Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Auf getrennten Wegen

Griechenlands Linksparteien lehnen Sparpolitik ab, sind sich aber uneins über Wege aus der Krise

Von Anke Stefan, Athen *

Griechenlands Linksparteien lehnen die Austeritätspolitik ab. Damit sind die Gemeinsamkeiten allerdings auch schon erschöpft. Insbesondere bei den vorgeschlagenen Wegen aus der Krise gehen die Parteimeinungen stark auseinander.

Die drei linken Parteien im griechischen Parlament - die Kommunisten der KKE (21 Abgeordnete), SYRIZA (9) und DimAr (4) - haben am Sonntagabend gegen die Verabschiedung des neuen Abkommens mit der Gläubigertroika gestimmt. Zusammen mit verschiedenen im Protest gegen die brutale Sparpolitik aus der sozialdemokratischen PASOK ausgetretenen unabhängigen Abgeordneten bilden sie den Block der Memorandumsgegner im 300 Sitze zählenden Parlament. Alle drei Parteien hatten auch gegen bisherige Sparmaßnahmen gestimmt.

Die Kommunistische Partei Griechenlands lehnt jede Form von Reformierung des bestehenden Systems ab und propagiert den »Sturz der Herrschaft der Monopole«, die »Errichtung einer sozialistischen »Volksmacht«, den Austritt aus allen »imperialistischen Bündnissen« wie NATO und EU sowie die einseitige Annullierung der Schulden, »die nicht das Volk, sondern die Plutokratie« zu verantworten hat. Nach Analyse der KKE verfügt Griechenland über genügend Ressourcen, insbesondere Öl- und Erdgasvorkommen, um sich aus eigener Kraft entwickeln zu können. Jede auf Reformen ausgerichtete Koalition mit anderen linken Kräften im Parlament wird abgelehnt. Der einzige Weg aus der Krise führt für die Kommunisten über den »Schulterschluss mit der KKE und der Zustimmung zu ihrem politischen Angebot, unabhängig von einzelnen Differenzen, die man in Bezug auf den Sozialismus hat«.

Das Linksbündnis SYRIZA dagegen plädiert für eine Koalition aller linken, fortschrittlichen und memorandumsfeindlichen Kräfte. Die umworbenen Bündnispartner reichen dabei von der KKE und dem größten Bündnis der außerparlamentarischen Linken ANTARSYA über die DimAr bis zu den aus der PASOK ausgetretenen Sozialdemokraten. SYRIZA hat detaillierte Vorschläge entwickelt, wie das griechische Schuldenproblem ohne einen radikalen Bruch mit dem Kapitalismus zu lösen wäre. Eckpfeiler dieses Programms bilden dabei die Forderung nach einer Überprüfung der griechischen Verbindlichkeiten auf ihre Legitimität. Ähnlich wie in Argentinien oder Uruguay rechnet man hier mit einer Streichung aller Schulden, die beispielsweise durch korrupte oder aufgezwungene Geschäfte entstanden sind. Der Rest soll dann bei niedrigen Zinsen und erst, wenn Griechenlands Wirtschaft wieder wächst, zurückgezahlt werden. Schlüsselbereiche eines Sozialstaates, wie Bildung, Gesundheit und Kultur sollen allein dem Staat vorbehalten sein; kapitalistische Eigentumsverhältnisse werden nur im Bankensystem infrage gestellt. Hier fordert SYRIZA eine Verstaatlichung der mächtigsten Institute.

In der Frage nach einem Verbleib Griechenlands in Gemeinschaftswährung und EU herrscht in dem aus einem guten Dutzend Organisationen und Parteien bestehenden Bündnis und sogar innerhalb seiner größten Kraft, der Linkspartei Synaspismos, Uneinigkeit. Während die Mehrheit sich für den Versuch, Euro-Zone und EU von innen zu reformieren ausspricht, propagiert ein wachsender linker Flügel die Rückkehr zu einer nationalen Währung und teilweise den EU-Austritt.

