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Beginn der afrikanischen Dekolonialisierung: Vor 50 Jahren wurde Ghana unabhängig - Musterland mit Schattenseiten

Der 6. März ist Feiertag für Afrikas Unabhängigkeitsbewegung – trotz bestehender Probleme

Von Thomas Nitz, Cape Coast *

Unter der Führung von Kwame Nkrumah erreichte die damalige Goldküste am 6. März 1957 ihre Unabhängigkeit und wurde damit zum Fanal für die Befreiungsbewegungen des gesamten Kontinents. Doch steht das westafrikanische Ghana heute wirtschaftlich kaum besser da als zum Zeitpunkt seiner Unabhängigkeit.

Seit Wochen bewegte die Stadtväter von Cape Coast vor allem ein Thema: Die fristgerechte Fertigstellung des Jubilee Square. Rund um die Uhr wurde gearbeitet. Denn der Termin ist nicht irgendein Datum, sondern der 6. März 2007. Heute vor 50 Jahren erlangte Ghana unter Kwame Nkrumah als erster Staat südlich der Sahara seine Unabhängigkeit. Und der Jubilee Square ist nicht irgendein Prestigeobjekt, nein, es ist der zentrale Austragungsort der Jubiläumsfeier in der Zentralregion Ghanas, eine Verpflichtung also. Präsident John Agyekum Kufuor höchstselbst wird erwartet und mit ihm zahlreiche Staatsgäste aus dem Ausland.

Das Land am Golf von Guinea gilt zwar als Musterland für Demokratisierung und eine neoliberale Wirtschaftspolitik, nach wie vor jedoch gehört es zu den ärmsten Staaten der Erde. Ghana hängt am Tropf internationaler Geber, Internationaler Währungsfonds (IWF) und Weltbank diktieren die Richtlinien in Politik und Wirtschaft. Nicht viel anders als vor 50 Jahren stützt sich die Wirtschaft auf den Export von gerade einmal drei Produkten: Kakao, Gold und Edelhölzer. Eine Industrialisierung ist nur in Ansätzen gelungen. Der im Jahr 2000 und 2004 gewählte Präident J.A. Kufuor war angetreten, seinem Land durch die strikte Förderung der Privatwirtschaft neuen Schwung zu geben. Der liberal-konservative Politiker gilt als zuverlässiger Entwicklungspartner und Liebling von IWF und Weltbank. Er schaffte es innerhalb von vier Jahren, die Wirtschaft anzukurbeln und Wachstumsraten von sechs Prozent zu erreichen. Gleichzeitig drückte er die Inflation auf einen fast einstelligen Wert. Rechtstaatlichkeit, Pressefreiheit, eine gesunde parlamentarische Opposition, zahlreiche Infrastrukturprojekte, die Verabschiedung eines millionenschweren Pakets zur Verbesserung der Energieversorgung kennzeichnen seine Politik. Die Einbeziehung der traditionellen Herrscher in den politischen Entscheidungsprozess stärkt dabei Kufuors Position nach innen. Denn die Traditionen der zahlreichen Ethnien Ghanas sind wichtig für die Identität fast aller Menschen in diesem Land. Der Einfluss ihrer Könige oder Chiefs gerade auf kommunaler Ebene ist ungebrochen.

Knapp zehn Millionen Menschen (etwa die Hälfte der Bevölkerung) haben in Ghana kaum mehr als einen Dollar am Tag zum Leben. Zwar wurde von der Regierung im Februar 2002 die »Ghana Poverty Reduction Strategy« verabschiedet, eine Strategie, die unter anderem der Bekämpfung der Armut höchste Priorität einräumt. Nennenswerte Erfolge stehen jedoch noch aus.

Zunächst einmal musste der Privatsektor einen herben Rückschlag hinnehmen, als der von IWF und Weltbank vorgeschriebenen Öffnung der Märkte ein Angebotsüberschuss aus der EU, den USA und China folgte. Viele einheimische Unternehmen waren dieser Billigkonkurrenz nicht gewachsen und gingen daran zugrunde. Ghana hingegen wartet noch immer auf ein Einlenken der EU für einen besseren Zugang seiner Produkte auf den europäischen Markt.

Der Staat bleibt trotz seiner neoliberalen Direktiven die treibende Kraft in der Wirtschaft. Die Privatisierung von unrentablen Staatsbetrieben, ein Relikt aus der Ära Nkrumah, kommt kaum voran. Wie auch, wenn ein investitionsfreudiger Mittelstand fast völlig fehlt und das wenige Kapital sofort ins Ausland fließt. 2004 erfüllte Ghana die Kriterien für das Entschuldungsprogramm für hoch verschuldete Staaten von IWF und Weltbank. Dies entlastete den Staatshaushalt vom größten Teil seiner Schulden. Ghana ist insgesamt immer noch ein Agrarland, nur etwa ein Viertel des Wirtschaftsvolumens entfällt auf die Industrie. Dabei dient die traditionelle Landwirtschaft fast ausschließlich der Selbstversorgung (Subsistenzwirtschaft) und zeigt eine alarmierend geringe Produktivität. Die schlechten Einkommensmöglichkeiten im lohnabhängigen Bereich haben dazu geführt, dass der informelle Sektor heute fast die Hälfte der ghanaischen Wirtschaft ausmacht. Man lebt vom Kleinhandel, von der Hand in den Mund. Für Rücklagen, Sicherheiten oder gar Investitionen reicht es nicht. All zu oft müssen Kinder durch den Verkauf von Erfrischungen oder Snacks zum Unterhalt der Familie betragen. Zeit für die Schule bleibt da kaum.

Doch hat Ghana im Gegensatz zu seinen Nachbarn einen entscheidenden Standortvorteil: Frieden. In seiner wechselvollen Geschichte hat es zahlreiche Krisen, Militärdiktatoren, Autokraten und inkompetente, korrupte Politiker erlebt, gegen Bürgerkrieg, marodierende Rebellen oder Milizen scheint das Land jedoch immun. Die Menschen in Ghana wissen um diesen Vorteil und sind stolz darauf. Und bei allen Sorgen und Nöten, dieser Tag gehört einzig den Menschen in Ghana, ihrer Freude über die Unabhängigkeit, ihrer Musik, ihrem Lachen und ihrem unerschütterlichen Optimismus.

* Aus: Neues Deutschland, 6. März 2007


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