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Georgischer Alptraum

Verteidigungsminister nach Schmiergeldskandal gefeuert

Von Knut Mellenthin *

Das georgische Regierungsbündnis, das vor zwei Jahren die Alleinherrschaft von Michail Saakaschwilis Nationalbewegung ablöste, bröckelt. Die am schärfsten prowestlich orientierte Partei des Bündnisses, die der Freien Demokraten, hat am Mittwoch ihren Austritt aus der Koalition erklärt.

Das Drama begann am 28. Oktober mit der überraschenden Verhaftung von einem ehemaligen und vier aktiven Funktionären des Verteidigungsministeriums und des Generalstabs. Ihnen wird die Veruntreuung öffentlicher Gelder vorgeworfen. Hauptsächlich geht es um umgerechnet 1,82 Millionen Euro, die bei einem Auftrag an die größte Firma für Telekommunikation des Landes, Silknet, zum gegenseitigen Nutzen der Beteiligten »verlorengegangen« sein sollen. Der stellvertretende Verteidigungsminister Alexi Batiaschwili, der den Kontrakt unterzeichnete, ist mit dem Finanzdirektor von Silknet eng verwandt. Das ist in Georgien, wo ein unterentwickelter Kapitalismus immer noch von traditionellen Klan-Strukturen überwuchert wird, kein ungewöhnliches Szenario.

Als seine Leute verhaftet wurden, befand sich Verteidigungsminister Irakli Alasania gerade auf Dienstreise in Paris, von wo er nach Berlin weiterflog. Bei seinen Verhandlungen mit französischen und deutschen Regierungspolitikern ging es vor allem um die »Stärkung der georgischen Verteidigungsfähigkeit«, also vermutlich um Waffenlieferungen und Ausbildungshilfe. Nach Tbilissi zurückgekehrt, legte Alasania los: Die Verhafteten seien »völlig unschuldig« und hätten sein uneingeschränktes Vertrauen, da er persönlich die Kooperation mit Silknet genau überwacht habe. Die Ermittlungen seien »offensichtlich politisch motiviert« und stellten einen »Angriff auf Georgiens euro-atlantische Orientierung« dar.

Daraufhin gab Regierungschef Irakli Garibaschwili am Dienstag die Entlassung Alasanias bekannt. Eine Stunde später trat der Minister für europäische und euro-atlantische Integration, Alexi Petriaschwili, zurück. Er gehört den von Alasania gegründeten und geführten Freien Demokraten an, die bisher Teil des aus sechs Organisationen bestehenden Regierungsbündnisses »Georgischer Traum« waren. Am Mittwoch erklärte auch Außenministerin Maja Pandschikidse ihren Rücktritt. Sie ist zwar nicht Mitglied der Freien Demokraten, dafür aber eine Schwester von Alasanias Ehefrau.

Am selben Tag verließ Alasanias Partei die Allianz Georgischer Traum. Falls alle zehn Abgeordneten der Freien Demokraten sich diesem Schritt anschließen, würde die Regierungskoalition ihre Mehrheit verlieren. Das könnte sich vor allem bei der Abstimmung über den Haushalt negativ auswirken. Eine Rückkehr der Nationalbewegung an die Macht ist dennoch unwahrscheinlich: Sie hält nur 51 der insgesamt 150 Parlamentssitze, und keine der anderen Fraktionen scheint zu einer Koalition mit Saakaschwilis Leuten bereit. Alasania hat das für seine Freien Demokraten bereits explizit ausgeschlossen.

Der gefeuerte Verteidigungsminister war von September 2006 bis Dezember 2008 Georgiens Vertreter bei der UNO in New York. Seit dieser Zeit steht er in Kontakt zu allen wichtigen Kreisen der USA. Richard Norland, amerikanischer Botschafter in Tbilissi, erklärte Alasania nach dessen Entlassung »unser volles Vertrauen«. Die Sprecherin des US-Außenministeriums, Jen Psaki, forderte die Regierung der transkaukasischen Republik am Mittwoch in ungewöhnlich scharfem Ton auf, »Zweifel am georgischen Justizsystem zu zerstreuen« und »zu beweisen, dass sie unseren gemeinsamen demokratischen Werten verpflichtet ist«.

Trotz der einseitigen Parteinahme Washingtons steht außer Zweifel, dass die Westorientierung in Georgien kein Diskussionsthema ist. »Prorussische« oder auch nur neutralistische Kräfte gibt es dort nicht. Unterschiede könnte es aber im Grad der Eifers geben, mit dem der NATO georgische Dienste angeboten werden. Alasania wirkte auf diesem Gebiet oft überengagiert.

* Aus: junge Welt, Freitag, 7. November 2014


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