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Oben und unten

Auf dem Athener Syntagma-Platz organisieren sich die »Empörten« Griechenlands. Täglich Tausende vor dem Parlament

Von Heike Schrader, Athen *

Es gibt ein oben und ein unten bei den »Empörten«, die sich seit nunmehr zehn Tagen an Athens Syntagma-Platz versammeln. Oben, auf der Straße direkt vor dem Parlament, decken jeden Abend Tausende über Stunden hinweg das Gebäude ihrer »Volksvertreter« mit dem typisch griechischen Fluch der ausgestreckten Hand und mit größtenteils nicht zitierfähigen Parolen ein, während gleichzeitig Dutzende grüne Laserstrahlen über die hermetisch verschlossenen Rolläden des Gebäudes tanzen. Die Laser kann man direkt vor Ort von Händlern erwerben, genauso wie Trillerpfeifen, Tröten und griechische Fahnen. Letztere werden jedoch nur von wenigen geschwenkt.

Drängt man sich durch die Menge die Stufen auf den eigentlichen Platz herab, wechselt die Atmosphäre. Unten geht es weniger darum, den Politikern zu zeigen, was man von ihnen hält, als vielmehr um die eigenen Bedürfnisse und darum, was man tun kann, um diese zu erfüllen. In den wenige Tagen, die die »Empörten« hier verbringen, ist auf dem Platz so etwas wie eine kleine Gemeinde entstanden. »Zwischen dem ersten Tag und heute ist ein Unterschied wie Tag und Nacht«, sagt Panos, der in der Mediengruppe aktiv und vom ersten Tag an dabei ist. Aus dem anfänglichen Ziel, den Frust von der Seele zu schreien, sind erste Keime einer selbstorganisierten Zukunftsvision entstanden. Etwa 50 Zelte beherbergen inzwischen dauerhaft bleibende, mehr als ein Dutzend Arbeitsgruppen zur praktischen Organisation des Lebens hier, für Propaganda und Agitation, für Kunst und Kultur von unten und natürlich für die Ausarbeitung von Forderungen, Strategien und Aktionen haben sich gebildet. Mitmachen kann jede und jeder, entschieden wird basisdemokratisch auf Versammlungen, die alltäglich in den Abendstunden stattfinden. Die Entscheidungen jeder Gruppe werden ins große Plenum getragen, das von 21.00 Uhr bis tief in die Nacht tagt. Hier haben alle anderthalb Minuten Rederecht. Viele beschränken sich auf wenige Sätze, was der Diskussion etwas twitterartiges verleiht. Die Reihenfolge der Beiträge wird durch Los entschieden. Das Protokoll der Vollversammlung und ihre Entscheidungen werden im Internet veröffentlicht.

Es ist keine einheitliche »linke Szene«, die sich hier versammelt. Vieles ist widersprüchlich, die Unterschiede groß. Einige verteilen beispielsweise Flugblätter, auf denen die Verwendung öffentlicher Gelder für das jährliche Lesben- und Schwulenfestival angeprangert wird, während andere eben dieses Festival auf den Platz einladen wollen. Insgesamt aber zeichnet sich eine Entwicklung in fortschrittlicher Richtung ab. So wurde beispielsweise von der Vollversammlung ein Beschluß zur Solidarität mit allen laufenden und zukünftigen Streiks gegen die alten und neuen »Sparmaßnahmen« beschlossen.

Parteien aber, darin ist man sich einig, werden auf dem Platz nicht geduldet. Als Person ist jede und jeder willkommen, als gleiche unter gleichen akzeptiert. Ein Avantgardeanspruch jedoch, wie ihn die meisten der linken Parteien vertreten, wird abgelehnt, ganz zu schweigen von dem korrupten Feilschen um Posten und Vorteile bei den Systemparteien. Ein Ansatz, der von vielen der Linken und Autonomen zumindest akzeptiert wird. Auf dem Syntagmaplatz gehe es darum, sich »wie ein Fisch im Wasser zu bewegen und nicht wie die Fliege in der Milch aufzufallen«, heißt es beispielsweise auf dem Athener Internetportal von Indymedia. Und so findet man eben auch Menschen aus fast allen der über 40 kleinen linken und kommunistischen Parteien in den Arbeitsgruppen und Diskussionsrunden auf dem Platz. Nur die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) ist eher spärlich vertreten, denn »wenn deren Anhänger hier wären, wäre der Platz doppelt so voll«, wie ein »Empörter« treffend vermerkt. Die KKE begrüßt zwar den neu entstandenen Widerstand, fordert aber dazu auf, sich in den Reihen der Partei als organisierter Kraft zu sammeln und arbeitet weiterhin bevorzugt an eigenen Aktionen. So besetzten am Freitag morgen Hunderte Mitglieder der parteinahen Gewerkschaftsfront PAME das griechische Finanzministerium an dem sie ein riesiges Transparent mit einem Aufruf zum Generalstreik herabließen.

* Aus: junge Welt, 4. Juni 2011


"Ökonomisch ist das eine Katastrophe"

Der Druck auf Griechenland nimmt zu, noch mehr Sparmaßnahmen zu beschließen. Ein Gespräch mit Axel Troost **

Dr. Axel Troost ist Ökonom und finanzpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag.

