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Athen unter Schirmherrschaft

Furcht vor Repressalien und schlechtes Wetter weichten den griechischen Krisenprotest auf

Von Anke Stefan, Athen *

Der 36. Generalstreik in Griechenland seit Beginn der Kürzungspolitik fand bei strömenden Regen und mit geringer Beteiligung statt.

Mit einem neuen Generalstreik, dem 36., seit das Land im Frühjahr 2010 unter den Europäischen Rettungsschirm schlüpfen musste, wehrten sich am Mittwoch die von den damit verbundenen Kürzungen betroffenen Werktätigen vor allem im öffentlichen Dienst. Erneut blieben zahlreiche Schulen, Behörden, Universitäten und Bankfilialen geschlossen, fielen Zug- und Fährverbindungen aus und wurden in den staatlichen Krankenhäusern nur Notfälle behandelt. Weil sich auch die Fluglotsen über Mittag dem Streik angeschlossen hatten, kam es zu starken Behinderungen im Flugverkehr, einige Inlandsflüge entfielen ganz.

Mit ihrer neuen eintägigen Arbeitsniederlegung protestierten insbesondere die staatlichen Angestellten des Landes gegen die in Umsetzung befindlichen Vereinbarungen ihrer Regierung mit der Gläubigertroika, nach der bis Ende 2014 insgesamt 15 000 Staatsangestellte entlassen werden sollen, 4000 davon noch bis Ende dieses Jahres. Bereits in den vergangenen Monaten wurden Tausende Lehrer, Hausmeister, Reinigungskräfte in Ministerien und andere Angestellte der öffentlichen Hand in eine sogenannte Mobilitätsreserve geschickt, bei der sie für acht Monate lediglich einen Teil ihres Grundgehaltes beziehen. Wer nach diesen acht Monaten nicht anderweitig vom Staat eingesetzt wird oder eigenständig eine neue Stelle gefunden hat, wird endgültig arbeitslos.

»Wir bekommen für acht Monate eine Art Taschengeld von etwa 500 Euro«, erläutert Athina, eine von 595 Reinigungskräften beim Finanzministerium, die geschlossen in dieser Mobilitätsreserve geparkt wurden, gegenüber »nd«. Über ihre Situation nach Ablauf der Schonfrist macht sie sich keine Illusionen. »Es gibt keine staatlichen Pläne, uns an irgendeine andere Stelle im Staatsdienst zu versetzten«, meint die Mittvierzigerin, die über elf Jahre Büros und Flure im Athener Finanzministerium gewienert hat. Bei mehr als 27 Prozent Arbeitslosigkeit sieht sie auch wenig Chancen, auf dem privaten Arbeitsmarkt eine neue Stelle zu finden.

Es sind vor allem die bereits in die Mobilitätsreserve Abgeschobenen wie Athina, die an diesem Mittwoch in Athen Präsenz auf der von den Gewerkschaftsdachverbänden organisierten Streikdemonstration zeigen. Denn diejenigen, die noch eine Stelle haben, befürchten nicht zu Unrecht, eine Streikteilnahme mit der eigenen Versetzung in die gefürchtete Mobilitätsreserve bezahlen zu müssen. Und schon den für die Teilnahme auf jeden Fall fälligen Verlust eines Tageslohns können sich viele bei den in den vergangenen Jahren oft um mehr als die Hälfte gekürzten Bezügen längst nicht mehr leisten.

Die drohende Entlassung bei allzu forschem Eintritt für die eigenen Rechte und der Verlust des Tageslohns halten auch in der privaten Wirtschaft immer mehr vom Kampf um die Verteidigung von Bezügen und Arbeitsrechten ab, die im Verlauf der Krise auch hier drastisch beschnitten wurden. Überdies ist der gewerkschaftliche Organisierungsgrad in der griechischen Privatindustrie, im Handel und im Dienstleistungsgewerbe sehr niedrig. Deswegen blieben auch trotz des Streikbeschlusses des Gewerkschaftsdachverbandes in der privaten Wirtschaft, GSEE, fast alle Betriebe, Kaufhallen und Einzelhandelsgeschäfte geöffnet.

