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Kirsche im Ouzo

Gastkommentar: BRD-Solidarität mit Griechenland

Von Pierre Lévy *

Es sei für die Griechen »nicht zu spät für ein Wort des Dankes und der Anerkennung für die Solidarität der Deutschen und aller Europäer«, teilte FDP-Generalsekretär Patrick Döring per Bild am Sonntag-Interview mit. Die Hellenen haben also noch eine Chance. Voraussetzung ist aber laut Döring u.a., daß der griechische Staatspräsident zur Mäßigung beiträgt, »anstatt die Konflikte anzuheizen«.

Auf dessen Aufregung über den deutschen Vorschlag, in Athen einen Sparkommissar zu stationieren, antworten »die Deutschen« jetzt demnach mit freundschaftlichen Initiativen. Dazu zählt, wie der Wirtschaftswoche zu entnehmen war, die Absicht der Berliner Regierung, 160 Finanzbeamte nach Griechenland zu schicken. Die Eingeborenen sollen lernen, wie ein modernes System des Steuereintreibens eingerichtet ist.

Solche Großzügigkeit ist zu begrüßen. Sie verschließt allen Skeptikern den Mund und demonstriert, in welchem Maß Europa sozial und solidarisch ist. Angesichts derartiger Selbstlosigkeit sollten sich Groll und Vorurteile, die auf griechischem Boden gegen Deutschland noch bestehen, in Luft auflösen. Sollten. Aber leider ist das nichts weniger als sicher. Bekannt ist, daß die Griechen jahrzehntelang ein opulentes Leben mit Champagner und Kaviar führten, daß sie außerordentlich beschränkt und jähzornig sind und daß sie das, was einige Rädelsführer unaufhörlich »Einmischung« nennen, nur lustlos unterstützen. Die Bewohner eines Landes, in dem der Begriff »Demokratie« nie richtig verstanden wurde, sind offen für absurde Debatten über »Souveränität«. Es gibt dort einfach zu viele, die noch nicht begriffen haben, daß Staaten nunmehr voneinander abhängig, »interdependent« sind. Jedenfalls hindert derartiger Konservatismus sehr stark die europäischen Industriellen und Finanziers, die es sich angelegen sein lassen, die Ökonomie vernünftig zu regeln.

Kurz, es wäre unklug, die unglücklichen deutschen Beamten ohne Absicherung dorthin zu schicken. Und an diesem Punkt wird die Berliner Idee bemerkenswert: Um ein soziales Europa zu gestalten, bedarf es der ergänzenden Erprobung eines Europas der Verteidigung. Denn – offen gesagt – die »Kampfgruppen« der EU vergehen vor Langeweile wegen Mangels an Einsätzen. Sie bilden zwar in Uganda Soldaten aus, um Somalia die Zivilisation zu bringen, aber das geschieht weitab gegen Barbaren.

Diesmal könnten die EU-Militärs in den Städten und Dörfern Attikas, auf dem Peloponnes und in Mazedonien Posten beziehen, um den humanitär-fiskalischen Einsatz zu schützen. Die Kirsche im Ouzo: Einige umsichtige Geostrategen haben bemerkt, daß Athen – von Berlin aus gesehen – auf der Strecke nach Damaskus liegt. Wie sagte Angela Merkel am 26. Januar in Le Monde? Europa wird beweisen, daß es »die Welt gestalten« kann.

* Pierre Lévy ist Redakteur der Zeitung Bastille-République-Nation in Paris.

Aus: junge Welt, 5. März 2012 (Gastkommentar)



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