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Schuldenschnitt löst nicht alle Probleme

Staatsbankrott abgewendet / Spekulanten zocken weiter

Von Hermannus Pfeiffer *

In Griechenland gehen die Probleme auch nach dem Schuldenschnitt weiter - die Spekulanten reiben sich schon die Hände.

Griechenland hat sich Schulden in Höhe von etwa 100 Milliarden Euro entledigt. Damit ist der Weg frei für das neue 130 Milliarden Euro schwere internationale Hilfsprogramm und der Staatsbankrott abgewendet. Doch gerettet ist Griechenland damit längst nicht.

Per Email schickte das griechische Finanzministerium am frühen Freitag die frohe Kunde in die Welt hinaus: 85,8 Prozent der Privatgläubiger haben dem Schuldenschnitt zugestimmt. Überraschend viele, darunter Deutsche Bank und Allianz, Commerzbank und staatliche KfW. Damit ist der Schuldenschnitt »perfekt«, meint Commerzbank-Analyst Christoph Weil. Die Anleihegläubiger müssen auf 53,5 Prozent ihrer Forderungen verzichten. Für den Schnitt werden Alt-Anleihen, die in den nächsten Jahren fällig sind, in neue umgetauscht, die teils bis zum Jahr 2042 laufen.

Der Schuldenschnitt geht aber weniger tief, als es auf den ersten Blick erscheint. So sind die neuen Anleihen mit 46,5 Prozent des alten Wertes weit mehr wert, als die alten auf dem freien Finanzmarkt. Dort konnten Verkäufer ihre griechischen Staatsanleihen zuletzt bestenfalls noch für 15 Euro pro 100 Euro Nominalwert verkaufen. Und für die neuen Wertpapiere bürgen nun alle Euroländer. Damit sind sie aus Sicht der Finanzmarktakteure besonders sicher und attraktiv. Ohnehin haben die meisten Investoren die Verluste längst verdaut: Beispielsweise hatte die Allianz in ihrer Bilanz Griechen-Anleihen von 1,3 Milliarden Euro schon 2011 auf 310 Millionen Euro abgeschrieben. Nach dem Tausch wird die Allianz jedoch neue Hellas-Papiere für über 600 Millionen Euro besitzen. Deren Zinssatz ist mit bis zu 4,3 Prozent doppelt so hoch wie für vergleichbar sichere Geldanlagen, etwa US-Staatsanleihen. Ein klares politisches Signal stellt es dar, dass die Tauschpapiere nach dem kapitalmarktfreundlichen britischen Recht ausgestaltet sind. Alles in allem signalisieren die Euro-Regierungen und die Europäische Zentralbank (EZB), dass sie die Investoren nicht verprellen wollen.

Aus Sicht Griechenlands ist knapp daneben auch vorbei. Zuvor hatte die Regierung des früheren Vizepräsidenten der Europäischen Zentralbank, Lukas Papademos, erklärt, dass der Schuldenschnitt bei einer Beteiligungsquote von weniger als 75 Prozent scheitern sowie bei einer von 90 Prozent und mehr reibungslos vonstatten gehen würde. Nun sind 85,8 Prozent zwar »überaus beachtlich«, wie Jens Kramer von der Norddeutschen Landesbank analysiert, aber eben nicht 90 Prozent. Und so könnte es zu einem gesetzlichen Zwangsumtausch für die restlichen Anleger kommen: »Die zentrale Frage ist nun«, so Kramer, »ob man es darauf ankommen lassen will, den Schuldenschnitt auch für Umtauschunwillige zu erzwingen.«

In diesem Fall würden höchstwahrscheinlich die Kreditausfallversicherungen (Credit Default Swaps, CDS) fällig. Ein Geschäft, das weltweit 20 Großbanken beherrschen, die sich damit gegenseitig absichern; und zudem ein Geschäft, das lange als politisches Druckmittel ausgenutzt wurde. So beträgt das Bruttovolumen zwar knapp 70 Milliarden Dollar, da aber viele Investoren zugleich Käufer und Verkäufer von CDS sind, reduziert sich der Nettoeffekt auf nur etwas 1,7 Milliarden Dollar. Davon dürften dann vornehmlich Spekulanten und private Anleger profitieren, die mit CDS zockten, ohne selbst griechische Staatspapiere zu besitzen.

Um die Finanzmarktakteure zu beruhigen, könnte Griechenland aber auch auf einen Schuldenschnitt bei den überwiegend kleineren Anlegern verzichten, die sich dem Umtausch verweigern. Auch so würde die Schuldenlast um rund 100 Milliarden Euro reduziert. In einer Telefonkonferenz gaben am Freitagmittag die Finanzminister der Eurozone das 130-Milliarden-Rettungspaket frei, mit dem Griechenland in den kommenden Jahren seine Staatsschulden finanzieren kann. Trotzdem bleiben die Schuldenlast Griechenlands sehr hoch und die Wirtschaftsprobleme ungelöst.

