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Sanfter Wechsel in Tbilissi

Georgien hält an Westintegration fest und will Beziehungen zu Rußland zaghaft normalisieren

Von Knut Mellenthin *

Georgien erlebt einen Regierungs- und Machtwechsel. Das neue Parlament bestimmte am Donnerstag mit 88 gegen 54 Stimmen den Multimilliardär Bidsina Iwanischwili zum Premierminister und bestätigte sein Kabinett. Das Ergebnis deutet darauf hin, daß drei Abgeordnete der Opposition mit der Mehrheit gestimmt und daß sich einige andere enthalten haben. In dem am 1. Oktober gewählten Parlament ist das von Iwanischwili geführte Parteienbündnis Georgischer Traum mit 85 und die Vereinigte Nationalbewegung, die die Kaukasusrepublik seit 2004 allein regiert hatte, mit 65 Abgeordneten vertreten.

Präsident Michail Saakaschwili und ein Klan enger Weggefährten hatten Georgien in den vergangenen achteinhalb Jahren mit Methoden geführt, die nicht immer den üblichen Vorstellungen von Demokratie, Meinungsfreiheit und Gesetzlichkeit entsprachen. Unter den Anhängern des Wahlsiegers ist der Wunsch, einige der ihrer Ansicht nach Hauptschuldigen vor Gericht zu bringen, weit verbreitet. Die Regierungen der USA und der EU-Granden hatten in den vergangenen Wochen große Anstrengungen unternommen, um eine möglichst konfliktfreie Machtübergabe sicherzustellen.

Saakaschwili kann das mit weitgehenden Befugnissen ausgestattete Präsidentenamt noch bis zum Oktober 2013 ausüben. Zur dann anstehenden Wahl darf er nicht wieder antreten, da er schon zwei Amtszeiten hinter sich hat. Außerdem wird in einem Jahr eine noch unter dem alten Regime beschlossene Verfassungsänderung in Kraft treten, die die Rechte des Präsidenten zugunsten des Parlaments beschneidet. Im Wahlkampf hatte Saakaschwili die Opposition als von Rußland gekaufte Landesverräter beschimpft. Nach der Niederlage seiner Nationalbewegung betont er die Notwendigkeit, die Vergangenheit ruhenzulassen und konstruktiv zusammenzuarbeiten.

Der Regierung gehören künftig drei Frauen an, darunter Außenministerin Maia Pandschikidse, die früher Botschafterin in Deutschland und in den Niederlanden und zuletzt Sprecherin des Georgischen Traums war. Sie ist außerdem, in Georgien nicht untypisch und schon gar nicht unwesentlich, Schwägerin des 38jährigen neuen Verteidigungsministers Irakli Alasania, eines ehemaligen Weggefährten von Saakaschwili, der im Dezember 2008 zur Opposition stieß.

Daß persönliche Beziehungen bei der Ämterbesetzung in Georgien eine ungewöhnlich große Rolle spielen, zeigt vor allem die Besetzung des Innenministeriums mit dem erst 30jährigen Irakli Garibaschwili. Nach seinem Studienabschluß an der Pariser Sorbonne war er schon vor acht Jahren in die Dienste Iwanischwilis getreten, hatte unter anderem eine von diesem gegründete karitative Stiftung geleitet, und gilt seit einiger Zeit als engster Mitarbeiter und Vertrauter des Milliardärs. Dem neuen Kabinett gehören andererseits, ein ungewöhnliches Signal, auch zwei Minister an, die schon unter dem 2003 von Saakaschwili gestürzten früheren Präsidenten Eduard Schewardnadse im Amt gewesen waren.

Iwanischwili wird am Ziel seines Vorgängers, Georgien möglichst schnell in die NATO zu bringen, festhalten. Gleichzeitig hat er aber auch versprochen, er wolle die seit dem Krieg vom August 2008 abgebrochenen Beziehungen zu Rußland normalisieren. Das klingt allerdings in den Worten seiner frischgebackenen Außenministerin eher lustlos: »Irgendeine Art von Beziehungen zu Rußland muß zwangsläufig beginnen«, sagte sie am Freitag und setzte hinzu, Georgien werde die diplomatischen Beziehungen nicht wieder aufnehmen, »solange Moskau Botschaften in Tschinwali und Suchumi - den Hauptstädten der Republiken Südossetien und Abchasien - hat.«

Nach einen raschen Erwärmung des Verhältnisses klingt das nicht.

* Aus: junge Welt, Samstag, 27. Oktober 2012


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