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Rechter Vormarsch

Griechenland: Regierung, Polizei und Medien spielen Faschisten in die Hände

Von Heike Schrader, Athen *

In der griechischen Presse war die Rede von »Anarchisten, die Bürger, darunter auch Mitglieder der Goldenen Morgendämmerung, angriffen«, anderswo liest man von »durch Anarchisten verletzte Bürger«. Polizisten der motorisierten Sondereinheiten hätten diese »geschützt« und »16 Festnahmen vorgenommen«.

Tatsächlich waren in der Nacht zum vergangenen Montag zwischen 100 und 150 dem kommunistischen und anarchistischen Spektrum angehörige Antifaschisten aufgebrochen, um dem mörderischen Treiben der faschistischen »Goldenen Morgendämmerung« (Chrysi Avgi) im Stadtzentrum von Athen Einhalt zu gebieten. In den Vierteln um die Plätze Sankt Panteleimon und Amerikis, wo beinahe jede Nacht dunkelhäutige Migranten mit Messern und Knüppeln verletzt oder sogar ermordet werden, stellten sich den Hitlergruß zeigende Faschisten den Linken in den Weg. Sie, und nicht etwa irgendwelche »Bürger«, wurden von den Antifaschisten angegriffen.

Beamte der mit kleinen flexiblen Motorrädern ausgestatteten Sondereinheiten Delta, die man bei den Angriffen auf Migranten vergeblich sucht, waren diesmal sofort vor Ort, um sich mit Knüppeln, Tränengas und Blendgranaten auf die Antifaschisten zu stürzen. Bei der folgenden Hetzjagd der Polizei wurden insgesamt 16 Menschen festgenommen und am nächsten Tag dem Haftrichter vorgeführt. Laut Polizeiangaben hatte es unter den Festgenommenen keine ernsthaft Verletzten gegeben, beim Haftprüfungstermin hatten jedoch mindestens zwei Personen Kopf und Arme in Binden.

Auch beim Haftprüfungstermin begannen die Repressionskräfte plötzlich, auf die mehreren hundert in Solidarität mit den Festgenommenen Versammelten einzuschlagen. Bei den folgenden Auseinandersetzungen zwischen den fliehenden Demonstranten und den ihnen nachsetzenden Bereitschaftspolizisten wurden erneut über 20 Aktivisten vorläufig festgenommen.

Das Verhalten der Polizei, von denen etwa jeder zweite bei den vergangenen Wahlen für die Faschisten gestimmt hat, hat System. Auch am vergangenen Samstag wurden im zentralgriechischen Volos ausschließlich Antifaschisten festgenommen, die gegen eine faschistische Kundgebung vor Ort demonstrierten, auf der ein Parlamentarier der Chrysi Avgi sogar eine Waffe gezogen hatte. In der gleichen Nacht wurde in Athen der ranghöchste Imam der pakistanischen Gemeinde der Hauptstadt von Faschisten in seinem Haus angegriffen, wobei sein Mitbewohner mit Knüppelschlägen verletzt wurde. Die von Anwohnern herbeigerufenen Polizisten nahmen nicht die noch vor Ort weilenden Angreifer, sondern deren Opfer in Polizeigewahrsam.

Auf höchster Ebene werden die Faschisten verharmlost, während man gleichzeitig mit tatkräftiger Unterstützung ihrer Propaganda ihre Akzeptanz in der Gesellschaft fördert. Bei der Chrysi Avgi, die in den vergangenen Wahlen mit fast sieben Prozent und 18 Abgeordneten ins Parlament eingezogen ist, handele es sich um eine »Blase, die platzen wird«, schwadronierte Ministerpräsident Antonis Samaras kürzlich in einem Interview mit der New York Times. Seinem Justizminister gab er die Anweisung, eine Gesetzesvorlage auszuarbeiten, nach der jeder von einem Migranten ohne Papiere verübte Gesetzesverstoß härtere Strafen als für einen Griechen nach sich zieht. Gleichzeitig vermeldet sein »Minister für öffentliche Ordnung und Bürgerschutz« einen Erfolg nach dem anderen bei der zynisch »Gastfreundlicher Zeus« genannten polizeilichen Hetzjagd auf die von Faschisten und Massenmedien als Wurzel allen Übels auserkorenen Migranten.

Stolz verkündete der Polizeiminister Nikos Dendias am Montag abend die Abschiebung von mindestens 2000 »illegalen Migranten«. Seine Häscher hatten am gleichen Tag in der Umgebung des Hafens von Patras insgesamt 202 Menschen ohne Papiere bei Razzien festgenommen. Gleichzeitig kam es am Montag abend zu neuerlichen pogromartigen Angriffen auf Migranten. In dem nordgriechischen Ort Paranesti versuchten hunderte Anwohner und Mitglieder rechter Organisationen ein erst am Wochenende eingerichtetes Internierungslager für »Illegale« zu stürmen.

Das harmonische Zusammenspiel von Politik, Polizei und Medien mit den Faschisten legt den Verdacht nahe, daß in Griechenland angesichts des wachsenden Unmuts in der Bevölkerung über die Kürzungspolitik auch die faschistische Variante kapitalistischer Herrschaftssicherung erwogen wird.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 04. Oktober 2012


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