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"Es geht nicht nur um Entlassungen"

Lehrer in ganz Griechenland streiken diese Woche gegen geplante Entlassungen im Bildungsbereich. Ein Gespräch mit Pavlos Antonopoulos *


Pavlos Antonopoulos ist Lehrer aus Athen, Vorstandsmitglied der griechischen Lehrergewerkschaft OLME und Aktivist des antikapitalistischen Bündnisses ANTARSYA.


Diese Woche treten Lehrer in ganz Griechenland in den Streik. Welche Auswirkungen haben die Spardiktate der griechischen Regierung auf das Bildungssystem?

In den Schulen wurde die Arbeitszeit um zwei Stunden pro Woche erhöht. Es gibt etwa 90000 Lehrer in Griechenland, das sind also 180000 Stunden unbezahlte Mehrarbeit. Das heißt wiederum, daß etwa 9000 Lehrer entlassen werden können. Das gleiche passiert an den Universitäten – auch bei den Professoren und Dozenten wird die Arbeitszeit verlängert.

Bis jetzt hat die griechische Regierung 15000 Lehrer entlassen. Bis Ende 2013 soll es noch eine Entlassungswelle geben, und ein Jahr später eine noch größere. Vor zwei Jahren wurden bereits 1000 Schulen geschlossen. Die Klassengrößen werden erhöht, so daß weitere Lehrkräfte freigesetzt werden. Auch 2500 Schulwächter haben ihre Arbeitsplätze verloren, und die Reinigungskräfte an den Schulen sollen komplett ausgegliedert werden.

Welche Aktionen finden beim fünftägigen Streik statt?

Diese Woche werden wir demonstrieren, öffentliche Gebäude besetzen und uns mit Eltern, Schülern und Arbeitern aus dem öffentlichen Dienst und dem privaten Sektor treffen. Wir haben eine Streikkasse aufgebaut, damit wir lange aushalten können.

Die Mitglieder der Gewerkschaften haben den Streik beschlossen, und am Freitag werden sie entscheiden, ob sie ihn um fünf Tage verlängern. Denn es geht nicht nur um die Entlassungen, sondern um eine weitgehende Bildungsreform mit einem neuen System der Universitätsprüfungen.

Im Mai sollte ein fünftägiger Streik der Lehrer während der Prüfungszeit stattfinden, doch er wurde von der Regierung verboten und fand nicht statt. Wie wirkte sich dieses Verbot aus?

Damals drohte den Streikenden nicht nur die Entlassung, sondern auch eine dreimonatige Gefängnisstrafe. Mit einem Notstandsgesetz kann die Regierung Beschäftigte zur Arbeit zwingen – offiziell nur bei Naturkatastrophen, aber in unserem Fall wurde das Verbot verhängt, bevor der Streik überhaupt begonnen hatte. So etwas ist in Griechenland noch nie passiert. Dieses Mal haben wir beschlossen, daß wir den Streik auch im Fall eines Verbotes fortsetzen werden.

Oppositionsführer Alexis Tsipras rief Schüler und Eltern dazu auf, den Streik zu unterstützen. Wird der Arbeitskampf von der linken Partei SYRIZA aus Wahlkampfgründen angefacht? Rechte Politiker und Medien behaupten das jedenfalls.

Der Streikbeschluß wurde auf vielen Versammlungen mit Tausenden Lehrern in ganz Griechenland gefaßt. Der Vorschlag dazu stammte von Gewerkschaftern, die in verschiedenen linken Parteien aktiv sind.

Die Mitglieder von SYRIZA in der Gewerkschaft haben den Streikplan unterstützt, auch die Mitglieder von ANTARSYA. Die Kommunistische Partei Griechenlands hatte ursprünglich den Vorschlag für einen fünftägigen Streiks nicht befürwortetet – jetzt steht sie aber voll hinter den Streikenden.

Wenn man so will, sind die Troika aus EU, EZB und IWF sowie die griechische Regierung die Anstifter zu diesem Streik – gegen sie richtet sich nämlich die Wut der Lehrer und der anderen Beschäftigten. Es macht Hoffnung, wenn die linken Parteien diesen Arbeitskampf unterstützen. Wir Lehrer teilen das Ziel aller Menschen in Griechenland: den Rauswurf dieser Regierung und der Troika. Wir brauchen einen politischen Streik, um die Schließung von Schulen zu stoppen, die Banken unter Kontrolle der Arbeiter zu verstaatlichen und mit der EU und dem Euro zu brechen. Wir brauchen eine andere Ausrichtung der Produktion im Interesse der Menschen.

In dieser Woche soll auch ein Generalstreik stattfinden. Was ist konkret geplant?

In den vergangenen drei Jahren gab es ungefähr 35 Generalstreiks. Der in dieser Woche soll zwei Tage dauern, erstreckt sich jedoch nur auf den öffentlichen Dienst. Wir Lehrer wissen, daß wir nur gemeinsam mit anderen Beschäftigten eine massive Streikfront aufbauen können. Und die Entlassungen sind nicht der einzige Grund dafür: Es ist gut möglich, daß die griechische Regierung Angriffskriege in Syrien oder vielleicht auch im Iran unterstützt. Auch darauf müssen wir uns vorbereiten.

Interview: Wladek Flakin

* Aus: junge welt, Dienstag, 17. September 2013


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