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Rechtes Heldengedenken

Tausende Faschisten bei Gedenkmarsch in Athen

Von Thomas Eipeldauer und Elleni Mantouka, Athen *

Tausende Anhänger der faschistischen Partei Chrysi Avgi (»Goldene Morgenröte«) sind am Samstag abend in Athen aufmarschiert. Nach Polizeiangaben versammelten sich gegen 19 Uhr rund 10000 Menschen an der Vasilissis-Sofias-Straße, wo der Vorsitzende der »Goldenen Morgenröte«, der Holocaustleugner und Rassist Nikolaos Michaloliakos sprach. Etwa 3000 der Anwesenden sollen dann an der von dort ausgehenden Demonstration zum neuen Büro der Nazipartei in der Mesogeionstraße teilgenommen haben.

Seit 1997 organisiert Chrysi Avgi Gedenkmärsche für drei verunglückte griechische Offiziere. Zwei kleine unbewohnte Inseln in der Ägäis – die Griechen nennen sie Imia, die türkische Bezeichnung ist Kardak – waren 1996 zum Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen zwischen Ankara und Athen geworden. Auf verbale Entgleisungen folgte die Alarmbereitschaft für die Flotten beider Staaten und die militärische Besetzung des Eilands durch die Türkei. Bei einem Beobachtungsflug stürzte ein griechischer Helikopter ab, Christodoulos Karathanasis, Panagiotis Vlahakos und Ektoras Gialopsos kamen dabei ums Leben. Griechische Nationalisten vertreten bis heute die These, es habe sich nicht um einen Unfall, sondern um Feindbeschuß gehandelt, und nutzen die »gefallenen Helden« von damals für ihre Politik des Ressentiments und der Diskriminierung von heute.

Chrysi Avgi, vor wenigen Jahren eine Kleinstpartei ohne gesellschaftlichen Einfluß, konnte seit dem Beginn der von der EU-Troika erzwungenen Austeritätsmaßnahmen einen rasanten Aufstieg verzeichnen und wird mittlerweile in Meinungsumfragen als drittstärkste Kraft hinter der konservativen Nea Dimokratia und der linkssozialistischen SYRIZA angesehen. Insbesondere für Migranten stellt die offen faschistische Organisation eine wirkliche Gefahr dar. Ihre Schlägerbanden überfallen regelmäßig Wohnunterkünfte und kleine Läden pakistanischer, afghanischer oder afrikanischer Einwanderer, in Gruppen von etwa 20 bewaffneten vermummten Frauen und Männern jagen sie »ausländisch« aussehende Personen durch die Straßen Athens. Vergangene Woche etwa wurde ein Haus im Stadtteil Peristeri, in dem pakistanische Einwanderer leben, zum Ziel der sich als »Bürgerwehr« verstehenden Kriminellen. Berichten dort lebender Migranten zufolge drangen etwa sieben mit Stöcken bewaffnete Männer in die Wohnungen ein. Als die verängstigten Bewohner sich in ihren Zimmern verbarrikadierten, raubten die Angreifer Mobiltelefone und Computer und zogen wieder ab. Die zur Hilfe gerufene Polizei erklärte den Vorfall zu einem »unpolitischen« Einbruch, Täter konnten bislang nicht ermittelt werden.

Da Übergriffe nach Großdemonstrationen der Chrysi Avgi zum Standardprogramm gehören, verständigten sich linke Aktivisten aus ganz Athen am Samstag auf die Organisation von antifaschistischem Selbstschutz in sensiblen Gebieten, etwa vor besetzten Häusern und Migrantenunterkünften. Tatsächlich kam es gegen 22 Uhr zu dem Versuch eines Überfalls, als etwa 30 Faschisten in das soziale Zentrum »Villa Zografou« eindringen wollten. Der Angriff scheiterte am Widerstand der Bewohner.

Da einer der dabei verletzten Neonazis in ein Militärkrankenhaus eingeliefert wurde – ein für Zivilisten unüblicher Vorgang – spekulieren antifaschistische Aktivisten, es könnte sich bei dem Angreifer um einen Polizeibeamten gehandelt haben. Auch wenn das derzeit nicht bestätigt werden kann, ist es nicht unwahrscheinlich. Chrysi Avgi erfreut sich großer Beliebtheit unter den Beamten, etwa 50 Prozent von ihnen wählen die »Goldene Morgenröte«. Die offene Kooperation von Faschisten und Polizei ist in zahlreichen Fällen gut dokumentiert. Ilias Panagiotaros, ein Parlamentsabgeordneter der Nazipartei, verkündete Ende 2012 stolz, es seien nun »50, 60 Prozent der Polizisten, die uns folgen, vielleicht mehr, ihre Zahl wächst jeden Tag«.

* Aus: junge Welt, Montag, 4. Februar 2013


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