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Sendeschluss für Athener Dreierkoalition

Demokratische Linke steigt aus – Samaras regiert weiter

Von Anke Stefan, Athen *

Griechenland steht vor einer Regierungsumbildung, nicht aber vor Neuwahlen. Seine Regierung werde die vier Jahre der Legislaturperiode im Amt bleiben, versicherte Ministerpräsident Antonis Samaras am Donnerstagabend nach einer turbulenten Sitzung der drei Regierungspartner, bei der es zum Bruch innerhalb des Bündnisses gekommen war.

Evangelos Venizelos, Chef der sozialdemokratischen PASOK, war sich mit dem konservativen Regierungschef Antonis Samaras in der Frage einer Übergangsregelung für die vom Ministerpräsidenten eigenmächtig geschlossene Radio- und Fernsehanstalt ERT einig geworden. Fotis Kouvelis, der Vorsitzende der Demokratischen Linken (DIMAR), hatte indessen darauf bestanden, dass die Medienanstalt ihre Arbeit mit allen Angestellten wieder aufnimmt und bei laufendem Betrieb umgebaut wird. Samaras wollte ihm allenfalls die befristete Wiedereinstellung von 2000 der insgesamt entlassenen 2656 ERT-Mitarbeiter zugestehen.

»Niemand will Neuwahlen. Niemand will Führungslosigkeit«, erklärte der Ministerpräsident noch in der Nacht zum Freitag. »Ich möchte, dass wir alle zusammen voranschreiten, wie wir begonnen haben«, erinnerte Samaras an die Gründung der Dreiparteienkoalition vor genau einem Jahr. Wenn das nicht gehe, werde er trotzdem weitermachen, setzte der Ministerpräsident im Hinblick auf den nicht mehr abzuwendenden Ausstieg der kleinsten Koalitionspartnerin DIMAR hinzu.

Den PASOK-Vorsitzenden, der sich trotz anfänglicher Übereinstimmung mit der DIMAR-Position für einen Kompromiss und den Verbleib in der Regierung entschied, nannte Samaras »mutig«. Auch Evangelos Venizelos hatte dem Ministerpräsidenten zwar vorgeworfen, die ERT-Schließung wie bereits andere Entscheidungen in der Vergangenheit im Alleingang ohne Konsultation mit den Regierungspartnern verfügt zu haben. Er zeigte sich allerdings zuversichtlich, dass man die restlichen drei Jahre der Legislaturperiode im Rahmen einer neu ausgehandelten Koalition »im vertrauensvollen Dialog« zusammenarbeiten werde.

Bei der Regierungsbildung vor einem Jahr hatte nur die konservative Nea Dimokratia (ND) Spitzenpolitiker aus den eigenen Reihen in Minister- und Staatssekretärsämter entsandt. DIMAR und PASOK hatten dagegen lediglich ihnen nahestehende Persönlichkeiten nominiert. Am Freitagmittag beschloss das Exekutivkomitee der DIMAR, die von ihr benannten vier Minister und Staatssekretäre aus der Regierung abzuziehen. Erwartet wird, dass der Ministerpräsident dies zum Anlass nehmen wird, die Regierung generell umzubilden. In diesem Falle könnte auch die PASOK Abgeordnete und andere Spitzenfunktionäre der Partei ins Kabinett entsenden. Ob die Regierungsumbildung noch im Laufe dieses Wochenendes erfolgt, das durch das orthodoxe Pfingstfest am Montag ein verlängertes ist, stand Freitagnachmittag noch nicht fest.

Nach dem Verlust der Stimmen von 14 DIMAR-Abgeordneten verfügt die Regierung nur noch über 153 Sitze im 300-köpfigen Parlament – 125 für Nea Dimokratia, 28 für PASOK. Doch ist nicht ausgeschlossen, dass sich einzelne Abgeordnete der DIMAR der Entscheidung ihrer Parteiführung verweigern und im Regierungslager bleiben.

»Die Dreiparteienkoalition der Gläubigermemorandenpolitik zerfällt unter dem Gewicht der Mobilisierungen des Volkes und des Misserfolges ihrer Politik«, konstatierte der Vorsitzende der größten Oppositionspartei, der Linksallianz SYRIZA. Alexis Tsipras forderte Neuwahlen. Die werden auch von den Parteien der Rechten, den nationalistischen Unabhängigen Griechen und der offen faschistischen »Goldenen Morgendämmerung« verlangt. Letztere könnten in diesem Fall mit einem erheblichen Stimmenzuwachs von bisher sieben auf 11 bis 13 Prozent rechnen.

Die Meinungsverschiedenheiten der Koalitionsparteien änderten nichts an deren volksfeindlicher Politik, kommentierte die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) die neuerliche Krise. »Für das leidende Volk ist es egal, ob die Gläubigervereinbarungen von dieser oder einer anderen gleichartigen Regierung umgesetzt werden«, wandte sich die KKE indirekt gegen Neuwahlen. Die einzige Lösung liege im »Schulterschluss mit der KKE, der Stärkung der Allianz des Volkes für die Abwehr der barbarischen Maßnahmen und einen volksfreundlichen Ausweg aus der Krise mittels des radikalen Sturzes des verrotteten Systems«.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 22. Juni 2013


Griechisches Ideenspiel

Von Anke Stefan, Athen **

Die Linken in der Regierung sind wie das Rauchverbot: Eine gute Idee, aber sie funktioniert nicht«, lautete ein Twitter-Eintrag nach dem Rückzug der Demokratischen Linken (DIMAR) aus der griechischen Regierung. Wahrscheinlich hatte sich deren Chef Fotis Kouvelis allerdings schon früher gefragt, ob die Regierungsbeteiligung überhaupt eine gute Idee war. Denn alle »roten Linien«, die er gezogen hatte, waren von seinen Regierungspartnern ignoriert worden. Wenn er jetzt im Streit um die Wiedereröffnung der Rundfunk- und Fernsehanstalt ERT Härte zeigte, kann das getrost als Vorwand für einen Ausstieg gedeutet werden, an den Kouvelis bereits seit Längerem dachte.

Neuwahlen wird es trotzdem (vorerst) nicht geben. Die beiden verbliebenen Regierungsparteien verfügen immer noch über die Mehrheit im Parlament. Und nicht auszuschließen ist, dass sich die DIMAR bei künftigen Kampfabstimmungen erneut auf die Seite des gerade noch gescholtenen Ministerpräsidenten Antonis Samaras schlägt. Denn im Falle von Neuwahlen könnte sie an der Dreiprozenthürde scheitern.

Sehnlich wünscht sich einen Urnengang dagegen die oppositionelle Linksallianz SYRIZA. Doch selbst wenn sie dadurch zur stärksten Fraktion werden sollte, wofür momentan wenig spricht, fehlte es ihr an Koalitionspartnern. Die Einzigen, die bei Wahlen laut Prognosen erheblich zulegen würden, sind die »Morgenröte«-Faschisten, Sie wären vielleicht sogar der »Notanker« für Samaras, falls es ihm an Partnern mangelte.

** Aus: neues deutschland, Samstag, 22. Juni 2013 (Kommentar)


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