Die Demokratische Linke DimAr, eine Abspaltung aus Synaspismos, setzt dagegen auf eine Veränderung der Verhältnisse durch »konstruktive Kritik« und Regierungsbeteiligung. Anstelle der Austeritätspolitik fordert sie »Maßnahmen, die die Wettbewerbsfähigkeit der griechischen Unternehmen stärken«, plädiert für einen »modernen, schlankeren und effektiveren Staat« und spricht sich für die Beibehaltung des Euro und den Verbleib in der EU aus. Ihre Bündnispartner sucht die Demokratische Linke vorzugsweise bei den diversen, von Aussteigern aus der PASOK gegründeten Formationen, eine Allianz mit den »linksradikalen« Kräften innerhalb von SYRIZA dagegen wird abgelehnt.

Nach mit viel Vorsicht zu genießenden Umfragen zufolge würde DimAr bei Wahlen auf 18 Prozent kommen, KKE und SYRIZA könnten je etwa zwölf Prozent erreichen. Für eine Regierungsbildung würde dies aber nur beim Antritt auf einer gemeinsamen Liste reichen, da der stärksten Liste in Griechenland 50 Bonussitze im Parlament zugesprochen werden. Da eine solche Liste allerdings nicht zustande kommen wird, fallen die Bonussitze aller Voraussicht nach an die konservative Nea Dimokratia, der derzeit noch 31 Prozent vorausgesagt werden.

* Aus: neues deutschland, 15. Februar 2012


Wo die warme Wohnung Luxus ist

In Griechenland sind praktisch alle Lebensbereiche von der Krise betroffen

Von Kurt Stenger **


Das Ausmaß der griechischen Sparbeschlüsse ist kaum vorstellbar. Im Alltag der Griechen ist nichts mehr so wie noch vor zwei Jahren.

Das Tief Dieter bescherte Ende Januar auch Griechenland zweistellige Minustemperaturen. Das bereitete nicht nur den Obdachlosen, deren Zahl allein in der Hauptstadt Athen auf rund 20 000 angestiegen ist, große Probleme. Auch viele Familien drehten die Heizung in der Wohnung oder ihrem Haus nur zeitweilig ein bisschen auf, griffen lieber zur Jacke. Der Heizölpreis ist nämlich nach mehreren Verbrauchssteuererhöhungen und der Einführung einer Sondersteuer, Teile der ersten drei Sparpakete, förmlich explodiert. Händlern zufolge stieg er seit dem Vorkrisenherbst 2009 bis Herbst 2011, als die Tanks für diesen Winter befüllt wurden, im Schnitt um 75 Prozent. Also wird weniger geheizt, manche setzen mehr auf Brennholz. Experten rechnen mit dramatischen Folgen: 30 Prozent der ohnehin kärglichen Waldfläche könnten im Winter im Kamin landen.

Ein 75-prozentiger Preisanstieg bei Heizöl ist für Normalverdiener selbst in normalen Zeiten nicht zu verkraften. Umgerechnet auf Deutschland müsste eine Familie in einer 100-Quadratmeter-Wohnung, auf die beim aktuellen Heizölpreis durchschnittliche Jahresausgaben von 1170 Euro zukommen, in zwei Jahren schon rund 2050 Euro hinblättern, während ihr Budget immer kleiner wird.

Doch in Griechenland sind die Zeiten alles andere als normal. Praktisch kein Lebensbereich ist nicht massiv von der Krise betroffen. In staatlichen Krankenhäusern stehen in engen Fünfbettzimmern schon elf Betten, da sich kaum noch jemand den Aufenthalt in einer Privatklinik mehr leisten kann. Medikamente in der Apotheke gibt es nur noch gegen Bares. Selbst in einstigen Flaniermeilen herrscht Tristesse, stehen zwei von drei Läden leer.

Dass nichts mehr ist wie noch vor zwei Jahren, wird klar, wenn man sich die Dimensionen der Kürzungs- und Steuererhöhungspolitik vor Augen führt. Allein die ersten drei Sparpakete 2010 und 2011 haben das Haushaltsdefizit um 6,5 Prozent in Relation zur Wirtschaftskraft gesenkt - und dies bei stark gestiegenen Zinskosten. Auf deutsche Verhältnisse umgerechnet entsprächen die verlangten »Sparanstrengungen« staatlichen Ausgabenkürzungen bzw. Steuererhöhungen im Umfang von 160 Milliarden Euro. Die Summe käme zustande, etwa wenn man die beiden größten Einzeletats im Bundeshaushalt, Soziales und Verteidigung, per Federstrich für zwei Jahre halbieren würde.

