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"Explosive Dimension" in Athen

Regierung streitet über neues Sparpaket, Troika zweifelt an Maßnahmen

Von Olaf Standke *

Die griechische Regierung hat der Troika aus EU, EZB und IWF am Montag in Athen neue Sparvorschläge im Umfang von 11,5 Milliarden Euro übergeben.

Will Griechenland die nächste Kredittranche in Höhe von 31,5 Milliarden Euro erhalten, muss Athen mindestens weitere 11,5 Milliarden einsparen. Nach einem Treffen von Regierungschef Antonis Samaras mit der Gläubiger-Troika übergab die Regierung am Montag neue Sparvorschläge. »Die Maßnahmen sind schwierig, und wir versuchen, die Troika davon zu überzeugen, dass unsere Argumente korrekt sind«, sagte Finanzminister Giannis Stournaras. Zweifel der Geldgeber an Elementen des Sparpaket beunruhigten die Bundesregierung nicht, hieß es gestern in Berlin. Man erwarte aber einen wahrheitsgemäßen Bericht.

Am Abend zuvor konnte sich die griechische Regierung erneut nicht über alle Kürzungen einigen, wie der Chef der linksdemokratischen Dimar-Partei, Fotis Kouvelis, berichtete. Zur Koalition unter konservativer Führung gehören auch die Sozialdemokraten. PASOK-Chef Evangelos Venizelos sprach nach der Runde von Differenzen vor allem über weitere Einschnitte bei Renten und Sozialleistungen. Die linken Koalitionspartner befürchten, dass sie die politische Zeche für den nächsten sozialen Kahlschlag zahlen müssen. Profitiert vom Sparkurs hat bisher die rechtsradikale Partei »Goldene Morgenröte«, die die Ausländerfeindlichkeit im Land massiv schürt. Sie kletterte laut einer aktuellen Umfrage seit dem Parlamentseinzug im Juni um vier auf 10,5 Prozent und wäre damit bei Neuwahlen drittstärkste Kraft hinter der Nea Dimokratia (25 Prozent, minus 5) und der linken SYRIZA (24 Prozent, -3), aber noch vor der PASOK (8 Prozent, -4).

Kein Wunder. Wie dem jüngsten Bericht der nationalen Statistikbehörde Elstat zu entnehmen ist, schrumpfte die Wirtschaftsleistung des Landes im zweiten Quartal gegenüber dem Vorjahr um 6,3 Prozent. Schon im ersten war sie um 6,5 Prozent zurückgegangen. Durch den rigiden Sparkurs wurde auch der Konsum regelrecht abgewürgt. Die Ausgaben der privaten Haushalte sanken im Vergleich zu 2011 um acht Prozent, nachdem sie bereits im ersten Jahresviertel um 8,7 Prozent abgesackt waren. Und nun fordert die Troika die Entlassung von 150 000 Staatsbediensteten. Dann würde die Arbeitslosigkeit, die jetzt schon 24,4 Prozent beträgt, endgültig »explosive Dimensionen annehmen«, wie die PASOK befürchtet. Am Mittwochabend wollen sich die Koalitionspartner erneut treffen.

Derweil sucht Athen nach Wegen, Deutschland wegen Gräueltaten und Zerstörungen während der Besatzungszeit im Zweiten Weltkrieg zu belangen. Im Finanzministerium wurde eine entsprechende Arbeitsgruppe gebildet. Die Opposition verlangt eine Klärung der Reparationsfragen. Berlin hat bisher alle Forderungen als bereits abgegolten zurückgewiesen.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 11. September 2012


Geldsäcke zählen

Gläubigertroika mit griechischen Plänen für Sozialkahlschlag nicht zufrieden. Sie gehen ihr nicht weit genug

