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Hilfe für Griechenlands Jugend

Arbeitsbeschaffung auf dem Familienacker: Das Olivenölprojekt »Synergasia« sucht deutsche Kundschaft

Von Hansgeorg Hermann *

Winter in Griechenland: Rauhe See, reduzierter Schiffsverkehr, Schnee und eisige Kälte in den Bergregionen des Eipiros, der Peloponnes, Thessaliens und Thrakiens, Versorgungsmängel auf den Inseln, Krankentransporte mit dem Hubschrauber, feuchte Wohnungen in den Großstädten, ganze Häuserzeilen und Wohnblocks ohne Heizung – Petroleum und Elektrizität sind zu teuer geworden. Alte Menschen erfrieren auf der Straße, obdachlose Flüchtlinge aus Afrika und dem Mittleren Osten sowieso, wenn sie nicht vorher von Rassisten oder der Polizei erschlagen oder in eines der Auffanglager an die Peripherien der Großstädte verfrachtet werden.

Winter in Griechenland, das ist, seit Angela Merkel und ihr Wolfgang Schäuble dafür gesorgt haben, daß »deutsche Sparsamkeit« sich wie ein böser Fluch über das Land gelegt hat, eine Katastrophe der anderen Art, jener, die sich seit neuestem »marktkonforme Demokratie« nennt. Unter der Überschrift »Notstands­terror« hat der linke Philosoph und Gesellschaftstheoretiker Robert Kurz vor einem Jahr analysiert, was in den südeuropäischen Notstandsgebieten passiert und was in den kommenden Jahre für ganz Europa gelten wird: »Die Grenzen der Kapitalverwertung sollen umdefiniert werden in Grenzen der Lebensfähigkeit für die Verlierermassen, der Zusammenbruch der Nationalökonomien in ein kontrolliertes Nebeneinander von kreditfinanzierten Boom-Towns und aufgegebenen Elendsregionen.« (Konkret 3/2012)

Griechenland ist durch faktischen Staatsbankrott unter globalen Krisenbedingungen zum Präzedenzfall geworden, sagt Kurz richtig. Und: »Ein unkontrollierter Vollzug (des Bankrotts) würde nicht nur das europäische Finanzsystem in die Luft jagen und die Folgen der Lehman-Pleite übertreffen. Ein kontrollierter Vollzug aber geht nur, wenn nahezu das gesamte griechische Staatsvolk unter das Existenzminimum gedrückt wird.« Massenarbeitslosigkeit in neuen Dimensionen, Verelendung bis tief in die Mittelschichten, Zusammenbruch der medizinischen Versorgung und der öffentlichen Infrastrukturen – das alles ist inzwischen Wirklichkeit geworden. Die allgemeine Erwerbslosigkeit dürfte in diesem Winter bei mehr als 30 Prozent liegen, die bei den jungen Menschen unter 25 Jahren hat die 60 Prozent überschritten, sogar nach regierungsoffizieller Statistik.

Zusammenarbeit

In dieser Situation ist in Griechenland – vorerst auf den Westteil der Insel Kreta beschränkt, ein Projekt ins Leben gerufen worden, das zunächst einer überschaubaren Zahl von jungen Frauen und Männern Arbeit und echte Entlohnung verschaffen und auf lange Sicht den jungen Menschen einer ganzen Region auf die Beine helfen soll. Die Aktion erhielt den (vorläufigen) Namen »Synergasia« (Zusammenarbeit), sie gründet erstens auf der Hoffnung, daß aus dem einzigen wirklich wertvollen Exportprodukt Griechenlands, dem Olivenöl, eine Lebensgrundlage für jene geschaffen werden kann, die bereit sind – alter Tradition folgend –, auf die Olivenäcker ihrer Familien zurückzukehren. Es gründet, zweitens, auf der vorerst von Ungewißheit begleiteten Annahme, daß ihr auf Familienbesitz (Großgrundbesitzer ausgenommen) geerntetes Produkt in Deutschland wohlwollende Abnehmer finden wird und seinem wirklichen Wert entsprechend verkauft werden kann.

Das Projekt basiert also, wie beschrieben, auf der Zusammenarbeit zwischen Olivenbauern, die in ihren Olivenhainen das Öl gewinnen, und ihren deutschen Kunden, die es ihnen zu einem Preis abnehmen, der dem wahren Wert des Produkts entspricht – auf »Synergasia«, auf Zusammenarbeit.

