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Schmutziger Wahlkampf in Georgien

Die Kandidaten für das Präsidentenamt setzen vor allem auf Kompromittierung des Gegners

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Musik auf der Hörfunk-Frequenz, das Fernsehen sendet statt politischer Talkshows wieder Schwarzbild. So wie Anfang November, als Spezialeinheiten der georgischen Polizei nach Massenunruhen in der Hauptstadt Tbilissi die Studios von »Imedi« stürmten, dem Sprachrohr der Opposition.

Diesmal ist jedoch nicht die Regierung schuld, sondern akuter Personalmangel. Zehn »Imedi«-Journalisten kündigten seit Wochenbeginn. Begründung: Sie seien es leid, als Geiseln im Machtgerangel herhalten zu müssen. Denn der Gründer und Mehrheitsaktionär von »Imedi«, Badri Patrkazischwili, tritt bei den vorgezogenen Präsidentenwahlen am 5. Januar gegen Michail Saakaschwili an. Der, von der »Revolution der Rosen« 2003 als Hoffnungsträger an die Macht gespült, musste, nachdem die Polizei im November Massenproteste mit Tränengas und Wasserwerfern auflöste, zurücktreten und Neuwahlen anberaumen.

Die Chancen dafür, dass er sein Amt bei dem bevorstehenden Votum verteidigen kann, stehen dennoch nicht schlecht. Vereinigt ist Georgiens Opposition nur dem Namen nach, ihr gemeinsamer Kandidat, der 43-jährige Unternehmer Lewan Gatschetschiladse, wird nur von neun Parteien unterstützt. Mehrere politische Schwergewichte gehen mit eigenen Bewerbern ins Rennen. Dazu kommen Einzelkämpfer wie Patrkazischwili. Der Wahlkampf ist extrem kurz. Saakaschwilis Herausforderer, allen voran Patrkazischwili, setzen daher auf eine Schlammschlacht wie im Russland der Jelzin-Ära. Auf »Kompromat«: Belastungsmaterial, das die Konkurrenz in den Augen der Wähler kompromittieren soll.

Den Anfang machte Patrkazischwili, der seinen Wahlkampf bisher aus dem Londoner Exil führt. Dienstag vergangener Woche erklärte er in einem Interview für russische Medien, er müsse bei der Einreise nach Georgien um sein Leben fürchten. Um ihn zu »neutralisieren«, habe Saakaschwili ihm zunächst angeboten, den TV-Sender »Imedi« zu übernehmen und für den Verkauf eine »astronomische Summe« geboten. Er, Patrkazischwili, habe jedoch abgelehnt. Daraufhin habe Saakaschwili entschieden, ihn in London umbringen zu lassen oder während einer Wahlkampfreise in Georgien seinen Hubschrauber abzuschießen. Für den Anschlag seien tschetschenische Separatisten gedungen worden. Kopien der Aufzeichnungen von diesbezüglichen Gesprächen spielte Patrkazischwili britischen Medien zu.

Parlamentschefin Nino Burdschanadse, seit Saakaschwilis formellem Rücktritt Ende November amtierende Präsidentin, warnte bei einer Fernsehansprache vor einem Putsch, als dessen Drahtzieher die Geheimdienste Patrkazischwili enttarnt hätten. Das Staatsfernsehen legte mit Material der Staatsanwaltschaft nach. Dabei ging es um ein konspiratives Treffen, bei dem Wahlkampfhelfer Patrkazischwilis Beamten des Innenministeriums eine Belohnung von 100 Millionen Dollar in Aussicht stellten, wenn diese bei Massenprotesten wegen gefälschter Wahlergebnisse alles zugeben und danach Innenminister Wano Merabischwili, einen der engsten Vertrauten von Saakaschwili, verhaften würden. Die Beamten sollen die Unterredung mit versteckter Kamera aufgezeichnet und das Material danach bei der Staatsanwaltschaft abgeliefert haben.

Beobachter befürchten, der Krieg der »Kompromate« könnte nach der Abstimmung in neue Zusammenstöße münden. Auf beiden Seiten wachse die Gewaltbereitschaft. Soziologen indes rechnen mit sehr niedriger Wahlbeteiligung. Die Georgier hätten das Gerangel ihrer Eliten satt, so einer der ehemaligen »Imedi«-Journalisten, und würden Saakaschwili und Patrkazischwili »die Pest an den Hals wünschen«.

* Aus: Neues Deutschland, 28. Dezember 2007


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