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Faschistische Gefahr verharmlost

Griechenland: Bundesregierung sieht keinen Zusammenhang zwischen Kürzungspolitik und Rassismus

Von Andrej Hunko *

Das Auswärtige Amt streitet einen Zusammenhang zwischen Austeritätspolitik und Zunahme rassistischer Gewalt in Griechenland rundherum ab. Stattdessen werden Polizeiübergriffe und Pogrome den Opfern angelastet: Daß diese nicht weggesperrt werden könnten, leiste angeblich »Spannungen in der Gesellschaft Vorschub«. Dies geht aus der Antwort auf eine kleine Anfrage hervor, die die Bundesregierung jetzt übersandt hat. Unter dem Titel »Rassistische Gewalt von Polizei und Neonazis in Griechenland und die Rolle der EU« hatte ich mich nach der Haltung der Bundesregierung zu Mißhandlungen von Migranten und linken Demonstranten erkundigt.

Mehrere Menschenrechtsorganisationen, darunter Human Rights Watch und Amnesty International hatten dies kürzlich untersucht. Beide prangern die Straflosigkeit bei exzessiver Gewalt und die Einschränkung der Meinungsfreiheit an. In der Kritik steht auch die mehrmonatige, landesweite Polizeirazzia »Operation Xenios Zeus«, in deren Verlauf bereits 6700 Migranten festgenommen und 1500 inhaftiert wurden.

Anfang Dezember hatten auch die Vereinten Nationen Ergebnisse einer mehrtägigen Delegationsreise vorgestellt. Demnach nehmen rassistische Übergriffe zu, während die Behörden dem tatenlos gegenüber stünden. Viele Attacken würden erst gar nicht berichtet, da Betroffene weitere Repressalien fürchten. Überdies seien Polizeiangehörige selbst daran beteiligt. Kurz nach den Wahlen im Mai berichtete die Tageszeitung To Vima, daß mehr als die Hälfte aller Polizeiangehörigen die auch von der Bundesregierung als faschistisch eingestufte Partei »Goldene Morgenröte« wählten.

Im Vergleich zum UN-Bericht ist die Antwort der Bundesregierung dürftig: Hinweise auf »fremdenfeindliche« Gewalt würden sich zwar »verdichten«, über die Verwicklung der Behörden lägen aber zu wenig Erkenntnisse vor. Die Zusammenarbeit mit der griechischen Polizei solle sich »nicht grundsätzlich« ändern. Es erinnert an die Pogrome in Rostock, Solingen und Mölln, wenn die Sichtbarkeit von Migranten im öffentlichen Leben als Grund für wachsenden Rassismus und »Spannungen« in der Gesellschaft bezeichnet wird.

Stattdessen ist es der Druck aus Brüssel, der alte Gräben in der griechischen Gesellschaft aufreißt. Deutschland ist dabei treibende Kraft: Zusammen mit der früheren französischen Rechtsregierung wurden aus Berlin EU-Initiativen gestartet, um Einfluß auf die griechische Migrationspolitik zu nehmen. Hierzu gehört die Aufrüstung der Grenze zur Türkei ebenso wie die Sanierung und der Neubau von Abschiebelagern. Die Finanzierung der Haftanstalten durch die EU machen die rassistischen Razzien aber erst möglich. Die griechische Flüchtlingspolitik wird zudem durch die EU-Grenzagentur Frontex gestützt. Jetzt stellt die EU Kriterien auf, nach denen die griechische Migrantenabwehr ab nächstem Jahr ausgewertet werden soll.

Die Bundesregierung bestätigt überdies, daß die Asylbehörde in Athen nicht mehr alle Anträge entgegennimmt. Damit ist amtlich, daß der in der Genfer Flüchtlingskonvention festgeschriebene Schutzanspruch in Griechenland nicht gegeben ist. Dies ist insofern interessant, als daß im Januar über die Wiederaufnahme von Abschiebungen nach Griechenland beraten wird. Die Linksfraktion wird sich dafür einsetzen, die Weiterreise der Migranten in andere EU-Mitgliedstaaten zu erleichtern, damit diese dort ihren Antrag auf Asyl stellen können.

Die EU und ihre Mitgliedstaaten werden so zu Komplizen der erstarkenden griechischen Neofaschisten. Mittlerweile liegt deren Partei in Umfragen bei über zehn Prozent, in Montreal und New York werden Auslandsbüros eröffnet, und in der Lombardei tritt bereits ein italienischer Ableger zu Regionalwahlen an. Die Abgeordnete Eleni Zaroulia ist überdies Mitglied im »Komitee für Gleichheit und Nichtdiskriminierung« des Europarates. Im griechischen Parlament hatte sie Migranten zuvor als »Untermenschen« bezeichnet. Zaroulia weigert sich, die Äußerung zurückzunehmen. Auffällig ist das bisherige Schweigen auf europäischer Ebene zu diesen Entwicklungen. Die EU, ihre Institutionen und die übrigen Mitgliedstaaten müssen den Rassismus und die faschistische Gefahr beim Namen nennen, anstatt ihn noch zu befördern. Dem autoritären, grenzpolizeilichen EU-Diktat treten wir ebenso konsequent entgegen wie der Austeritätspolitik der Troika.

* Der Autor ist Mitglied des Deutschen Bundestags und der Parlamentarischen Versammlung des Europarates für die Partei Die Linke.

Aus: junge Welt, Dienstag, 18. Dezember 2012


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