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Farmer Cole und die Bio-Ananas

Wie ein Farmer aus Ghana den Weg aus Armut und Hunger schaffte

Von Thomas Nitz, Accra *

James Benjamin Cole steht mit einem breiten Lächeln vor dem Wirtschaftsgebäude seiner Farm. In seinen Händen ein Karton erntefrischer Ananas. Der Ghanaer hat geschafft, wovon Millionen Kleinbauern in Afrika träumen: Er hat den Selbstversorgungsbetrieb seiner Familie zu einem erfolgreichen Agrarunternehmen ausgebaut, das hauptsächlich biologische Ananas, daneben auch Papaya und Mango für den ghanaischen und den internationalen Markt produziert.

Ähnlich wie Cole wirtschaften mehr als drei Fünftel aller afrikanischen Landwirte – nur weniger marktorientiert. Auf kleinen Familienfarmen werden Grundnahrungsmittel für den Eigenbedarf angebaut. Oft wird nur ein minimaler Überschuss verkauft. Meist sind die Erträge so gering, dass die Landwirtschaft lediglich eine Säule in der Überlebensstrategie einer Familie darstellt. Diese kleinbäuerliche, für Afrika typische Ökonomie wurde von den afrikanischen Regierungen und der Entwicklungspolitik des Nordens lange vernachlässigt. Zudem wurden den Bauern kaum Anreize zur Steigerung ihrer Produktion geboten. Im Gegenteil, in einigen Ländern werden die Landwirte gezwungen, die Ernten an staatliche Handelsgenossenschaften unter dem Marktpreis zu verkaufen. Investitionen in Technik oder Hochertragssorten zahlen sich da kaum aus. Wenig Wasser, kaum Maschinen

Neben der Produktion für den Eigenbedarf gibt es so genannte crash crops – für den internationalen Markt bestimmte Landwirtschaftserzeugnisse wie Kakao, Bananen, Kaffee, Baumwolle, Tee, Erdnüsse, Obst oder Blumen. Diese Kulturen werden in der Regel auf Großplantagen produziert, die oft von europäischen Gesellschaften oder vom Staat kontrolliert werden. Obwohl viele afrikanische Länder auf den Export der crash crops ihre Wirtschaft aufbauen, zeichnet sich auch dieser Sektor durch einen Mangel an modernen Produktionsmittel und eine entsprechend geringe Produktivität aus. So liegen die Getreideernten in Afrika um 66 Prozent unter dem internationalen Durchschnitt.

Dass es nicht besonders gut um Afrikas Landwirtschaft steht, weiß auch James Benjamin Cole. Auf keinem anderen Kontinent gibt es weniger landwirtschaftliche Maschinen als in Afrika. Nur ein Prozent der Anbauflächen sind bewässert. In Asien sind es 40 Prozent. Eine nennenswerte Agrarforschung existiert bis heute in Afrika nicht. Viele afrikanische Länder verlieren 40 Prozent und mehr ihrer landwirtschaftlichen Produktion, weil es an Kühlanlagen, an Konservierungsmethoden, an Silos und Speichern fehlt und Schädlinge die Ernten vernichten. Hinzu kommen politische Krisen und Konflikte, unklare Besitzverhältnisse, Korruption und innerafrikanische Zölle auf Agrarprodukte, auf Dünger und Maschinen.

Dabei ist kein anderer Kontinent so abhängig von der Landwirtschaft wie Afrika. Etwa 70 Prozent der Afrikaner leben auf dem Land und sind mit der Landwirtschaft verbunden, steuern aber nur 22 Prozent der Wirtschaftsleistung des Kontinents bei. Im weltweiten Vergleich hinkt die Produktivität der afrikanischen Landwirtschaft hinter allen anderen Regionen hinterher. Die Erträge können mit dem Bevölkerungswachstum schon längst nicht mehr mithalten, so dass die Mehrzahl der afrikanischen Staaten auf Importe von Agrarprodukten angewiesen ist. In Afrika werden jährlich etwa 30 Millionen Tonnen mehr Lebensmittel verzehrt als produziert.

Was aber macht der Farmer Cole anders? Cole hatte die Möglichkeit, in Wales an der Cardiff Business School Betriebswirtschaft und Management zu studieren. Jahrelang war er als Manager in einem internationalen Nahrungsmittelkonzern tätig. Mit guten Kontakten und dem entsprechenden Know-how ausgestattet, modernisierte er die Farm seiner Familie.

Von Anfang an war klar, dass der kleine Betrieb gegen subventionierte Agrarüberschüsse aus den USA und Europa selbst auf den heimischen Märkten keine Chance hätte. Also suchte Cole nach Alternativen. »In Europa sah ich das wachsende Interesse an biologischen Produkten«, sagt Cole. »Ich war besorgt über die soziale Situation in den Nachbardörfern meiner Heimat und sah gleichzeitig die Exportmöglichkeiten für biologische Produkte.«

Coles Familienbetrieb Eloc-Farms (Cole rückwärts gelesen) arbeitet eng mit einem Kleinbauernverband zusammen. Die Vorteile einer solchen Kooperative liegen auf der Hand: Kleinbauern haben gewöhnlich kaum Zugang zu den internationalen Märkten. Eloc-Farms übernimmt den Export, gleichzeitig können die Bauern mit einem viel größeren Gewicht etwa bei Vertragsverhandlungen auftreten. Zudem werden sowohl die Mitarbeiter von Eloc-Farms als auch die benachbarten unabhängigen Farmer in den Methoden des biologischen Anbaus und in Möglichkeiten zur Verbesserung der Produktqualität geschult. »Wir nutzen unsere traditionelle Wirtschaftsweise und verbessern sie mit kommerziell sinnvollen, biologischen Methoden. Das Ergebnis sind unsere ersten zertifizierten biologischen Ananas«, sagt Cole.

