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Weiter auf Westkurs

Regierung und Opposition Georgiens einigen sich auf Außenpolitik-Grundsätze

Von Knut Mellenthin *

Georgien bleibt auf Westkurs und lehnt diplomatische Beziehungen zu Rußland ab. Das ist Teil der »Resolution zu den Grundlinien der georgischen Außenpolitik«, die am Donnerstag einstimmig vom Parlament der Kaukasusrepublik verabschiedet wurde. Der Text war zuvor in langen Verhandlungen zwischen dem seit Oktober vorigen Jahres regierenden Parteienbündnis »Georgischer Traum« und der nach neun Jahren Alleinherrschaft in die Opposition geschickten »Vereinigten Nationalbewegung« von Präsident Michail Saakaschwili ausformuliert worden. Die Einigung sei nicht leicht gewesen, erklärte ein maßgeblich an den Diskussionen beteiligter Vertreter der Nationalbewegung. Die Resolution sei »ein Ergebnis gegenseitiger Kompromisse«.

Der »Georgische Traum« hatte der Opposition schon im Januar vorgeschlagen, eine programmatische Stellungnahme zur Außenpolitik durchs Parlament beschließen zu lassen. Dadurch sollten vor allem im westlichen Ausland Zweifel und Spekulationen über einen »pro-russischen« Kurs nach dem Regierungswechsel ausgeräumt werden. Es ist kein Geheimnis, daß solches Mißtrauen gerade von Saakaschwili und seiner entmachteten Führungsclique systematisch verbreitet und von republikanischen US-Politikern wie Senator John McCain unterstützt wird. Die Nationalbewegung hatte damals auf das Angebot mit dem Gegenvorschlag reagiert, die Orientierung des Landes auf NATO und Europäische Union durch eine Verfassungsergänzung festzuschreiben. Der »Georgische Traum« lehnte diese Idee zwar nicht prinzipiell ab, argumentierte aber, daß zuerst eine Befassung des Parlaments mit dem Thema stattfinden sollte.

Am 21. Februar kündigte der Generalsekretär der Nationalbewegung, Wano Merabischwili, der bis zum Machtwechsel Premierminister gewesen war, für den 19. April eine Großkundgebung seiner Partei im Zentrum der Hauptstadt Tbilissi gegen die, wie er es nannte, »verschwommene Position« der neuen Regierung in Fragen der Außenpolitik an. Alle »Patrioten, unabhängig von ihrer parteimäßigen Orientierung«, seien aufgerufen, der Regierung zu zeigen, »daß wir uns für den europäischen Weg entschieden haben und nicht nach Rußland zurückwollen«. Ob die Nationalbewegung an diesem Vorhaben trotz der Einigung auf die Parlamentserklärung festhalten will, ist bisher nicht bekannt. Im Gespräch ist außerdem eine gemeinsame außenpolitische Stellungnahme des neuen Regierungschefs Bidsina Iwanischwili und des noch bis Oktober amtierenden Präsidenten Saakaschwili. Das würde dem Drängen westlicher Politiker auf eine sichtbare »konstruktive« Zusammenarbeit zwischen Regierung und Opposition, die sich bisher eher feindlich gegenüberstehen, Rechnung tragen.

Die jetzt vom Parlament verabschiedete Resolution stellt fest – was ohnehin niemand ernstlich in Frage gestellt hatte –, daß die »Integration in die europäischen und euro-atlantischen Strukturen«, insbesondere das Streben nach Mitgliedschaft in NATO und EU, die »Hauptpriorität« der georgischen Außenpolitik bleibt. Bestätigt wird darüber hinaus, was auch nicht wirklich zweifelhaft war, daß ¬Georgien sich, gemessen an seiner Bevölkerungszahl weit überdurchschnittlich, auch künftig an »internationalen Friedenseinsätzen« wie in Afghanistan beteiligen will.

Interessanter sind die Punkte der Resolution, die die Normalisierungspolitik der neuen Regierung gegenüber Rußland eingrenzen sollen. Saakaschwili hatte im August 2008 nach dem von ihm selbst begonnenen Krieg die diplomatischen Beziehungen abbrechen lassen. Die gemeinsame Erklärung des Parlaments schreibt vor, daß diese auch künftig nicht wieder aufgenommen werden dürfen, solange Rußland die Unabhängigkeit der Republiken Abchasien und Südossetien unterstützt, die sich in der ersten Hälfte der 1990er Jahre von Georgien getrennt hatten. Die Resolution schließt außerdem einen erneuten Beitritt Georgiens zur postsowjetischen Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) aus.

* Aus: junge Welt, Montag, 11. März 2013


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