Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Von Afghanistan bis Georgien:

Positionskämpfe um die neue Weltordnung

Von Peter Strutynski *

Auch wenn sich der Konflikt um die abtrünnige georgische Provinz Südossetien in den letzten Monaten verschärft und zu gelegentlichen Scharmützeln geführt hatte, kam der Ausbruch des Krieges doch überraschend. Niemand hatte wohl dem georgischen Präsidenten Saakaschwili soviel Risikobereitschaft zugetraut, sich mit seiner militärischen Aggression mit einem um ein Vielfaches überlegenen Gegner anzulegen. Entsprechend fiel denn auch die Antwort des russischen Militärs aus: Der Aggressor wurde nicht nur aus Südossetien vertrieben, er wurde auch auf seinem eigenen Boden empfindlich getroffen und muss um seine politische Zukunft fürchten.

Es ist müßig darüber zu spekulieren, ob Saakaschwili zu seinem Angriff von den USA oder der NATO ermuntert wurde. Möglich ist immerhin auch, dass Saakaschwili mit seinem Alleingang die Solidarität der NATO herbei kämpfen wollte. Dass diese aus dem Krieg um Südossetien keinen casus belli für sich machte, war indessen von vorneherein klar. Nicht einmal Bush riskiert derzeit eine militärische Konfrontation mit Russland, das zwar von der NATO und der EU bewusst auf Distanz gehalten, aber als Bündnispartner im weltweiten "Krieg gegen den Terror" durchaus (noch) gebraucht wird. Dem widerspricht nicht, dass der kleine Kaukasuskrieg vom Westen massiv dazu genutzt werden wird, den Kreml als kriegslüsternes und machtgieriges Regime darzustellen, das eine Bedrohung für seine Nachbarn (insbesondere Georgien und Ukraine) darstellt, die wiederum des Schutzes durch die NATO, am besten durch eine Mitgliedschaft in ihr, bedürften.

Der kurze georgisch-russische Krieg war ein typischer "Stellvertreterkrieg". Die NATO weiß nun, wann für Russland die Grenze des Zumutbaren erreicht ist. Und Russland sollte wissen, welche Absichten die NATO und ihre Führungsmacht USA in der kaukasischen Region im Schilde führen.

Dabei könnte ein Blick nach Afghanistan hilfreich sein. Auch dieses Land hat nicht viel mehr zu bieten als eine für den Westen interessante geostrategische Lage. Dabei geht es nicht nur um die Kontrolle eines Territoriums, in dem bzw. durch das hindurch ein wichtiges Ölpipeline-Projekt realisiert werden soll: die Verbindung zwischen der öl- und erdgasreichen Kaspi-Region und dem Indischen Ozean -- gleichsam ein Bypass, um russisches Gebiet zu umgehen. Es geht auch um die strategische Lage Afghanistans: Das Land am Hindukusch grenzt im Süden an Pakistan (dahinter im Südosten folgt Indien) und im Westen an Iran. Russland im Norden ist nur durch die zentralasiatischen ehemaligen Sowjetrepubliken Turkmenistan, Usbekistan und Kasachstan getrennt. Und im Osten reicht ein schmaler Landkorridor bis an die Grenze Chinas, des großen Antipoden der USA und der Europäischen Union im Kampf um die knapper werdenden Energieressourcen der Erde. Afghanistan liegt also inmitten einer Region, in der nahezu die Hälfte der Menschheit lebt und die über zwei Drittel der weltweiten Öl- und Gasvorkommen verfügt. Afghanistan ist somit eine der begehrtesten strategischen Regionen der Erde, geradezu prädestiniert als eine Art terrestrischer Flugzeugträger und Stationierungsort für Radaranlagen und Raketenabschussrampen. Wer wollte hier nicht das Sagen haben?!

Die Konsequenz, mit der die USA in der Zeit der sowjetischen Besatzung Afghanistans alle Aufständischen mit Waffen und Logistik unterstützt haben und die Unerbittlichkeit, mit der die heutigen Besatzer um die Kontrolle des Landes kämpfen, weisen darauf hin, dass der Westen die Empfehlung des großen Strategen Zbigniew K. Brzezinski aus den 90er Jahren beherzigt: Für die "globale Vormachtstellung und das historische Vermächtnis Amerikas" werde es "von entscheidender Bedeutung sein", so können wir in seinem Buch "Die einzige Weltmacht" (1997) lesen, "wie die Macht auf dem eurasischen Kontinent verteilt wird". Der "eurasische Kontinent" - darunter verstand Brzezinski vor allem die Region vom Schwarzen Meer, dem Kaukasus und dem Kaspischen Meer bis nach Zentralasien -- ist also das "Schachbrett, auf dem sich auch in Zukunft der Kampf um die globale Vorherrschaft abspielen wird".

Daher rührt das Interesse Russlands, in Afghanistan zumindest indirekt einen Fuß in der Tür zu behalten. Auch nach dem Zerwürfnis mit der NATO wegen der akuten Georgienkrise teilte der Generalstab in Moskau mit, die Afghanistan-Kooperation mit Brüssel "stehe nicht zur Diskussion". Und der russische Botschafter bei der Nato, Dmitri Rogosin, wird in der "Iswestija" mit den Worten zitiert: "Uns käme eine Niederlage der Nato in Afghanistan nicht gelegen."

Nicht nur einen Fuß in der Tür, sondern freien Zugang wünscht sich der Westen (USA, NATO, EU) seinerseits im Kaukasus und der Schwarzmeerregion. Die Aufnahme der Ukraine und Georgiens in die NATO waren auf dem Bukarester Gipfel ausgemachte Sache. Der gescheiterte Versuch der dem Westen verpflichteten georgischen Führung, das ganze Land einschließlich Abchasiens und Südossetiens mittels eines Angriffskrieges unter Kontrolle zu bringen und die lästigen Russen heraus zu drängen, ist grandios gescheitert. Umso mehr werden USA und NATO versuchen, die Aufnahme Georgiens und der Ukraine in die NATO zu beschleunigen und damit den Ring um Russland auch vom Süden her noch enger zu ziehen.

Es ist verschiedentlich wieder in Mode gekommen, von einem neuen "Kalten Krieg" zu sprechen. Damit wird -- zu Recht -- die vom Westen konstruierte und unter dem Slogan vom "Antiterrorkrieg" betriebene Konfrontation mit der fundamentalistisch-islamischen Welt verstanden. Die jüngsten Ereignisse auf dem eurasischen "Schachbrett" rufen Erinnerungen an den für erledigt gehaltenen alten Kalten Krieg wach. Die seiner Zeit von George F. Kennan erfundene Eindämmungspolitik (Containment) gegenüber der Sowjetunion wird nur von einer möglicherweise härteren Variante abgelöst, für die Bezeichnungen wie Constriction (Einschnürung) oder gar Strangulation zutreffender sein dürften.

Sollte dies gelingen, könnte sich der Westen voll auf den Kontrahenten China konzentrieren. Denn Peking, das hat auch die Inszenierung der Olympischen Spiele gezeigt, möchte in der neuen Weltordnung eine eigenständige Rolle spielen.

* Peter Strutynski, Politikwissenschaftler; Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag

Der beitrag erschien in der Sozialistischen Wochenzeitung "unsere zeit" vom 29. August 2008



Zurück zur Georgien-Seite

Zur Russland-Seite

Zur Kaukasus-Seite

Zur NATO-Seite

Zur Afghanistan-Seite

Zur Seite "Neue Weltordnung"

Zurück zur Homepage