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Die große Krise

Geldmangel kennt Ghana auch ohne Finanzkrise. Viele arbeiten für eine Mahlzeit am Tag, obwohl die Weltrezession noch gar nicht in ihrem Land angekommen ist

Von Martin Ling, Cape Coast *

Wer bietet mehr? Um über 50 Prozent hat Ghanas Börse 2008 bereits zugelegt -- mutmaßlich Weltrekord. Auch die »Realwirtschaft« wächst seit Jahren um über sechs Prozent, und 2009 soll sich das Wachstum nur leicht abschwächen. Beträchtliche Ölfunde, die spätestens ab 2010 Milliarden an Devisen in Ghanas Staatskassen spülen sollen, runden das auf den ersten Blick günstige Bild ab. Nur hat ein Großteil der Bevölkerung davon rein gar nichts. Die Mehrheit der Ghanaer ärgert sich über steigende Preise für Grundnahrungsmittel und Benzin, statt sich über den Wirtschaftsaufschwung freuen zu können.

Hoffen auf Ölmilliarden

Ein bisschen Schadenfreude kann er sich nicht verkneifen: Die USA sind in der Rezession, Europa ist in der Rezession, aber hier ist von einer Krise nichts zu spüren. Godfrey Gyan, der seinen wahren Namen nicht verraten will, ist leitender Manager des Kaneshie-Marktes in Accra. Er sieht optimistisch in die Zukunft. Auf sechs Millionen Dollar schätzt er den Jahresumsatz des Marktes in dem weiträumigen dreistöckigen Gebäude im Westen der ghanaischen Hauptstadt. Das Geschäft brummt. Gravierende Beeinträchtigungen durch die Weltfinanzkrise fürchtet Gyan auch im kommenden Jahr nicht. Wahrscheinlich werde es wegen der globalen Kreditklemme für die Regierung wieder schwieriger, internationales Kapital aufzutun. Zuletzt war das für Ghana trotz seit Jahren beträchtlicher Handels- und Haushaltsdefizite kein Problem. 2007 wurde auf dem internationalen Kapitalmarkt eine Staatsanleihe von 750 Millionen Dollar platziert und über mangelnde Nachfrage musste sich das Land nicht beklagen -- die Käufer standen Schlange. Hohe Wachstumsraten und die Aussicht auf die Öleinnahmen, die der Präsidentschaftskandidat der Regierungspartei Neue Patriotische Front (NPP), Nana Akufo-Addo, mit 15 Milliarden Dollar in den kommenden fünf Jahren veranschlagt, hatte die Kreditwürdigkeit Ghanas in die Höhe schnellen lassen.

Laut Gyan hat sich die wirtschaftliche Lage seit dem Antritt des Präsidenten John Agyekum Kufour im Januar 2001 merklich verbessert. Das zeige zum Beispiel die Entwicklung der Börse, an der fast nur heimisches Kapital investiert wird. In Zeiten der Weltfinanzkrise ein großer Vorteil, denn wo kein ausländisches Kapital ist, kann es auch nicht abgezogen werden. Die Inflationsrate und die Zinssätze seien zwar hoch, aber deutlich unter denen der Ära von Jerry-John Rawlings, der mit einer kurzen Unterbrechung von 1979 bis Ende 2000 regiert hatte. Damals hätte es mitunter Voodoo-Ökonomie gegeben, mit kurzfristigen Zinssätzen, die über den langfristigen lagen. Nun laufe die Wirtschaft rund. Ghana sei der zweitgrößte Kakao- und Goldexporteur der Welt und die Ölfunde von 2007 böten ebenfalls Anlass für rosige Aussichten. Unübersehbare Armut

Die Gegenwart stellt sich derweil für die Mehrheit der 24 Millionen Ghanaer in weit weniger schönen Farben dar. Zwar befindet sich das westafrikanische Land laut der »Übersicht über Ghanas Lebensstandard 2007« auf einem passa-blen Weg, was die Bekämpfung der Armut angeht: Demnach hat sich der Anteil der Bevölkerung, der von weniger als einem US-Dollar pro Tag überleben muss, von 51,7 Prozent im Jahre 1991 auf 28,5 Prozent im Jahre 2006 verringert. Doch abgesehen davon, dass die Weltbank 2008 die Schwelle für absolute Armut auf 1,25 Dollar erhöht hat, ist die relative Armut in Ghana unübersehbar. 13 Stunden im Laden

