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"Der Botschafter hat sich bei mir bedankt"

Deutsch-griechische Bürgermeisterkonferenz: Linken-Abgeordnete beschwichtigt Demonstranten. Gespräch mit Annette Groth *


Annette Groth ist Bundestagsabgeordnete und menschenrechtspolitische Sprecherin der ­Linksfraktion im Bundestag.


In der nordgriechischen Hafenstadt Thessaloniki fand am gestrigen Donnerstag eine deutsch-griechische Bürgermeisterkonferenz statt, an der auch Sie teilnahmen. Dabei soll es zu Tumulten gekommen sein – wie haben Sie das erlebt?

Das Treffen, zu dem ich eingeladen war, fand im Messegelände statt. Als ich hineinging, sah ich zwar jede Menge Polizisten, aber erst einmal keine Demonstranten. Plötzlich waren 300 von ihnen da, es wurden Parolen skandiert und einige Leute durchbrachen die Absperrung.

Mir wurde erzählt – ich habe es selbst nicht gesehen – daß der deutsche Generalkonsul mit Kaffee beschüttet und mit Wasserflaschen beworfen wurde. Einige der Konferenzteilnehmer, u.a. der deutsche Botschafter, baten mich als Linke, die aufgeheizte Stimmung zu deeskalieren. Das habe ich dann auch gemacht.

Was haben Sie gesagt?

Zum Beispiel das, was ich auch vor der Konferenz gesagt hatte: Die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander, die Reichen müßten endlich stärker besteuert werden. Dafür gab es nicht nur drinnen, sondern auch draußen Beifall. Selbst der Griechenland-Beauftragte der Bundesregierung, Hans-Joachim Fuchtel, bescheinigte mir, ich hätte für eine Linke eine »ganz passable Rede« gehalten.

Ich wurde dann ein zweites Mal nach draußen gebeten – dieses Mal gab es deutlich weniger Zuhörer als zuvor. Ich wies auf die Finanzkrise hin und daß das Verbot von Hedgefonds eine zentrale Forderung meiner Partei sei. Natürlich habe ich auch die Gefahr des Faschismus angesprochen – die Partei »Goldene Morgenröte« ist ja in Griechenland eine reale Bedrohung.

Ich habe aus einem EU-Papier zitiert, in dem es sinngemäß heißt: Wir müssen die Krise nutzen, um die Wettbewerbsfähigkeit Europas zu stärken. Das heißt letztlich nichts anderes, als daß das Lohnniveau an das von Afrika oder China angepaßt werden soll – und das geht nur über Lohnkürzungen, Einschnitte bei den Renten und den Sozialleistungen. »Stärkung der Eigenverantwortung« heißt das im neoliberalen EU-Jargon. Der Botschafter und einige andere haben sich hinterher bei mir bedankt, daß ich die Demonstranten ein wenig beruhigt hatte.

Wurden Sie auch von griechischen Medien interviewt?

Mehrfach. Ich wurde immer wieder auf das schlechte deutsch-griechische Verhältnis angesprochen und vor allem auf den antigriechischen Populismus der Bild-Zeitung. Ausdrücklich habe ich Verständnis für die Ablehnung der neoliberalen Diktate gegen Griechenland von IWF, EZB und EU geäußert. Ich habe deutlich darauf hingewiesen, das es in Deutschland Medien gibt, die ein realistisches Bild von Griechenland aufzeigen und daß nach meiner Beobachtung die platten Berichte über die angeblich faulen Griechen weniger geworden sind. Ich habe den Eindruck, daß unsere Medien ein wenig nachdenklicher geworden sind, seitdem auch Portugal und Spanien fast ebenso tief in der Bredouille stecken wie Griechenland.

Nachrichtenagenturen berichteten gestern, Demonstranten hätten hämisch Nazi-Parolen skandiert und SS-Lieder gesungen ...

Das habe ich selbst so nicht wahrgenommen, auch der Botschafter hat es nicht gehört. Aber es scheint zu stimmen, mir haben drei Frauen davon erzählt. Ich würde das aber nicht überbewerten.

Wie hat die Polizei reagiert?

Für griechische Verhältnisse hat sie sich ausnahmsweise zurückgehalten – jedenfalls soweit ich es sehen konnte. Die Zurückhaltung der Polizei erkläre ich mir auch so, daß die Verantwortlichen Angst davor hatten, daß internationale Medien darüber berichten könnten.

Fühlten sich die deutschen Teilnehmer der Konferenz ungerechterweise kritisiert? Oder hatten sie gar Verständnis für die Proteste?

Diejenigen, mit denen ich anschließend sprach, hatten durchaus Verständnis. Sie meinten, daß es wohl ein schlechtes Timing gewesen sei, diese Konferenz ausgerechnet auf den Tag zu legen, an dem in Griechenland eine neue Kündigungswelle für städtische Angestellt verkündet wird.

Den Berichten zufolge wurde auch skandiert »Nazis raus« ...

Auch das habe ich selbst nicht gehört, ich finde eine solche Anspielung aber daneben. Die historische Schuld Deutschlands ist eine Sache – eine andere ist die gegenwärtige Wirtschaftskrise. Das heutige Deutschland mit dem Faschismus zu vergleichen, geht zu weit.

Interview: Peter Wolter

* Aus: junge Welt, Freitag, 16. November 2012


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