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Vor der Tür

Parlamentswahl in Südossetien. Die Republik hofft vorerst vergeblich auf Anschluß an Rußland

Von Knut Mellenthin *

In Südossetien wird am Sonntag ein neues Parlament gewählt. Das Gebiet hatte sich 1990 von Georgien losgesagt, nachdem die Nationalisten in Tbilissi illegal ihren Austritt aus der Sowjetunion verkündeten, »regionale« Parteien verboten und Georgisch zur einzigen Amtssprache erklärten. Nachdem Georgien im August 2008 eine Militäroperation startete, um Südossetien gewaltsam zurückzuerobern, erkannte Rußland endlich die Selbstständigkeit der kleinen Republik – sie ist etwas größer als Luxemburg, hat aber nur etwa 70 000 Einwohner – an. International folgten dem Moskauer Schritt bisher nur Nicaragua und Venezuela.

Um die 34 Sitze des Parlaments in Tschinwali bewerben sich neun Parteien. Nach einer Umfrage, die ein einheimisches Informationszentrum vor einem Monat durchführte, ist zu erwarten, daß »Einiges Ossetien« von Anatoli Bibilow am Sonntag mit 35,4 Prozent vorne liegen wird. Die Partei wurde erst vor zwei Jahren gegründet und ist daher noch nicht im Parlament vertreten. Dieselbe Umfrage sieht auf den Plätzen zwei und drei »Neues Ossetien« von David Sanakojew mit 25,8 Prozent und die Kommunistische Partei mit 8,7 Prozent.

»Einiges Ossetien« hatte im Januar einen – vergeblichen – öffentlichen Vorstoß bei Präsident Leonid Tibilow unternommen, um zu erreichen, daß zugleich mit der Parlamentswahl auch ein Referendum über den Beitritt Südossetiens zur Russischen Föderation stattfinden sollte. Einheimische und internationale Beobachter rechnen damit, daß dieses Thema nach der bevorstehenden Wahl verstärkt diskutiert werden wird. In diesem Sinn äußerte sich auch Tibilow, der sich im vorigen Jahr von einem Gegner des Anschlusses an Rußland zu einem Befürworter wandelte. Ohnehin haben Umfragen und Abstimmungen schon seit den frühen 1990er Jahren gezeigt, daß gleichbleibend über 90 Prozent der Südosseten lieber heute als morgen die Vereinigung mit dem zu Rußland gehörenden Nordossetien und den Beitritt zur Föderation wünschen.

Viel zu bedeuten hat das jedoch nicht. Alle Politiker und Parteien Südossetiens wissen ganz genau, daß die russische Führung einen solchen Schritt nicht will. Zum einen aus Sorge wegen der westlichen Reaktionen. Zudem aber auch, weil nicht nur die katastrophale Wirtschaftslage der kleinen Republik, sondern auch deren teilweise kriminelle Strukturen eine Integration in den russischen Staatsverband nicht attraktiv erscheinen lassen. Putins Berater Wladislaw Surkow, der zugleich auch sein Sonderbeauftragter für Südosse­tien und Abchasien ist, verwies deshalb sogar südossetische Wünsche, sich der Eurasischen Zollunion von Rußland, Belarus und Kasachstan anzuschließen, ins Reich der Phantasie.

Indessen hat sich die Lage in Abchasien, wo oppositionelle Demonstranten am 27. Mai den Amtssitz von Präsident Aleksandr Ankwab, mehrere Regierungsgebäude und den staatlichen Fernsehsender besetzt hatten, wieder beruhigt. Nachdem das Parlament den Präsidenten am 29. Mai zum Rücktritt aufgefordert und ein – rechtlich jedoch unverbindliches – Mißtrauensvotum gegen Premier Leonid Lakerbaia beschlossen hatte, dankten am folgenden Tag Ankwab und kurz darauf auch der Regierungschef ab. Die Neuwahl des Präsidenten soll am 24. August stattfinden.

Die russische Regierung hatte Surkow als Vermittler nach Suchumi geschickt, um die Krise möglichst schnell und ohne größere Schäden zu beenden. Das Moskauer Außenministerium gab nach Ankwabs Rücktritt eine Erklärung ab, in der er dafür gelobt wurde, »eine gewaltsame Entwicklung der Ereignisse verhindert« zu haben, die »zweifellos zu höchst tragischen Folgen geführt hätte«. Der Expräsident wird »Sicherheitsgarantien« erhalten, die ihn vor Strafverfolgung wegen der ihm vorgeworfenen Vergehen – Korruption, Verschwendung und Machtmißbrauch – bewahren sollen. Das hielt ihn jedoch nicht davon ab, die Opposition in seiner Rücktrittserklärung mit schwersten Vorwürfen zu überhäufen.

* Aus: junge Welt, Freitag, 6. Juni 2014


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