Die Europäische Union (EU), die Europäische Zentralbank (EZB) und der Internationale Währungsfonds (IWF) haben am Freitag mit Griechenland darüber gesprochen, ob eine weitere Kreditlinie aus dem Rettungsfonds tatsächlich ausgezahlt wird. Worum ging es im einzelnen?

Die Gespräche reichten sogar noch weiter. EU, EZB und IWF haben mit der griechischen Regierung über 110 Milliarden Euro verhandelt, um die angepeilte Umschuldung finanzieren zu können. Sonst wäre Athen in wenigen Wochen zahlungsunfähig. Dabei erhöhten die Gläubiger und Bürgen den Druck auf Griechenland, zusätzliche Sparmaßnahmen zu beschließen. Ökonomisch ist das eine Katastrophe, weil die Hellenen so immer tiefer in die Vergeblichkeitsfalle rutschen: Mit dem Sparkurs sollen die Schulden bedient werden, dadurch sinkt aber das Wachstum, und folglich brechen die Staatseinnahmen ein.

Was wäre die Alternative?

Die Kredite sollten ohne Auflagen ausbezahlt werden. Vielmehr müßten die Europäer und der IWF finanziell helfen, eine wettbewerbsfähige Industrie aufzubauen und den Tourismus aufzuwerten. Nur so könnte Griechenland überhaupt ein vernünftiges Inlandsprodukt erwirtschaften.

Also ein Industrialisierungsprogramm?

Das ist etwas hochgegriffen. Trotzdem muß die griechische Industrie in der Konkurrenz bestehen können. Sonst muß sich das Land seine Waren weiterhin zu großen Teilen im Ausland beschaffen – und sich dort verschulden. Griechenland hat deshalb ein großes Defizit im Außenhandel.

Wenn die Rettungskredite ohne Auflagen vergeben werden, könnten die Ratingagenturen aber auf die Idee kommen, die Bonität der Schuldscheine aus Athen weiter herabzustufen.

Das ist der alte Fehler neoliberaler Denkart, mit Sparpolitik aus den Schulden herauskommen zu wollen. Das hat schon unter SPD-Finanzminister Hans Eichel in der Schröder-Ära nicht geklappt. Durch staatliche Geldspritzen war die deutsche Konjunkturpolitik in der Wirtschaftskrise dagegen sehr erfolgreich. In Griechenland soll das für die Finanzpolitik nun plötzlich keine Geltung mehr haben.

Was soll aus den Schulden selbst werden?

Wir brauchen jetzt dringend Euro-Bonds, also gemeinsame Staatsanleihen aller Euro-Länder. Denn wenn Griechenland jetzt kurzfristig saniert wird, geht das Spiel in Portugal und Spanien sofort weiter. Nur mit Euro-Bonds können wir die Spekulation gegen Einzelstaaten wirksam verhindern. Daran führt kein Weg mehr vorbei.

Als Vorteil gemeinsamer Schuldscheine gilt, daß durch das hohe Gewicht solventer Staaten – wie der BRD – im Durchschnitte eine gute Bonität herauskommt. Das senkt die Zinsen für die Staatsschulden. Braucht man das wirklich? Schließlich gibt es einen Euro-Rettungsfonds – der wurde gegen den Willen der deutschen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sogar bis auf den St. Nimmerleinstag verlängert.

Für Athen einen Rettungsschirm aufzuspannen bedeutet nur, daß die Refinanzierung der auslaufenden Kredite funktioniert. Das beruhigt zwar im ersten Schritt die Märkte. Wenn aber der nächste Kandidat fällig ist, stößt das vereinbarte Volumen schon wieder an seine Grenzen. Mit Euro-Bonds wäre dagegen für Sicherheit gesorgt. Sie scheitern aber am Widerstand der Bundesregierung.

Viele Griechen wollen jetzt ihre alte Nationalwährung zurück, die Drachme. Sie wollen dadurch unabhängig von Deutschland und der EU werden. Was halten Sie davon?

Nicht viel, es löst nämlich das Schuldenproblem nicht. Wenn die griechische Währung um 30 Prozent abgewertet würde, stiege der Wert der Auslandskredite um eben diese 30 Prozent – denn sie wurden einst in Euro ausgezahlt. Außerdem ist Europa wirtschaftlich so eng verflochten, daß Griechenland keinen Vorteil aus einem einseitigen Austritt ziehen könnte. Trotzdem verstehe ich die rebellierenden Griechen. Zu Recht beklagen sie sich, daß Probleme, die sie nicht verursacht haben, auf ihrem Rücken ausgetragen werden.

Aber könnten andere Staaten der EU nicht billiger produzieren, wenn sie zu nationalen Währungen zurückkehrten und sie somit abwerten könnten?

Das stimmt zwar, aber der Euro-Raum ist ein Vorteil im Wettbewerb mit den USA und China. Den werden sich die Euro-Länder nicht nehmen lassen.

Interview: Mirko Knoche

** Aus: junge Welt, 4. Juni 2011


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