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Neues aus Georgien/Südossetien: Keine Rede von Waffenruhe

Georgische Truppen drin - Russische Truppen raus - Internationale Truppen rein?

Wahrscheinlich hat sich der georgische Präsident Michail Saakaschwili die Lösung des Problems mit dem autonomen Gebiet Südossetien einfacher vorgestellt. Nun sind sogar wieder Menschenopfer zu beklagen - und dies nach einem vereinbarten Waffenstillstand. Hierzu zunächst zwei Agentgurmeldungen "von der Front":
Am 16. August 2004 meldete die Nachrichtenagentur AFP:
In der zu Georgien gehörenden abtrünnigen Region Südossetien ist es trotz einer Waffenruhe in der Nacht zum Montag zu heftigen Kämpfen gekommen, dabei wurden nach Angaben des georgischen Innenministeriums zwei georgische Friedenssoldaten getötet. Nach seinen Informationen habe es auf südossetischer Seite mindestens 15 Tote gegeben, berichtete Ministeriumssprecher Guram Donadse am Montag in Tiflis. Von den südossetischen Behörden gab es dafür zunächst keine Bestätigung. Die georgischen Friedenstruppen machten die südossetische Seite für den erneuten Bruch der seit Samstag geltenden Waffenruhe verantwortlich. Bereits in der Nacht zum Sonntag hatten sich beide Seiten heftige Schusswechsel geliefert, bei denen nach Angaben aus Tiflis sieben georgische Soldaten verletzt wurden.

Und am 18. August 2004 meldete dieselbe Agentur:
Bei neuen Kämpfen in der abtrünnigen Republik Südossetien sind Medienberichten zufolge drei georgische Soldaten getötet worden. Fünf weitere seien bei den Gefechten am Dienstagabend [17. August] verletzt worden, berichtete der georgische Fernsehsender Ruzawi 2 am Mittwoch [18. August]. Derweil erklärten beide Seiten, eine "dritte Kraft" von "unkontrollierbaren", gut ausgerüsteten Kämpfern versuche, die Region zu destabilisieren. Georgische und ossetische Soldaten suchten nach diesen Bewaffneten, um sie hinter Gitter zu bringen, sagte ein russischer Vertreter einer Vermittlungsgruppe. Auch der georgische Verteidigungsminister Georgi Baramidse sprach von einer "gut bewaffneten" Gruppe von 15 bis 20 Männern in dem Gebiet. Diese hätten in der Nacht auf Positionen beider Seiten geschossen.

Und auch die folgende Meldung ist interessant:
Angesichts neu aufgeflammter Kämpfe in Südossetien hat der georgische Präsident Michail Saakaschwali einen internationalen Militäreinsatz in der nach Unabhängigkeit von Georgien strebenden Kaukasusregion gefordert. Damit sollten politische Verhandlungen eingeleitet und der Konflikt zwischen Georgien und der international nicht anerkannten Republik Südossetien "dauerhaft beigelegt werden", schrieb der Präsident in einem Beitrag für das "Wall Street Journal Europe" (Ausgabe vom 17. August 2004). (AFP)

Über die jüngste Entwicklung in diesem georgischen Krisengebiet informieren nachfolgend zwei Artikel der letzten Tage.

Brüchige Waffenruhe

Von Knut Mellenthin

Im Streit zwischen Georgien und seinem autonomen Gebiet Südossetien, das seit mehr als zehn Jahren seine Unabhängigkeit verteidigt, gab es in der Nacht zum vergangenen Freitag erstmals Tote. Drei georgische Soldaten starben bei den seit Tagen anhaltenden Schießereien.

Der Hintergrund: Im Süden des autonomen Gebiets, der sogenannten Konfliktzone, gibt es eine Anzahl Dörfer mit überwiegend georgischer Bevölkerung. Sie liegen wie ein Riegel um die südossetische Hauptstadt Zchinwali, von der sie zum Teil nur etwa zehn Kilometer entfernt sind. Seit Michail Saakaschwili und seine Nationalbewegung im vorigen November die Macht in Tbilissi übernahmen, hat Georgien seine militärische Präsenz in diesen Dörfern massiv ausgeweitet, unter anderem durch Soldaten der von US-amerikanischen Offizieren ausgebildeten Eliteeinheiten. In einem der Dörfer, Eredwi, hat Georgien ein militärisches Hauptquartier errichtet, das direkt dem Befehl von Innenminister Irakli Okruaschwili untersteht, der sich dort auch oft demonstrativ aufhält. In den vergangenen Wochen wurde Zchinwali fast täglich von den Georgiern unter Artilleriebeschuß genommen; die Südosseten schossen zurück.

Gemäß der Vereinbarungen, die 1994 nach schweren Kämpfen geschlossen wurden, dürfen sich in der "Konfliktzone" nur Soldaten der Friedenstruppe aufhalten, die aus je 500 Russen, Georgiern und Südosseten besteht. Mitte Juli einigten sich die Konfliktparteien zur Beendigung der militärischen Konfrontation darauf, alle zusätzlich und illegal in der Zone operierenden Einheiten abzuziehen. Das betraf außer den georgischen Polizisten und Soldaten auch Hunderte Freiwillige, die aus Nordossetien, Abchasien und anderen Teilen des Kaukasus nach Südossetien gekommen waren, um bei der Verteidigung des Landes gegen Georgien zu helfen.

