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EU macht Griechen zu Spartanern

Staats- und Regierungschefs fordern harte Sparmaßnahmen / Athen beantragt neues Kreditpaket / Italiener Draghi wird neuer EZB-Chef

Von Kurt Stenger *

Die EU weicht in der Griechenland-Krise nicht von ihrem harten Kurs gegenüber Athen ab. Das wurde auf dem zweitägigen Gipfel deutlich, der am Freitag (24. Juni) in Brüssel zu Ende ging.

Der griechische Ministerpräsident Giorgos Papandreou hat auf dem Gipfel der Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Mitgliedstaaten offiziell ein zweites Kreditpaket für sein Land beantragt. Die Teilnehmer forderten die Finanzminister auf, bis Anfang Juli die notwendigen Entscheidungen zu treffen, erklärte Ratspräsident Herman Van Rompuy in der Nacht zum Freitag. Dem Vernehmen nach verliefen die Verhandlungen kontrovers. Ursprünglich sollte in der Gipfelerklärung ein Passus enthalten sein, wonach bis Anfang Juli bereits die Umsetzung des Pakets möglich sein solle. Weiter unklar ist auch, wie die vom Gipfel bestätigte freiwillige Beteiligung des privaten Sektors ausfallen soll. Die internationale Bankenvereinigung IIF bezeichnete dies am Freitag als »schwieriges Unterfangen«.

Die Staats- und Regierungschefs wichen keinen Deut von der harten Haltung gegenüber Athen ab. Voraussetzung für die Auszahlung der nächsten Tranche aus dem ersten Kreditpaket von Mai 2010 sei die Zustimmung des griechischen Parlaments zu dem geplanten neuen Spar- und Privatisierungsprogramm der Regierung; diesem solle auch die Opposition zustimmen. Zeitgleich zum Gipfel handelten in Athen Vertreter von EU-Kommisssion, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) mit der Regierung die letzten Details des Sparpakets aus. Es sieht unter anderem die Absenkung des Steuerfreibetrages, eine nach Einkommen gestaffelte Solidaritätssteuer und eine Extra-Steuer für Immobilien vor. Die wichtigste Parlamentsabstimmung soll am Dienstagnachmittag stattfinden. Die großen Gewerkschaften und die Bewegung der »Empörten Bürger« kündigten massive Proteste an.

In der EU ist weiterhin das Vorgehen für den Fall unklar, dass das Parlament in Athen nicht zustimmt. »Es gibt keinen Plan B«, sagte der Chef der Eurogruppe, Luxemburgs Premier Jean-Claude Juncker. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel wollte »keine Spekulationen anstellen«. Sie zeigte sich nach Abschluss des Gipfels optimistisch, dass die griechische Schuldenkrise und die Belastungen für den Euro überwunden werden können. »Wir werden aus der Krise die richtigen Lehren ziehen.«

Dies dürfte vielerorts eher wie eine Drohung klingen. Aktivisten des globalisierungskritischen Netz- werks Attac protestierten am Freitag in Brüssel gegen die »Politik der Sozialkürzungen und des Demokratieraubs«. »Die in Südeuropa von der EU, der EZB und dem IWF praktizierte Politik ist ein abschreckendes Beispiel dafür, was passiert, wenn eine von oben verordnete Sparpolitik zum einzigen Lösungsansatz mutiert«, erklärte Steffen Stierle, Mitglied im Attac-Koordinierungskreis. Statt die Akteure auf den Finanzmärkten richtig an die Leine zu nehmen, würden Banken und Versicherungen »mit sogenannten Rettungspaketen bei Laune gehalten«.

Da Drohungen allmählich an Wirkung verlieren, stellte der EU-Gipfel auch kleinere Zuckerstückchen für Griechenland in Aussicht. Die Rede ist von Vorschüssen in Höhe von einer Milliarde Euro aus den EU-Regionalfonds zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung. Athen kann den verlangten Eigenanteil nicht aufbringen, um die dem Land zustehenden Mittel abzurufen.

Zum Abschluss ernannten die Gipfelteilnehmer den Italiener Mario Draghi zum neuen EZB-Präsidenten. Er soll im November Jean-Claude Trichet ablösen und die EU-Notenbank für acht Jahre führen. Die Entscheidung verzögerte sich, da Frankreich für sich nach dem Abgang Trichets einen Sitz im EZB-Direktorium einforderte. Dafür räumt nun Italien seinen Platz. Den neue Notenbankchef Draghi wird ebenfalls die Griechenland-Krise vorrangig beschäftigen: Die EZB ist längst der größte Gläubiger Athens.

* Aus: Neues Deutschland, 25. Juni 2011


EU lockt Athen mit Zuckerbrot **

Die EU-Staats- und Regierungschefs haben auf ihrem Gipfeltreffen in Brüssel Griechenland weitere Milliardenhilfen in Aussicht gestellt. Um die Pleite abzuwenden, hatte die Regierung ein neues Hilfspaket im Volumen von 120 Milliarden Euro bei Staatenbund und Internationalem Währungsfonds (IWF) beantragt. Auch die nächste Tranche des laufenden »Hilfsprogrammes« in Höhe von zwölf Milliarden Euro werde überwiesen. Die Gipfelteilnehmer folgten auch einem Vorschlag von EU-Kommissionschef José Manuel Barroso, Griechenland zusätzliches Geld aus Brüsseler Fördertöpfen »vorzustrecken«.

Bedingung für die vermeintliche Großzügigkeit ist Wohlverhalten: Das Athener Parlament müsse das Haushaltskürzungs- und Privatisierungsprogramm billigen hieß es aus Brüssel. Nötig sei auch die »nationale Einheit« der Griechen, um die Krise zu meistern, verlangte EU-Ratspräsident Herman van Rompuy. Auf einem Treffen konservativer Regierungschefs am Donnerstag hatten Angela Merkel und Co. offenbar vergeblich versucht, den griechischen Oppositonsführer Antonis Samaras auf Linie zu bringen. Am kommenden Dienstag (28. Juni) sollen in Athen weitere Etateinschnitte vom Parlament verabschiedet werden. Derzeit ist nicht absehbar, wie sich die konservative Opposition positionieren wird.

Euro-Gruppenchef Jean-Claude Juncker hofft auf ein Mehrheitsvotum für die Kahlschlagpläne. »Falls nicht, sind wir in einer völlig anderen Gesamtgemengelage«, so der luxemburgische Regierungschef. Es gebe keinen »Plan B«.

Die Staats- und Regierungschefs beschlossen, Kroatien ab 2013 als 28. Mitgliedsstaat in die EU aufzunehmen. Der Italiener Mario Draghi soll zudem zum neuen Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB) ernannt werden. (dapd/jW)

** Aus: junge Welt, 25. Juni 2011


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