Selbst der Wettergott stand nicht an der Seite der Widerständigen. Und so waren es nur wenige Tausend, die bei strömenden Regen und heftigen Winden durch die Athener Innenstadt vor das Parlament zogen.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 7. November 2013


Tausende vor dem Nichts

Griechenland: Regierung und Gläubigertroika planen weitere Massenentlassungen. Generalstreik legt Verkehr und staatliche Einrichtungen lahm

Von Heike Schrader, Athen **


Tausende Menschen sind am Mittwoch in Griechenland erneut gegen die Kürzungspolitik der Regierung von Antonis Samaras und der Gläubigertroika aus EU, IWF und Europäischer Zentralbank auf die Straße gegangen. Die Beteiligung an diesem erneuten Generalstreik war jedoch schwächer als bei früheren Protesten. Trotzdem blieben erneut zahlreiche Schulen, Universitäten, Behörden, andere staatliche Einrichtungen und Banken geschlossen. Über Mittag kam es zu großen Verspätungen im Flugverkehr, da sich auch die Fluglotsen für vier Stunden dem Ausstand anschlossen. Die Angestellten der Eisenbahn, die gerade privatisiert wird, und die Seeleute nahmen ebenfalls am Generalstreik teil, so daß gestern weder Züge noch Fähren fuhren.

Die bereits im vierten Jahr gegen dramatische Streichungen im öffentlichen Dienst Widerstand leistenden Angestellten wandten sich vor allem gegen die noch 2013 bevorstehende Entlassung von insgesamt 4000 Staatsbeschäftigten. Insgesamt soll bis Ende 2014 sogar mindestens 15000 Angestellten gekündigt werden. Bei der von den Gewerkschaftsdachverbänden GSEE (private Wirtschaft) und ­ADEDY (öffentlicher Dienst) organisierten Demonstration im Zentrum der Hauptstadt dominierten so auch Transparente, mit denen gegen die Stellenstreichungen protestiert und der Wiederaufbau des im Zuge der »Krisenbekämpfung« fast vollständig zerstörten Sozialstaates gefordert wurde.

Auf der zeitgleich abgehaltenen Kundgebung und Demonstration der kommunistisch orientierten Gewerkschaftsfront PAME warf deren Sprecher Manolis Keratonidis den sozialdemokratisch und konservativ orientierten Leitungen vieler Gewerkschaftsorganisationen vor, sich auf den Aufruf zum Ausstand beschränkt zu haben. »In einigen Branchen ist die Teilnahme der Lohnabhängigen am Streik gering«, räumte er vor Tausenden kommunistischen Gewerkschaftern ein. »Der Streik wurde wieder einmal von den mit den Unternehmern und der Regierung verbandelten Gewerkschaftsvertretern untergraben. Diese Kräfte haben nichts getan, nicht einmal einen Finger gerührt. In Dutzenden von Gewerkschaftsorganisationen, die sie unter Kontrolle haben, wurden weder Vorstandssitzungen noch Vollversammlungen abgehalten, nicht einmal informiert haben sie die Arbeiter über den Streik.«

Ein Vergleich der beiden Streikdemonstrationen in der griechischen Hauptstadt bestätigte die Worte des PAME-Funktionärs. Während bei den Kommunisten trotz strömenden Regens mehrere tausend Menschen marschierten, kam die von den Dachverbänden organisierte Kundgebung nur auf einige hundert Teilnehmer, ergänzt durch Mitglieder linker außerparlamentarischer Organisationen. Auch die der griechischen Linkspartei SYRIZA zugehörige Gewerkschaftsformation nahm nur mit einem kleinen Block an der Demonstration der Dachverbände teil.

Gleichzeitig benannte Manolis Keratonidis in seiner Ansprache einen wunden Punkt der seit mehr als drei Jahren geführten Abwehrkämpfe gegen die barbarische Austeritätspolitik von Regierung und Gläubiger­troika. Obwohl die vielen einzelnen Proteste, wie beispielsweise die derzeit im Gesundheitssektor geführte Kampagne gegen die Schließung zahlreicher staatlicher psychiatrischer Anstalten, alle angingen, würden die Streikenden in ihren jeweiligen Arbeitskämpfen selten von Kollegen aus anderen Branchen unterstützt. Ohne Solidarität aber ließe sich kein Kampf dauerhaft und siegreich durchführen.

** Aus: junge welt, Donnerstag, 7. November 2013


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