Skepsis gegen »grüne Revolution«

Einen ähnlichen Ansatz verfolgt der US-Ökonom und UN-Sonderberater für die Millennium-Entwicklungsziele, Professor Jeffrey Sachs. Mit privaten Spenden und UNO-Hilfe baut sein Institut 78 so genannte Millenniumsdörfer als Modellprojekte in zehn afrikanischen Ländern auf. Dort soll getestet werden, welche Maßnahmen in den verschiedenen Klima- und Vegetationszonen funktionieren. Das Projekt kostet nicht mehr als 75 Dollar pro Kopf und Jahr. Das Geld kommt direkt bei den Menschen an – in Form von Mineraldünger, Trinkwasserbrunnen, Dieselgeneratoren, Impfungen zur Bekämpfung von Infektionskrankheiten, Moskitonetzen gegen Malaria und AIDS-Medikamente. Der Erfolg spricht für Sachs: Bereits im ersten Jahr haben sich die Ernteerträge vervielfacht, die Malariafälle gehen drastisch zurück und viel mehr Kinder besuchen die Schule. Ob sich dieses Modell, das in einzelnen Dörfern funktioniert, auf einen Staat oder sogar auf einen ganzen Kontinent ausweiten lässt, ist höchst umstritten.

Von chemischen Produktionshilfen wie Kunstdünger hält Cole hingegen wenig. »Ich bemerkte die schädliche Auswirkung der landwirtschaftlichen Chemie auf die Gesundheit der Leute. Dies war für mich der Anlass, nach Alternativen zu suchen«, sagt er. Auch eine »grüne Revolution« – die von der durch Rockefeller- und Bill-Gates-Stiftung ins Leben gerufenen Allianz für eine Grüne Revolution in Afrika gefordert wird – sei für Afrika nicht der richtige Weg, meint Cole. Mit Hightech-Saatgut, Dünger, verbesserten Anbaumethoden und einer funktionierenden landwirtschaftlichen Infrastruktur sollen Afrikas Bauern für die Herausforderungen und Chancen der Globalisierung wettbewerbsfähig gemacht werden. Für Cole würde eine solche »grüne Revolution« Afrika zum Absatzmarkt und Versuchslabor für die internationalen Agrarchemiekonzerne machen und vielen unabhängigen Kleinbauern die Existenz rauben.

Wie auch immer die Entwicklung der afrikanischen Landwirtschaft aussehen mag, es wird ein langwieriger Prozess. Der Bedarf an Investitionen ist riesig. Das schafft Afrika nicht allein, meint Jeffrey Sachs und fordert von Europa und den USA Finanzmittel, um die Nahrungsmittelproduktion der ärmeren Länder anzukurbeln. Aber vor allem müssen die Regierungen in Afrika mitziehen. Einen ersten Schritt haben die NEPAD-Staaten (New Partnership for Africa’s Development) mit der Maputo-Erklärung getan. Darin verpflichten sich die Mitglieder, bis 2010 den Anteil der Agrarausgaben in den nationalen Budgets auf zehn Prozent zu erhöhen. Zur Unterstützung dieser Initiative wurde das Comprehensive Africa Agricultural Development Programme eingerichtet, mit dem abgestimmte agrarpolitische Rahmenbedingungen in den Mitgliedsländern durchgesetzt werden sollen.

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung wertet die steigenden Preise für Nahrungsmittel als Chance und als Anreiz für die afrikanischen Landwirte, die Produktion auszuweiten und gleichzeitig als Anreiz für die afrikanischen Regierungen, mehr in Forschung und Entwicklung zu investieren. Denn das ungenutzte Potenzial der Landwirtschaft ist enorm. Viele Regionen in Afrika produzierten nur die Hälfte oder ein Drittel dessen, was möglich wäre, meint Jeffrey Sachs. EU-Entwicklungskommissar Louis Michel geht noch weiter: Seiner Meinung nach werde in Afrika nur zehn Prozent dessen hergestellt, was möglich wäre. Das internationale Markforschungsinstitut Frost & Sullivan sieht in Afrika sogar eine mögliche Lösung für die internationale Nahrungsmittelknappheit.

Vielleicht liegt die Zukunft der afrikanischen Landwirtschaft in solchen starken Kooperativen, wie sie James Benjamin Cole ins Leben gerufen hat. Kooperativen, in denen sich die Bauern gegenseitig unterstützen, so wie es der traditionellen solidarischen Ökonomie Afrikas entspricht.

* Aus: Neues Deutschland, 9. Dezember 2008


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