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Operation gelungen – Patient bleibt tot

Zu Lust und Risiken des Kapitalverkehrs

Von Lucas Zeise *

Das schwierige Kunststück ist gelungen. Griechenland wurde ein erzwungener Schuldenschnitt ganz freiwillig gewährt. Man kann den Artisten, die dieses akrobatische Finanzkunststück und Happening durchgezogen haben, gratulieren. Der Beschluß, den privaten Gläubigern der griechischen Staatsschulden einen Haircut zuzumuten, war im Juli vorigen Jahres auf einer der zahllosen EU-Gipfelkonferenzen gefallen. Das hatte, wie man sich erinnern mag, die Kapitalisten und Rentiers dieses Globus arg verschreckt. Sie stießen auch spanische und italienische Staatsanleihen ab. Die Euro- und Euro-Staatsschuldenkrise wuchs danach in eine neue Dimension.

Gemessen daran ist die Operation ein voller Erfolg. Der griechische Finanzminister Evangelos Venizelos jubelte am Freitag morgen, daß sage und schreibe 85,8 Prozent der privaten Gläubiger sich bereit erklärt hatten, ihre alten Ramschpapiere in neue, viel sicherere, allerdings nur noch zur Hälfte des Nennwerts, umzutauschen. Nominal schrumpft die griechische Staatsschuld damit um etwa 100 Milliarden Euro. Das mit großem Tamtam beschlossene zweite Rettungspaket der anderen Euro-Staaten könnte nun in der bisherigen Manier, jeweils mit einer politischen Erpressung versehen, Stück für Stück ausbezahlt werden. Die erste Tranche geht an die griechischen Banken, die als Hauptgläubiger den Schuldenschnitt ohne Kredithilfen nicht überleben würden. Sie werden vom griechischen Staat wieder aufgepäppelt mit Mitteln, die die Euro-Partnerländer im Rahmen des Rettungspakets zur Verfügung stellen, was netto die Entlastung aus der Umschuldung erheblich verringert.

Eine Investorengruppe wird bei dem ausgeklügelten Manöver verschont. Es sind die europäischen Notenbanken. Die griechischen Staatsanleihen in ihrem Besitz wurden von jeglicher Abwertung ausgenommen. Unklar ist noch, was mit den Credit Default Swaps (CDS), den handelbaren Kreditversicherungen, geschieht. Um ihretwillen wurde bei der Umschuldungsaktion bis jetzt der Anschein der Freiwilligkeit gewahrt. Bei einem unfreiwilligen Schnitt müßten die Kreditversicherer den Käufern der CDS den Verlust ausgleichen.

Wer sind diese Kreditversicherer, die CDS-Verkäufer? Wir wissen es nicht. Wir wissen nur, daß es sich um einen kleinen Kreis von Investmentbanken handelt (unter ihnen die Deutsche Bank), die bei der hohen Politik erhebliche Protektion genießen. Sie haben die Versicherungsprämie eingestrichen, ohne im nun eingetretenen Versicherungsfall zahlen zu müssen.

An der Börse wurde wie üblich schon einen Tag früher gejubelt, daß der Finanzmarkt den schwierigen Eingriff in das heilige Recht des Eigentums fürs erste gut überstanden hat. Für die Griechen selber allerdings gilt das nicht. Es kommt kein frisches Geld ins Land. Vielmehr fließt Geld hinaus. An der Strategie der EU-Länder unter Führung der deutschen Regierung, die griechische Wirtschaft auf ein Kümmerniveau zu erniedrigen, ändert sich nichts.

* Unser Autor ist Finanzjournalist und Publizist. Er lebt in Frankfurt am Main.

Aus: junge Welt, 10. März 2012



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