Soeben wurde das vierte Sparpaket beschlossen. Auf deutsche Verhältnisse übertragen sieht dieses den Abbau von 360 000 Beamtenstellen vor. Dadurch wächst das Arbeitslosenheer weiter, das seit Ende 2009 schon um mehr als die Hälfte zugenommen hat - in Deutschland wären es plus 1,6 Millionen. Gleichzeitig werden das Arbeitslosengeld und der Mindestlohn um ein Fünftel gesenkt. Übertragen auf Deutschland würde der Ost-Mindestlohn am Bau von 10 auf 7,80 Euro sinken.

Allerdings lässt sich Griechenland nicht 1:1 auf Deutschland umrechnen, dies würde die Lage noch beschönigen. Das Durchschnittsgehalt zwischen Makedonien und Kreta liegt bei nicht einmal 700 Euro - in der Bundesrepublik bei mehr als doppelt so viel -, und das bei höheren Lebenshaltungskosten. Und das stark gekürzte Arbeitslosengeld wird nur für sechs Monate ausgezahlt, danach gibt es nichts mehr. Traditionell springt in Griechenland dann die Familie ein. Doch wie soll sie dies leisten können, wo die warme Wohnung schon Luxus ist.

* Aus: neues deutschland, 15. Februar 2012


»Heuschrecken über Griechenland«

Scharfe Kritik im EU-Parlament an Troika. Athen erwartet für 2012 fünftes Jahr in Folge Rezession ***

Das von der EU und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) durchgesetzte strikte Spardiktat für Griechenland ist im Europaparlament auf deutliche Kritik gestoßen. Vor allem Vertreter der Sozialdemokraten und Grünen sowie der Linken warnten am Dienstag vor den Folgen für die griechische Wirtschaft. Die EU trage damit zur Schwächung des wirtschaftlichen und sozialen Systems in dem Mittelmeerland bei, warnte auch der Chef der sozialdemokratischen Fraktion, der Österreicher Hannes Swoboda, vor Journalisten in Strasbourg. Dies sei zu bedauern. Die Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und dem Internationalen Währungsfonds erinnere an »Heuschrecken«, die Griechenland erpreßten, bevor sie dem Land zu Hilfe kämen, sagte Swoboda. Seine Fraktion werde in Kürze eine »alternative Troika« aus drei ihrer Abgeordneten nach Griechenland entsenden. Diese Troika solle Athen ein »alternatives Programm« vorschlagen, das ebenfalls auf eine Reduzierung der öffentlichen Defizite abziele, zugleich aber Vorschläge zur Ankurbelung der Wirtschaft und zur Schaffung von Arbeitsplätzen vorsehen werde.

Die Finanzminister der Euro-Länder wollen am heutigen Mittwoch über ein zweites Hilfsprogramm in Höhe von 130 Milliarden Euro beraten. Zudem soll die griechische Regierung die grundsätzliche Vereinbarung mit den privaten Gläubigern über einen Schuldenschnitt vorlegen. Dadurch soll der griechische Schuldenberg um 100 Milliarden Euro schrumpfen. Damit soll Griechenland vor dem Bankrott gerettet werden.

Aus Athen kommen derweil düstere Zahlen über die katastrophale Wirtschaftslage des Landes: Die griechische Wirtschaftsleistung schrumpfte im letzten Quartal 2011 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um sieben Prozent, wie die griechische Statistikbehörde unter Berufung auf eine erste Schätzung mitteilte. Für das Gesamtjahr 2011 rechnet Athen laut aktuellem Haushaltsentwurf mit einem Wachstumsrückgang um 5,5 Prozent, für 2012 mit einem Minus von 2,8 Prozent. Griechenland würde sich damit im fünften Jahr in Folge in der Rezession befinden. (AFP/dapd/jW)

*** Aus: junge Welt, 15. Februar 2012


Zurück zur Griechenland-Seite

Zurück zur Homepage