Während jedoch diese Freiwilligen, wie selbst von Tbilissi offiziell bestätigt, sofort Südossetien verließen, hat Georgiens Regierung bisher noch nicht einmal damit begonnen, seinen Teil der Abmachung zu erfüllen. Inzwischen wird die Anwesenheit georgischer Streitkräfte in der Konfliktzone damit gerechtfertigt, daß man die eigene Bevölkerung vor einer drohenden "ethnischen Säuberung" schützen müsse. Aufgrund der Zuspitzung der Kämpfe in der vorigen Woche hat Tbilissi Hunderte Frauen und Kinder evakuieren lassen.

Nachdem es nun erstmals mehrere Tote gegeben hatte, wurde am Freitag ein Waffenstillstand vereinbart, der um Mitternacht in Kraft treten sollte. Für das Wochenende waren Verhandlungen über konkrete Maßnahmen zur Beendigung der Konfrontation, wie etwa die Errichtung zusätzlicher Kontrollposten der trilateralen Friedenstruppe, vorgesehen. Obwohl es zunächst hieß, nach Mitternacht seien zum ersten Mal seit Tagen keine Schüsse mehr zu hören gewesen, meldete Georgien am Sonnabend, daß sieben seiner Soldaten bei Gefechten verletzt worden seien.

Öl ins Feuer goß Innenminister Okruaschwili mit der Warnung, falls die südossetische Seite noch einmal das Feuer eröffnen sollte, werde er "persönlich Rache nehmen". Der Minister hatte schon früher mehrfach angedroht, sich an die Spitze georgischer Einheiten zum Sturm auf Zchinwali zu stellen. Dort richtet man sich inzwischen auf Verteidigung ein. Alle wichtigen Gebäude wurden mit Sandsäcken geschützt, auf den Straßen patrouillieren Bewaffnete.

Aus: junge Welt 16.08.2004

Schnelles Ende der Waffenruhe

Von Knut Mellenthin

Der am vergangenen Freitag geschlossene Waffenstillstand in der von Georgien abgefallenen Republik Südossetien hat nicht gehalten. Sechs georgische Soldaten sind bisher ums Leben gekommen. Die südossetische Seite gibt keine genauen Verlustzahlen bekannt.

Die Kämpfe drehen sich offenbar um die Kontrolle über die wichtigsten Verbindungswege in der sogenannten Konfliktzone, dem unmittelbar an Georgien grenzenden Teil Südossetiens. In diesem Gebiet gibt es mehrere Dörfer mit überwiegend georgischer Bevölkerung, die wie ein Belagerungsring um die südossetische Hauptstadt Zchinwali liegen. Georgien hat in den letzten Monaten unter Bruch aller Abmachungen mehrere tausend Polizisten und Soldaten in der Konfliktzone stationiert. Eine Mitte Juli getroffene Vereinbarung, die den sofortigen Abzug dieser Kräfte vorsah, hat Georgien nicht eingehalten.

Der georgische Innenminister Irakli Okruaschwili hat jetzt einen seltsamen Handel vorgeschlagen: Falls drei Tage lang Waffenruhe herrscht, sei Tbilissi bereit, ein Drittel seiner Streitkräfte aus der Konfliktzone zurückzuziehen. Sollte sogar länger als drei Tage nicht geschossen werden, würde Georgien ein Drittel der übrigen Truppen abziehen. Die südossetische Seite hat jedoch schon Ende vergangener Woche deutlich gemacht, daß sie auf dem sofortigen Abzug aller illegal in der Konfliktzone stationierten georgischen Kräfte besteht.

Die diplomatischen Bemühungen der georgischen Regierung konzentrieren sich derzeit darauf, die USA und die EU für eine öffentliche Unterstützung ihrer Position zu gewinnen und die Einberufung einer "internationalen Konferenz" durchzusetzen. Worum es letztlich geht, hat eine Resolution deutlich gemacht, die in der vorigen Woche bei nur drei Gegenstimmen vom Parlament in Tbilissi angenommen wurde: Die 500 Mann starken russischen Friedenstruppen sollen aus Südossetien abgezogen und durch "internationale" Einheiten - vermutlich der Organisation für Europäische Sicherheit und Zusammenarbeit, (OSZE) - ersetzt werden.

Das geht aber im Moment anscheinend selbst der US-Regierung zu weit: Sie setzt sich dafür ein, über die Entschärfung der Krise weiter in der Gemeinsamen Kontrollkommission (JCC) zu verhandeln, in der neben den beiden Konfliktparteien Rußland und Nordossetien vertreten sind. Die JCC kam am Dienstag bereits zu einer Sondersitzung in Tbilissi zusammen.

Aus: Junge Welt 18.08.2004


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