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Zuckerbrot und Peitsche

Die bisher geplanten Finanzhilfen für Griechenland sind ein Tropfen auf den heißen Stein. Aber die Auflagen zur Ausplünderung der Bevölkerung werden härter

Von Andreas Wehr *

Es war vorauszusehen. Die auf dem Gipfel der Euroländer am 25. März 2010 gefaßten Beschlüsse zu Griechenland haben die Finanzmärkte nicht im geringsten beeindruckt. Es war ein »Schlag ins Wasser«. (junge Welt vom 7. April). Die stets in Rudeln auftretenden Hedgefonds setzten ihre Spekulationsangriffe ungerührt fort. Weshalb hätte es auch anders sein sollen? Nach der hartnäckigen Weigerung der deutschen Bundesregierung, Griechenland mit Hilfe der EU vor diesen Angriffen solidarisch abzuschirmen, war das Land zum Abschuß freigegeben.

So kletterten die Renditen für griechische Staatsanleihen in den letzten Tagen auf immer neue Höhen. Am 21. April wurde mit 8,17 Prozent für die zehnjährige Anleihe ein neuer Rekordstand gemeldet. Es war eine Frage der Zeit, wann Ministerpräsident Georgios Papandreou die Euro-Länder und den Internationalen Währungsfonds (IWF) um Hilfe bitten mußte, um in der Not wenigstens das Wenige zu bekommen, was man dem Land im März versprochen hatte.

Gutes Zusatzgeschäft

Doch die Finanzhilfe ist nicht mehr als der berühmte Tropfen auf den heißen Stein. Die EU-Länder werden bilaterale Darlehen in Höhe von insgesamt 30 Milliarden Euro zur Verfügung stellen. Deutschlands Anteil daran beträgt knapp 8,4 Milliarden Euro. Diese Hilfen sind teuer zu bezahlen. Fünf Prozent Zinsen werden für sie fällig. Das ist nur ein Prozent weniger, als Athen bei einer Staatsanleihe noch im Januar Finanzinvestoren zugestehen mußte. Nach diesem Plan fließen 150 Millionen jährlich an Zinsen in den Bundeshaushalt -- ein nettes Zusatzgeschäft! Und was sind die 8,4 Milliarden schon im Vergleich mit den Summen, die die Bundesregierung auf dem Höhepunkt der Krise deutschen Banken und Unternehmen in den Rachen warf? Eine Kleinigkeit: An Bürgschaften und Kapitalhilfen wurden allein den Banken 500 Milliarden Euro spendiert, 100 Milliarden wurden als Kredite und Bürgschaften für Unternehmen bereitgestellt. Die beiden Konjunkturpakete kosteten zusammen 80 Milliarden Euro. Übrigens: Das gleichzeitig zur Verfügung gestellte Darlehen des IWF von 13 Milliarden wird mit einem Satz von nur 3,4 Prozent verzinst.

Doch diese Darlehen sind nur das -- äußerst dürftig ausgefallene -- Zuckerbrot. Viel wichtiger ist die zugleich gezogene Peitsche, und die wurde jetzt noch mal gestrafft. Die Hilfen wurden lediglich in Aussicht gestellt. Zuvor müssen noch weitere, erhebliche Einschnitte in den griechischen Haushalt erfolgen. »Sobald das Sparprogramm vorliege, müsse es von der Europäischen Zentralbank und vom IWF bewertet werden. Dies sei die Voraussetzung für Hilfen«, so trat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gegenüber Papandreou auf.

Festung sturmreif

Die Einschaltung des IWF lag der Bundesregierung von Beginn an am Herzen. In Berlin wird kühl kalkuliert. Dort weiß man genau, daß die Europäische Kommission mit dem Stabilitäts- und Wachstumspakt nichts mehr ausrichten kann. Hält sich Athen nicht an die Vorgaben aus Brüssel, so droht ihm nach den Mechanismen des Paktes als letzte Maßnahme eine Finanzstrafe. Doch das ist ein schlechter Witz: Man würde einem an Blutarmut Leidenden nur weiteres Blut abzapfen. Deshalb soll es jetzt der IWF richten. Seine Experten haben schon in vielen Ländern gezeigt, wie das geht: Ausgaben für Soziales, Gesundheit, Bildung und Arbeit werden brutal zusammengestrichen, um den Banken ihre Zinsen und Tilgungsraten pünktlich überweisen zu können. In den EU-Ländern Ungarn, Lettland und Rumänien hat der IWF bereits sein Können unter Beweis gestellt. In Lettland wurde auf seinen Befehl hin die Hälfte aller Krankenhäuser geschlossen. Die für Ungarn vorgesehenen Kürzungen waren so rücksichtslos, daß das Land auf eine weitere Zusammenarbeit mit dem Fonds verzichtete. Die Demonstranten, die jetzt in Athen gegen die Beteiligung des IWF auf die Straße gehen, wissen sehr genau, warum sie protestieren.

Die Rechnung scheint also für Berlin, Paris, London und Washington erst einmal aufzugehen. Ungerührt ließ man die Spekulanten die Festung sturmreif schießen, und jetzt sitzt der IWF mit am Kabinettstisch in Athen. Er soll gewährleisten, daß vor allem die ausländischen Banken bedient werden. Und hier geht es um einiges: Allein deutsche Kredithäuser haben griechischen Schuldnern 45 Milliarden Euro geliehen, französische sogar 75 Milliarden Euro. Britische Banken sind mit 15 und amerikanische mit 17 Milliarden Euro dabei. Eine Umschuldung und damit ein Teilverzicht auf Zins und Tilgung soll unbedingt vermieden werden, denn dies hätte gigantische Abschreibungen zur Folge. Der Bankenkrise zweiter Teil wäre eingeläutet.

Ob aber die Rechnung aufgeht, hängt davon ab, ob die Kahlschlagpolitik durchgesetzt werden kann. Darüber entscheidet nicht ein windelweicher Papandreou, sondern die Straße. Und auf ihr begegnen die Geldsäcke einem alten, verhaßten Gegner: Es sind die Kommunisten und die von ihr geführten PAME-Gewerkschaften, die ihnen doch noch den gefürchteten Strich durch ihre Rechnung machen könnten.

In Deutschland wird derweil schon mal die Stimmung gegen die »Brüder Leichtfuß« (Michael Stürmer am 26. März in der Welt) angeheizt. Auf dem Bundesparteitag der FDP erklärte Parteivize Andreas Pinkwart am Sonnabend in bester Lega-Nord-Manier: »Wer Griechenland Milliarden an Hilfen in Aussicht stellt und sich dann vor die deutschen Arbeitnehmer und die kleinen Betriebe stellt und sagt, für euch ist kein Geld zur Entlastung in Sicht, der schlägt den Bürgern ins Gesicht.« Übrigens: All dies findet in einer Europäischen Union statt, die eigentlich doch »immer enger« werden soll.

* Andreas Wehr ist Mitarbeiter der Linksfraktion (GUE/NGL) im Europäischen Parlament und dort Koordinator im Ausschuß für Wirtschaft und Währung (ECON). Mehr Analysen unter: www.andreas-wehr.eu

Aus: junge Welt, 26. April 2010



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