Ein Wort zum Preis: Die privatwirtschaftlich organisierten und gewinnorientiert arbeitenden landwirtschaftlichen Genossenschaften zahlen ihren Produzenten in diesem Winter 2012/2013 für bestes, selbstverständlich kalt gepreßtes Öl rund zwei Euro pro Kilo (in Griechenland wird Öl in Kilogramm, nicht in Liter abgerechnet). Ein einzelner Olivenbaum trägt, sofern er auf gutem Boden wächst und im Sommer bewässert werden kann, rund 40 Kilo Oliven. Bei einem anzunehmenden Verhältnis von sechs zu eins zwischen Olivengewicht und Ölgewicht (sechs Kilo Oliven entsprechen, optimistisch gerechnet, einem Kilo Öl), gewinnt der Bauer demnach aus der Ernte eines Baumes rund sechs bis sieben Kilo Öl. Bei hundert Bäumen kämen also rund 600 bis 700 Kilo Öl zusammen. Eine sehr »optimistische« Rechnung, die voraussetzt, daß der Acker jedes Jahr gut gedüngt wird, daß die Bäume bewässert werden können und daß das Wetter es gut meint mit den Bauern (heftiger Wind kann eine Ernte ebenso minimieren wie Schadinsekten).

600 Kilo Öl bringen dem Bauern bei einem Preis von zwei Euro pro Kilo 1200 Euro, derzeit ist dies während der Winterzeit die einzige rechenbare Einnahmequelle einer Landfamilie. Abgezogen werden vom Gewinn müssen die Kosten für Dünger und Wasser, die Unterhaltungskosten für ein landwirtschaftliches Fahrzeug plus Treibstoff sowie die Kosten in der Ölmühle.

»Echte« Preise

In den Abnehmerländern, beispielsweise in Deutschland oder Frankreich, liegen die Preise für erstklassiges Olivenöl um das Sechsfache höher. Dort wird gutes Öl, sei es im Lebensmittelgeschäft oder im Verkauf über das Internet, nicht unter zwölf Euro der Liter (etwas weniger als ein Kilo!) angeboten. Jenes Olivenöl, das in Supermärkten für fünf bis sechs Euro in die Regale kommt, gibt keine genaue Auskunft über das Herkunftsland, es verrät wenig über die Zusammensetzung des Produkts und über den Produzenten gar nichts. Nach europäischem Regelwerk darf italienisches, griechisches oder spanisches Olivenöl als solches deklariert werden, wenn mindestens 30 Prozent des Produktes tatsächlich aus dem angegebenen Herstellerland stammen.

Das führte in der Vergangenheit dazu, daß die griechischen Bauern und ihre Genossenschaften, die bis heute auf die weitgehend von mafiösen Strukturen kontrollierten weltweiten Olivenölmärkte kaum Einfluß nehmen konnten, jedes Jahr viele tausend Tonnen ihres wertvollen Öls an italienische oder andere ausländische Händler verkauften. Die brachten es – mit einem geringen eigenen Anteil – als besonders hochwertiges »italienisches« oder mit anderem Ursprungsland deklariertes Öl auf die europäischen und US-amerikanischen Märkte. Und erzielten jene guten Preise und Gewinne, die eigentlich den griechischen Produzenten zugestanden hätten. Nicht nur italienische, sondern auch deutsche Großhändler profitierten in den vergangenen Jahrzehnten von der Unfähigkeit der griechischen Genossenschaften (oder von deren korruptionsgesteuertem Unwillen), ihren Produkteuren »echte« Preise für das Öl zu bezahlen.

Das in den Regalen deutscher Discounter zu Niedrigstpreisen (vier Euro) angebotene Olivenöl ist ein typisches Produkt einer Preispolitik, die überall in Südeuropa die Familienbetriebe zur Aufgabe und zum Verkauf ihrer Olivenhaine gezwungen hat. Die zwangsläufig folgende Konzentration des Ackerlandbesitzes in wenige Hände, die Industrialisierung des Olivenanbaus, die europäische Subventionspolitik zugunsten besonders großer landwirtschaftlicher Einheiten und die am Ende dieser Entwicklung stehende Olivenbaummonokultur haben auf Kreta, auf der Peloponnes und in anderen Regionen Griechenlands inzwischen gewaltige Naturflächen zerstört.

