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Weg frei für Athens neues Sparpaket

Griechenlands Parlament ratifizierte den zweiten Kreditvertrag mit EU und IWF

Von Anke Stefan, Athen *

Mit den Stimmen der Regierungsparteien PASOK und Nea Dimokratia hat Griechenlands Parlament in der Nacht zum Mittwoch (21. März) das zweite Rettungspaket von EU und IWF im Umfang von 130 Milliarden Euro ratifiziert.

Die nun freigegebenen Gelder dienen vorrangig der Bedienung alter Schulden Griechenlands. Eine erste Tranche in Höhe von 7,5 Milliarden Euro zur Begleichung abgelaufener Kredite hatte Athen bereits in den vergangenen Tagen, noch vor der Ratifizierung des Vertrags, erhalten. Insgesamt stimmten 213 Abgeordnete - mehrheitlich aus den Regierungsparteien sowie einige unabhängige Parlamentarier - für das Darlehensabkommen. Geschlossen dagegen votierten die Abgeordneten der Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE), der Linksallianz SYRIZA, der Demokratischen Linken sowie die Mehrheit der in der Vergangenheit wegen Abweichung von der Parteilinie aus den Regierungsparteien PASOK und Nea Dimokratia ausgeschlossenen, nun unabhängigen Abgeordneten. Auch die ultrarechte LAOS-Partei sagte Nein.

Mit den neuen Krediten ist ein weiteres Kürzungspaket verbunden, das bereits im Februar mit den Stimmen der Regierungsparteien verabschiedet worden war. Es sieht unter anderem neue Kürzungen bei Löhnen und Renten um bis zu 20 Prozent sowie den Abbau von 150 000 Stellen im Staatsdienst bis Ende 2015 vor. Allein in diesem Jahr sollen 15 000 Staatsbedienstete entlassen oder in Rente geschickt werden.

Von der Opposition wurde das Abkommen scharf kritisiert. Noch während der laufenden Debatte demonstrierten auf dem Platz vor dem Parlament Zehntausende KKE-Anhänger. Jede Darlehensrate habe die bedingungslose Umsetzung der Sparmaßnahmen zu Lasten der Lohnabhängigen zur Voraussetzung, erklärte KKE-Generalsekretärin Aleka Papariga. In der Debatte bezeichnete SYRIZA-Sprecher Panagiotis Lafazanis das Abkommen als »kolonialistisch«.

Angesichts der andernfalls drohenden Staatspleite hätte es keine Alternative zum neuen Darlehensvertrag gegeben, erklärte dagegen Filippos Sachinidis. Am Donnerstagvormittag, wurde er von Ministerpräsident Lucas Papademos zum Finanzminister ernannt. Die Stelle war am Montag durch den Rücktritt des zum neuen PASOK-Vorsitzenden gewählten Evangelos Venizelos vakant geworden. Venizelos hatte angekündigt, sich ganz auf den Wahlkampf konzentrieren zu wollen.

Die beim Amtsantritt von Papademos im November für Februar versprochenen Wahlen wurden unterdessen erneut weiter hinausgeschoben. Neben den möglichen Terminen 29. April oder 6. Mai wird nun in den Medien auch über den 13. Mai spekuliert. Hintergrund sind Befürchtungen, dass es bei den traditionellen Demonstrationen zum 1. Mai zu massenhaften Unmutsbekundungen der von den Sparmaßnahmen Betroffenen kommen könnte.

Eine Rolle könnte aber auch spielen, dass die Wahlen vielleicht keine stabile Regierungskoalition bringen. Während einigen Umfragen zufolge eine Fortsetzung der Koalition aus PASOK und Nea Dimokratia möglich wäre, reichen die Stimmen anderen zufolge dafür nicht. Sicher ist, dass die traditionellen Oppositionsparteien der Linken, aber auch die extreme Rechte zulegen werden. Auch der Einzug einiger von Aussteigern aus PASOK und Nea Dimokratia gegründeten neuen Parteien ist wahrscheinlich.

* Aus: neues deutschland, 22. März 2012


Raub durch Umverteilung

Griechisches Parlament ratifiziert zweites »Rettungspaket«. Protest Zehntausender Anhänger der KKE

Von Heike Schrader, Athen **


Mit 213 gegen 79 Stimmen verabschiedete das griechische Parlament in der Nacht zum Mittwoch (21. März) den mit den Gläubigern in EU und IWF ausgehandelten neuen Darlehensvertrag über 130 Milliarden Euro. Für das Abkommen stimmten die Parlamentarier der beiden Regierungsparteien, PASOK und Nea Dimokratia. Dagegen votierten die linken Parteien KKE und SYRIZA, die Demokratische Linke, die Mehrheit der in der Vergangenheit aus den Fraktionen von PASOK und Nea Dimokratia ausgeschlossenen, nun unabhängigen Abgeordneten und die ultrarechte LAOS-Partei.

Vorbedingung für die erneute Milliardenhilfe, mit denen die Gläubiger die Rückzahlung ihrer älteren Forderungen gegenüber Griechenland sichern wollen, waren weitere gravierende Einschnitte, die von den Regierungsparteien bereits im Februar beschlossen worden waren. Sie sehen neue Kürzungen bei Löhnen und Renten sowie den mit Massenentlassungen verbundenen Abbau von 150000 Stellen im Staatsdienst bis Ende 2015 vor.

Während im Parlament über das Abkommen debattiert wurde, demonstrierten auf dem Platz vor dem Gebäude Zehntausende Mitglieder und Anhänger der Kommunistischen Partei Griechenlands, KKE. Mit der Abstimmung solle suggeriert werden, daß das Volk mit den entsprechendenMaßnahmen einverstanden sei, wandte sich dabei die Generalsekretärin der KKE an die Versammelten. Der Darlehensvertrag bilde »zusammen mit dem Schuldenschnitt, den alten und neuen Memoranden den ersten Teil einer Tragödie, die bis ins Jahr 2042 reicht«, erklärte Aleka Papariga. In dem Jahr soll Griechenland die neu gewährten Darlehen und die im Zuge des Schuldenschnitts umgewandelten Staatsobligationen abgezahlt haben. Diese Verträge, so die Generalsekretärin, bedeuten einen »langjährigen Angriff auf die Volkskräfte, die Lohnabhängigen, die sozial schwachen Volksschichten in Stadt und Land, der von Monat zu Monat verschärft« wird. Aleka Papariga wies darauf hin, daß laut dem neuen Abkommen die Bedienung der Schulden Vorrang vor der Zahlung von Löhnen und Gehältern und der Erfüllung der staatlichen Aufgaben wie Bildung und Gesundheitsfürsorge haben wird.

Auch die von in- und ausländischen Politikern und Wirtschaftsvertretern immer wieder geforderte Ankurbelung der Wettbewerbsfähigkeit wurde von den Kommunisten kritisiert. »Wettbewerbsfähigkeit bedeutet das Rennen darum, welches Land sich an die Spitze der arbeiterfeindlichen Maßnahmen setzt«, sagte die KKE-Generalsekretärin.

Im Hinblick auf die in Aussicht gestellten Neuwahlen erklärte Papariga, es sei ausgeschlossen, daß aus solchen eine volksfreundliche Regierung hervorgehen werde. »Wenn so etwas möglich wäre, hätte man wahrscheinlich das allgemeine Wahlrecht abgeschafft oder die Vorkehrungen für eine Aufhebung des Wahlergebnisses am folgenden Tag getroffen.«

* Aus: junge Welt, 22. März 2012


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