heißt also, dass der georgische Sicherheitsdienst sich vorzeitig auf eine solche Wendung vorbereitet hatte. Die Tatsache, dass die Aufnahmen nicht bereits früher genutzt wurden, beweist eines: Dieses Mal hat Saakaschwili wirklich Angst, wenn er die letzte Karte zückt. Mehr hat er nichts vorzuweisen. Was sonst hätte ihm helfen können, wieder einmal einen diplomatischen Krieg mit Moskau zu entfachen, den georgischen Botschafter aus Russland abzuberufen und Mitarbeiter der russischen Botschaft auszuweisen. Doch solche „Maßnahmen“ können die inneren Probleme Georgiens nicht lösen. Das verstehen nicht nur Saakaschwilis Gegner (die übrigens auch nicht besonders rosige Beziehungen zu Moskau pflegen), sondern auch er selbst.

Auch Washington ist sich darüber im Klaren. Jedenfalls ist die jüngste Erklärung des US-Außenministeriums beileibe nicht die Reaktion, die der georgische Präsident erhofft hatte. US-Außenamtssprecher Sean McCormack erklärte nicht nur, dass Washington „das Recht der Bürger auf friedliche Proteste unterstützt“. McCormack sagte auch offen: Er könne „nichts über die Vorwürfe sagen, dass jemand außerhalb Georgien die Unruhen hervorrufe“.

Die Gegner des georgischen Präsidenten hatten in den vergangenen Monaten versucht, niemand anderes als den Westen - nicht Russland - auf ihre Seite zu locken. Mögen die russischen Politiker jetzt die „amerikanische Spur“ bei der Unterdrückung der neuen georgischen Revolution anführen - es ist der Opposition zumindest gelungen, bei der US-Regierung Bedenken hervorzurufen, ob die Demokratie á la Saakaschwili wirklich so gut ist, wie es bisher schien.

Die Meinung der Verfasserin muss nicht mit der von RIA Novosti übereinstimmen.

Quelle: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 9. November 2007


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