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Gegenmacht wird weggespart

Linke Europaabgeordnete forderten bei Besuch in Griechenland alternative Krisenpolitik

Von Anke Stefan, Athen *

Am Dienstag (21. Feb.) beschlossen die Euro-Finanzminister weitere Kredite für Griechenland. Dafür soll Hellas weiter sparen. Welche Auswirkungen dieser Politik die griechische Bevölkerung zu spüren bekommt, ließ sich eine Delegation linker Europaparlamentarier in Athen zeigen.

Solidarität zu zeigen mit den Betroffenen der Sparpolitik in Griechenland, das war das Hauptanliegen der Reise einer Delegation linker Abgeordneter des Europäischen Parlaments nach Athen. Insgesamt zehn Parlamentarier der Fraktion Vereinte Europäische Linke/Nordische Grüne Linke (GUE/NGL) informierten sich von Mittwoch bis Freitag über die sozialen Problemen in dem krisengeschüttelten Mittelmeerstaat.

Der direkte Kontakt mit den unter der Sparpolitik leidenden Griechen helfe, das eigene Bild zu schärfen, erklärte die deutsche Vertreterin Sabine Lösing gegenüber »nd«. Durch Gespräche mit Menschen, die in bedrohten sozialen Einrichtungen beschäftigt sind, seien für sie vor allem die »Kollateralinteressen« der Troika aus EU, IWF und EZB deutlich geworden. Ein Beispiel sind staatliche Wohnungsbaugesellschaften, durch die Angestellte im öffentlichen Dienst zu günstigen Konditionen Hausbesitz erwerben können. Sie werden überwiegend paritätisch aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträgen finanziert. Daher ist der finanzielle Nutzen einer Schließung nur gering. Trotzdem sollen sie der Kürzungsschere zum Opfer fallen. Daran könne man erkennen, dass es der Troika eben nicht nur um Einsparungen, sondern gleichzeitig »um die Zerschlagung von Potenzialen zur Organisation von gesellschaftlicher Gegenmacht« gehe, sagt Sabine Lösing. »Da ist es erhellend, dass die ultrarechte griechische LAOS-Partei diese Einrichtungen als ›Bastion des Kommunismus‹ verteufelt hat,« meint die Politikerin der LINKEN.

Auf dem Delegationsprogramm stand auch ein Besuch bei der Belegschaft der griechischen Stahlwerke bei Elefsina, westlich der Hafenstadt Piräus. Dort wird seit Monaten gegen Lohnsenkungen und für die Wiedereinstellung entlassener Kollegen gestreikt. »Wir zählen heute 116 Tage Streik für Rechte, die uns EU, IWF und Konsorten nehmen wollen: Tarifrecht, angemessene Löhne, Schutz vor Entlassung«, erläuterte Giorgos Sifonios den Parlamentariern die Lage. »Unser Kampf ist der Streik in einem einzelnen Unternehmen, aber er hat Wirkung auf die gesamte Gesellschaft, weil diese Maßnahmen überallhin ausgedehnt werden.« Der Betriebsratsvorsitzende, Mitglied der kommunistisch orientierten Gewerkschaftsfront PAME, appellierte an die Gäste, sich als Akt der praktischen Solidarität auch in ihren Heimatländern für die Interessen der Arbeitenden einzusetzen.

In der abschließenden Pressekonferenz der aus unterschiedlichen Parteien stammenden Delegierten war man sich einig, dass die von der EU in Griechenland und in anderen Ländern Europas eingeschlagene Politik nicht zur Lösung, sondern zur Vertiefung der Krise beiträgt. In der Frage nach dem stattdessen einzuschlagenden Weg herrschten jedoch unterschiedliche Ansichten. Die Rolle der Linken in der EU sei es, einerseits gegen diese Kürzungspolitik zu kämpfen, andererseits aber auch, »aufzuzeigen, dass diese EU eine Union der Bosse, der Reichen und Kapitalisten ist«, meinte Paul Murphy von der Sozialistischen Partei Irlands. Für ihn ist der Aufbau eines völkerfreundlichen Europas nur durch »Kämpfe der Arbeiterklasse« und »auf den Ruinen der jetzigen EU« möglich.

Patrick Le Hyaric von der französischen Linken Front für die Veränderung Europas dagegen setzt auf die Reformierung der EU von innen und plädiert für die Einrichtung eines Rates europäischer Intellektueller in Athen oder Brüssel, der sich mit der Ausarbeitung alternativer Krisenlösungen befassen sollte.

Von einem Krieg des Kapitals gegen die Lohnabhängigen sprach Sabine Lösing. Sie prangerte an, dass Alternativen wie ein vollständiger Schuldenerlass und die Kontrolle des Bankensystems durch die Herrschenden bewusst nicht gewählt würden.

* Aus: neues deutschland, 25. Februar 2012


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