»Ich stehe jeden Morgen um drei Uhr auf, bade das Baby, kümmere mich um das Kleinkind und den Haushalt, so dass ich um sechs Uhr meinen Laden öffnen kann. Oft bis abends um neun bin ich dort beschäftigt. Trotzdem komme ich auf keinen grünen Zweig«, schildert Monica ihren Alltag. Ihr Laden ist ein kleiner Container, auf dem ein großes MTN prangt, der Name einer Telekommunikationsfirma. Monicas Hauptgeschäft ist es, Mobiltelefone aufzuladen. Der Kunde nennt die gewünschte Aufladungssumme und seine Mobilnummer, Monica leitet die Daten per SMS weiter und kassiert das Geld, der Kunde hat wieder ein Guthaben auf dem Konto. Außerdem bietet Monica Kleinigkeiten zum Essen und Trinken an. Der Renner ist wie überall im tropischen Ghana in Gefrierbeuteln abgepacktes Trinkwasser für umgerechnet vier oder fünf Cents den halben Liter.

Mit den Plastikbeuteln hat die Regierung vor Jahren das hygienische Problem beseitigt, das mit dem offenen Ausschenken von Wasser in Tassen verbunden war. Dafür hat sie sich jetzt ein Umweltproblem eingehandelt, denn die leeren Wasserbeutel werden durch schlichtes Wegwerfen entsorgt und verunzieren so Stadt und Land.

»So viel ich auch arbeite, es fehlt immer an Geld, es reicht gerade mal für eine richtige Mahlzeit am Tag«, erzählt Monica oder Munira, wie sie seit der Heirat mit einem Muslim auch heißt. Dabei gehört sie mit ihrem kleinen Shop sicher nicht zu den Ärmsten der Armen.

Die seit Jahresbeginn massiv gestiegenen Energie- und Nahrungsmittelpreise machen fast allen Ghanaern arg zu schaffen. Seit Jahren wurde der Benzinpreis alle drei Monate angehoben, erst der jüngste Ölpreisverfall sorgte für eine Kehrtwende von ungewisser Dauer. »47 000 Cedis kostet eine Gallone (3,785 Liter) Benzin, am Ende von Rawlings waren es gerade mal 5500 Cedis«, entrüstet sich einer. Unter Rawlings wurde Benzin noch kostspielig subventioniert, unter dem marktliberalen Musterschüler Kufour aber wurden die Subventionen erheblich gekürzt. Streng genommen kostet eine Gallone 4,7 neue Cedis, was rund vier Dollar entspricht, denn bei der Währungsreform 2007 wurden vier Nullen gestrichen. Der besseren Übersicht über die Preisentwicklung halber rechnen die Ghanaer aber nach wie vor in alten Cedis.

Der Benzinpreis schlägt durch steigende Transportkosten voll ins Kontor: Nicht nur die Mobilitätskosten, auch die Lebensmittelpreise schnellen hoch, zumal das Land rund die Hälfte seines Fleisch- und Gemüsebedarfs importiert. Nicht zuletzt eine Folge der Agrarmarktliberalisierung, die Ghana noch unter der Ägide von Rawlings durch den Internationalen Währungsfonds aufgezwungen wurde. Als selbst der marktliberale Kufour 2003 ein Gesetz zum Schutz der Landwirtschaft für unabdingbar ansah, wurde er vom IWF und von der EU mit dem Hinweis auf in Aussicht stehende, aber noch nicht bewilligte Kredite und Schuldenerlasse gebremst. Der Musterschüler gab nach und die Bevölkerung zahlt bis heute den Preis.

* Martin Ling ist ND-Redakteur und beschäftigt sich unter anderem mit Afrika und Entwicklungspolitik.

Aus: Neues Deutschland, 6. Dezember 2008



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