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"Anerkennung geht gegen null"

Rechtsexpertin kritisiert Griechenlands System der Asylgewährung

In den vergangenen Wochen sorgte Italiens Flüchtlingspolitik international für Schlagzeilen. Dabei ist die Abschottungspolitik in anderen EU-Mittelmeerstaaten nicht weniger scharf. So werden etwa 99 Prozent aller Asylanträge in Griechenland in einer einzigen Polizeidienststelle in Athen gestellt. Von den Anträgen wird jedoch nur ein winziger Bruchteil positiv beschieden, kritisiert Angeliki Serafeim.
Die Griechin arbeitet für die "Anwaltsgruppe für die Rechte von Flüchtlingen" in Athen.



Haben Sie einen Überblick, wie viele Flüchtlinge monatlich in Athen Asyl beantragen?

Ein genaues Bild davon kann sich keiner machen. Wir kennen Fälle, in denen Flüchtlinge über Monate immer wieder versuchten, ihren Antrag einzureichen. Wenn im Schnitt jede Woche etwa 2500 Menschen hier Schlange stehen, so kann man davon ausgehen, dass 2000 davon nicht zum ersten Mal anstehen. Nach geltendem Recht wäre es möglich, auch in irgendeiner anderen Polizeidienstelle einen Asylantrag zu stellen. In der Praxis verweigert man den Flüchtlingen dort jedoch die Entgegennahme des Antrags. Es ist übrigens bezeichnend, dass im selben Gebäude das Büro für Asylanträge, die Abteilung für Abschiebungen und die Abschiebehaftzellen untergebracht sind.

Heißt das, 2500 Menschen warten jeden Tag?

Nein, das Verfahren ist völlig willkürlich. Derzeit hat die Polizei festgelegt, dass nur Samstags Termine für die Entgegennahme von Anträgen erteilt werden. Von den 2500 Flüchtlingen, die sich dafür bereits ab Freitagnachmittag anstellen, erhalten aber nur etwa 150 das »magische Papier« mit einem Termin innerhalb der nächsten Woche, an dem sie vorgelassen werden. Alle anderen müssen sich am folgenden Samstag wieder anstellen. Wer an einem anderen Tag kommt, wird sofort weggejagt.

Wenn man doch einen Termin bekommen hat, wie geht das Asylverfahren dann weiter?

Ein Asylverfahren in erster Instanz verläuft stets nach dem gleichen Muster. Der Flüchtling reicht seinen Antrag mit den geforderten Unterlagen ein – wobei auch hier oft willkürlich Hürden errichtet werden – und bekommt einen weiteren Termin für ein Interview. Das Interview wird von Polizeibeamten geführt. Die Polizei entscheidet über den Asylantrag. Das ist einzigartig in Europa. Selbst die UNO hat beanstandet, dass es nicht zulässig ist, die gleiche Behörde, die für die Verfolgung von »illegalen« Migranten zuständig ist, darüber entscheiden zu lassen, ob jemand als politisch Verfolgter gilt oder nicht.

Wie viele Asylanträge werden positiv entschieden?

Der Anteil geht gegen null. Von 20 684 geprüften Asylanträgen im Jahr 2007 wurden in erster Instanz lediglich acht positiv entschieden, das entspricht einem Anteil von 0,04 Prozent. Eigentlich ist die Polizei verpflichtet, dem abgelehnten Antragsteller seine Möglichkeit zum Einspruch darzulegen. Das geschieht aber in den seltensten Fällen. Nur wer anderweitig von dieser Möglichkeit erfährt, kann fristgerecht Einspruch erheben. Alle anderen werden in Abschiebehaft genommen, wenn sie von der Polizei erwischt werden. Und auch in zweiter Instanz gab es 2007 nur 132 Anerkennungen.

Die Bundesregierung hat noch im Januar auf eine Anfrage der Partei DIE LINKE erklärt, Kapazitätsprobleme oder Defizite bei der Durchführung von Asylverfahren seien kein Hinderungsgrund für die Rückführung von Flüchtlingen nach Griechenland. Würden Sie dem zustimmen?

Es ist offensichtlich, dass Griechenland unfähig ist, auch nur irgendein Recht von Flüchtlingen zu gewährleisten. Weder das Recht auf Asyl noch sonst ein Recht, dass sich aus internationalen Bestimmungen zum Schutz der Menschenwürde ergibt. Das sehen wir hier jeden Tag. Die Menschen sind so verzweifelt, dass sie unter großen Gefahren versuchen, in andere Länder Europas zu kommen, obwohl sie wissen, dass andere dabei ums Leben gekommen sind. Sie nehmen dieses Risiko auf sich in der verzweifelten Hoffnung, dass sie zu den wenigen Glücklichen gehören werden, die nicht nach Griechenland zurückgeschickt werden, weil man vielleicht gerade ihre Fingerabdrücke hier in der Asylantragstelle verschlampt hat ...

Fragen: Anke Stefan

* Aus: Neues Deutschland, 6. Februar 2009


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