* Aus: neues deutschland, 10. März 2012


Pleitegeier müssen warten

Der Schuldenschnitt für Athen verhindert die sofortige Pleite, ohne Perspektiven zu eröffnen

Von Martin Ling **


Die Politiker in Brüssel, Berlin, Paris, Washington und Athen atmen auf, die Normalbevölkerung stöhnt - vor allem in Griechenland. Die Streichung der Schulden wird den Abwärtstrend der Realwirtschaft so wenig stoppen wie das von der EU bewilligte Hilfspaket. Schon jetzt ist jeder zweite Grieche unter 24 Jahren ohne Job.

Die Frist für die Gläubiger endete am Donnerstag (8. März) um 21 Uhr. Die erlösende Nachricht aus Athen wurde kurz nach Mitternacht offiziell bekanntgegeben: 85,8 Prozent der privaten Gläubiger haben der Umschuldung Griechenlands zugestimmt. Kanzlerin Angela Merkel wusste schon am Donnerstagabend, dass es die Griechen geschafft haben. Sie sei »zufrieden« mit dem »ermutigenden Ergebnis«, ließ sie ihren Sprecher Steffen Seibert am Freitag (9. März) nüchtern mitteilen.

Ohne Berlin geht in Brüssel nichts und so war es vor allem die deutsche Regierung, die seit Sommer 2010 immer wieder auf eine Beteiligung des Privatsektors gepocht hatte. Für die Euro-Zone ist die Umschuldung Griechenlands historisch. Erstmals müssen Investoren, die ihr Geld in den lange als sicher geltenden Hafen Euro-Zone angelegt haben, auf viele Milliarden verzichten.

Die Angst vor einer Pleite am 20. März, wenn das aus eigener Kraft zahlungsunfähige Griechenland 14,5 Milliarden Euro Schulden zurückzahlen muss, trieb die EU zum Handeln. Noch am Freitag haben die Euro-Länder einen ersten Teil des zweiten Hilfspaketes für das Land freigegeben. Es seien 30 Milliarden Euro an Garantien für die Umtauschaktion selbst und weitere 5,5 Milliarden Euro für auflaufende Zinsen freigegeben worden, sagte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) nach einer Telefonkonferenz der Euro-Finanzminister.

Bisher galt es für Banken als undenkbar, Staatspapiere eines Euro-Landes abschreiben zu müssen. Entsprechend wenig können die Banker dem Forderungsverzicht abgewinnen. Die Banken zogen am Ende murrend mit: »Das ist so freiwillig wie ein Geständnis in der spanischen Inquisition«, monierte Commerzbank-Chef Martin Blessing.

Die befürchtete ungeordnete Staatspleite Athens mit unabsehbaren Folgen für die Euro-Zone und die Weltkonjunktur ist kurzfristig abgewendet. Daran ändert auch die postwendende Herabstufung von Griechenlands Kreditwürdigkeit wegen des beschränkten Zahlungsausfalls durch die Ratingagentur Fitch nichts.

Wirken kann der Schuldenschnitt mittelfristig indes nur dann, wenn er mit einem Maßnahmenbündel einhergeht: Neben einem auf Zukunftsbranchen orientierten Investitionsprogramm bedarf Athen eines progressiven Steuersystems und einer modernen öffentlichen Verwaltung, die Renten nicht an Tote zahlt und Steuerhinterzieher nicht unbehelligt lässt. All das gibt es weder umsonst noch auf die Schnelle. Von den 130 Milliarden Euro des Hilfspakets fließt dafür kein Cent - sie dienen ausschließlich dazu, die Pleitegeier vom Vollzug abzuhalten.

** Aus: neues deutschland, 10. März 2012

Notverkauf

Aus finanzieller Not will der Enkel des ersten Marathon-Olympiasiegers den Siegespokal verkaufen. Der griechische Nationalheld Spyridon Louis hatte den Pokal für den Triumph bei den ersten Olympischen Spielen der Neuzeit 1896 in Athen bekommen. Die Versteigerung soll am 18. April bei Christie's stattfinden. Der Anfangspreis beträgt 144 000 Euro. »Es war keine leichte Entscheidung. Ich und meine Kinder sind damit aufgewachsen. Ich konnte aber nicht anders«, sagte der gleichnamige Nachfahr Spyridon Louis. Vorschläge, den silbernen Pokal an ein griechisches Museum oder an den Staat zu verkaufen, seien fehlgeschlagen: »Sie sagten, sie haben kein Geld.« Wegen der Finanzkrise sind viele Griechen in Not. Mehr als 21 Prozent sind arbeitslos. dpa, nd




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