»Echte Preise« für einen kretischen Olivenbauern, solche, die seiner Arbeit und der Qualität seines Produkts entsprechen würden, bewegen sich, je nach Ernte- und Marktsituation zwischen sieben und zehn Euro pro Kilo. Das Projekt »Synergasia«, ins Leben gerufen vom Autor dieses Artikels, von bisher 15 Familien in den kretischen Dörfern Vamos und Doulianà (Bezirk Chanià), von deutschen Freunden in Berlin, Frankfurt am Main und Freiburg, wird das in diesem Winter (Dezember bis Ende Februar) auf Kreta in den genannten beiden Ortschaften geerntete Olivenöl zum Preis von 15 Euro pro Liter verkaufen. In diesem Preis enthalten sind die Kosten der Organisation (Fahrtkosten vor allem, dazu Arbeitszeit und technische Kosten wie Telefongebühren), die Verpackung der Ware in Spezial-Blechkanister, der Transport nach Deutschland und der Weitertransport zum Kunden.

Was nach der Bezahlung der Öl erzeugenden Familien und nach Abzug aller Kosten in der Projektkasse bleibt, soll im kommenden Jahr genutzt werden, um das Netz der dem Projekt angeschlossenen Familien zu erweitern und es in ganz Griechenland bekannt zu machen. Ein Teil des Gewinns soll aber auch, in voller Übereinstimmung mit den Bauern und unter deren organisatorischer und finanzieller Beteiligung, in eine feste Verkaufstelle in Deutschland investiert werden. Gedacht wird an einen ersten kleinen Laden in Berlin, andere könnten folgen. Dort soll dem Kunden ausschließlich bestes Olivenöl (eventuell Oliven selbst, Olivenölnebenprodukte) angeboten werden – in Flaschen verschiedener Größe, in Behältern ab drei Liter Inhalt und, falls technisch möglich, auch aus dem Faß, abgefüllt in vom Kunden selbst mitgebrachte Behälter.

1000 Liter besten Öls

Die Organisatoren des Projekts, also auch der Autor des Artikels, halten es für notwendig, in diesem Frühjahr mindestens eine Tonne, 1000 Liter, an deutsche Kunden zu verkaufen, damit das Projekt Aussicht auf Erfolg hat und im nächsten Winter für die bereits beteiligten Familien, aber auch für viele andere Familien auf Kreta und auf dem Festland interessant würde. »Synergasia« geht zunächst nicht davon aus, biologischen Anbau zu privilegieren – dies würde eine andere, weitaus schwierigere Organisation voraussetzen und besondere, vor allem administrative Anforderungen an die Bauern stellen. Die Unterscheidung zwischen herkömmlich angebauten Oliven und biologischem Anbau wäre aber in einem zweiten Schritt möglich und wünschenswert. Wie bereits beschrieben, geht es zunächst vor allem um eine »Arbeitsbeschaffungsmaßnahme« für erwerbslose junge Menschen – die sich gleichwohl als Olivenarbeiter oder Olivenbauern eine künftige Lebensgrundlage in der Ölproduktion schaffen könnten.

Was ist der Unterschied zwischen Olivenarbeitern und Olivenbauern? Die Bauern, die in das Projekt einbezogen werden sollen, haben kleinere Plantagen (zwischen 50 und 500 Bäume), die ausschließlich von Familienmitgliedern – Töchter, Söhne, Cousins – bewirtschaftet werden und das Einkommen für die Wintermonate sichern. Die Olivenarbeiter können dagegen junge Frauen und Männer sein, die beispielsweise Olivenhaine einer kinderlosen oder im Ausland beheimateten griechischen Familie bewirtschaften. Auf Kreta gehört dem Olivenarbeiter traditionell die Hälfte der Ernte (was er damit macht, ist seine Sache), die andere gehört dem Besitzer der Bäume. Viele junge Kreter haben in den vergangenen Monaten auf diese Weise einen zumindest kargen Lohn für sich und ihre Familien erwirtschaftet. Mit dem Projekt »Synergasia« könnte sich die schwere Erntearbeit in Zukunft sehr viel besser für sie bezahlt machen.