Von Heike Schrader, Athen **


Die Diskussion ist schwierig, und schwierig sind die Beschlüsse«, erklärte der griechische Finanzminister Giannis Stournaras am Montag nachmittag nach seinem Treffen mit Vertretern der Gläubigertroika aus EU, IWF und EZB in Athen. In dem etwa einstündigen Gespräch hatten die Gläubiger einen Teil der Maßnahmen des insgesamt 11,5 Milliarden Euro umfassenden Kürzungspakets als unrealistisch abgelehnt. Kernforderung der Troika ist die von der griechischen Regierung bisher abgelehnte Nichtweiterbeschäftigung von 150000 Angestellten im öffentlichen Dienst bis Ende 2015. Ohne diese Entlassungen könne kein Sparprogramm aufgehen, so die Gläubiger. Ihre Umsetzung würde allerdings die bereits im Mai über 23 Prozent liegende Rate der Arbeitslosigkeit in sozial katastrophale Höhen treiben. Insbesondere die Koalitionsparteien ¬PASOK und DIMAR bestehen bei der Reduzierung der Stellen auf eine zumindest abfedernde Vorruhestandregelung.

Außerdem wurden von den Troika-Gesandten die Pläne der Regierung angezweifelt, über weitere Mittelkürzungen bei den Gemeinden und im Gesundheitswesen knapp über zwei Milliarden innerhalb der nächsten beiden Jahre einsparen zu können. In beiden Bereichen gibt es schon jetzt wegen gravierender Steigerungen Milliardenschulden bei Zulieferern und teilweise auch bei Angestellten.

Bei den Militärausgaben kritisierte die Troika, daß die geplanten Einsparungen von insgesamt 517 Millionen Euro gar keine echten Kürzungen seien. Nach den Plänen der Regierung sollten hier 437 Millionen Euro fälliger Zahlungen für bereits getätigte Rüstungskäufe lediglich in die fernere Zukunft verschoben werden. Eine tatsächliche Streichung dieser Mittel dürfte der Troika jedoch auch nicht recht sein, da Griechenland einen Großteil seiner Rüstungsgüter aus der EU und den USA bezieht.

Während Ministerpräsident Antonis Samaras von der Nea Dimokratia noch am Wochenende zugegeben hatte, die geplanten Maßnahmen seien »hart und ungerecht«, drängen die Koalitionspartner PAOSK und DIMAR konkret darauf, »horizontale Kürzungen bei Löhnen und Renten« zu vermeiden. Die bisherigen Verhandlungen zwischen den Chefs der drei Koalitionsparteien hatten zu keiner Einigung geführt und sollen am heutigen Mittwoch abend fortgesetzt werden. Dem Treffen vorausgehen wird eine neue Sitzung des griechischen Finanzministers mit den Vertretern der Troika am heutigen Nachmittag.

Von der linken Opposition wurden die Aussagen von DIMAR und PASOK zu »roten Linien« in den Verhandlungen angezweifelt. »Rote Linien zugunsten des Volkes können von den Parteien, die für die EU und kapitalistische Gewinne eintreten, nicht gezogen werden«, kommentierte die Kommunistische Partei Griechenlands. »Die zentrale Achse der von Regierung und Troika neu vereinbarten Maßnahmen ist die drastische Senkung von Löhnen, Renten, Sozialleistungen, die Abschaffung des Achtstundentages und der kollektiven Tarifverträge und mehr.« Dies sei die »Strategie der EU«, so die KKE.

»Für Herrn Stournaras sind die Milliarden Zahlen«, heißt es in der Erklärung der Linksallianz SYRIZA. »Für die griechische Gesellschaft aber sind sie Arbeitsplätze, Renten, Löhne, sind es Menschenleben, mit denen niemand das Recht hat zu spielen.« Gleichzeitig warf SYRIZA den Parteichefs von PASOK und DIMAR vor, ihre Einwände seien lediglich »kommunikative Spielchen«, mit denen sie vorgäben, »sich darum zu sorgen, ob die Maßnahmen vielleicht den gesellschaftlichen Konsens gefährden«.

** Aus: junge Welt, Mittwoch, 12. September 2012


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