Lieferung Ende April

Das Projekt »Synergasia«, vorerst beheimatet in Paris (Autor des Artikels, Organisation in Deutschland) und Vamos/Kreta (Organisation in Griechenland), geht davon aus, daß die ersten Öllieferungen von Mitte April an in Deutschland eintreffen werden. Auslieferungsorte sind nach bisherigem Stand die Städte Frankfurt am Main, Freiburg und Berlin. Warum erst im April? Das frisch gepreßte Öl benötigt in der Regel zwei Monate, um seine natürlichen Bitterstoffe abzubauen und »süß« zu werden, wie die Bauern auf Kreta sagen. Da alle Organisatoren in ihren angestammten Berufen normale Tagesarbeit haben (Journalisten, Lastwagenfahrer, Lehrer, kleine Unternehmer, Bauern, Tagelöhner, Studenten), wird diese Zeit auch benötigt, um das Projekt zum ersten Mal auf den Weg nach Deutschland zu bringen – zu den Lesern der jungen Welt, unseren möglichen Kunden, an die sich das Projekt in diesem Artikel wendet.

Die technischen Daten der »Synergasia«-Aktion sind kurz: Angeboten werden zunächst nur Fünfliter-Metallkanister (innen speziell beschichtet) mit Namensnennung der Produzenten, der Olivenmühle und der Region. Flaschenabfüllung ist vorerst zu teuer, Flaschen sind schwer zu transportieren (Gewicht, Bruchgefahr). Kanister sind leicht, unproblematisch im Transport und können raumsparend gepackt oder gelagert werden. Bei einem Liter-Preis von 15 Euro kostet ein Fünfliterkanister 75 Euro, das ist in etwa der Jahresvorrat eines normalen deutschen Verbrauchers (eine griechische Familie verbraucht zwischen 80 und 150 Liter pro Jahr). Geliefert wird nach Bankeinzahlung auf das Geschäftskonto des Projekts in Paris (vorerst kein Konto in Griechenland, die Bauern ziehen es zur Zeit vor, nicht allzuviel Einnahmen über ihr eigenes Girokonto vor Ort abzuwickeln). Die Bezahlung erfolgt nach der Bestellung über die unten angegebene E-Mailadresse des Autors, die Bestellung wird auch per E-Mail bestätigt, ebenso wie eingegangene Zahlungen. Geliefert wird mit jeder Bestellung ein Qualitäts-Zertifikat des »Instituts für Olivenanbau« in Chanià/Kreta, eines der bekanntesten und renommiertesten wissenschaftlich-landwirtschaftlichen Institutes Europas.

Zum Schluß noch einige Sätze zu dem, warum in Merkels Kürzungspolitik nicht nur griechische Zeitungen den »häßlichen Deutschen« wiederentdeckt haben. Das Wort hat noch einmal Robert Kurz: »Griechenland bietet sich auch deshalb als Experimentierfeld der neuen demokratischen Krisenverwaltung an, weil dort eine ebenso isolierte wie perspektivlose Jugendrevolte als Sparringpartner herhalten kann. Es paßt durchaus ins Bild, daß der griechische Staatshaushalt sozial auf Null gefahren wird, während sich das Militärbudget 2012 im Vergleich zum Vorjahr fast verdoppelte. Die damit verbundenen Schulden werden auch von den Sparkommissaren wohlwollend wahrgenommen, denn die Bestellungen in Athen machen immerhin 15 Prozent des Umsatzes deutscher Waffenschmieden aus (…). Die bloße antideutsche Wut der Griechen aber geht den deutschen Exportchauvinisten am Arsch vorbei, denn das fällige Pogrom richtet sich (in Griechenland) real gegen afrikanische Flüchtlinge und sonstige Migranten.«

Dem ist nicht viel hinzuzufügen. – Nur noch die Adressen des Projekts und die freundliche Bitte, es mit der Bestellung eines Kanisters erstklassigen Olivenöls zu unterstützen!

* Aus: junge Welt, Ostersamstag, 30. März 2013

Olivenöl bestellen!

Adresse des Autors und Bestell­adresse:
Hansgeorg Hermann, 44 rue du château d’eau, 75010 Paris.
E-Mail: hermann@otenet.gr
Telefon: 0033/142017144.
Organisation in Vamos/Kreta:
Giorgos Chatsidakis, Vamos/Chanion,
E-Mail: yiorgos@liakoto-artcafe.gr
Telefon: 0030/6939983958




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