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Griechenland im Ausnahmezustand

Staatsbedienstete und Fluglotsen läuten weitere Protestrunde gegen die Sparpläne ein

Von Anke Stefan, Athen *

Mit einem 24-stündigen Streik wehrten sich am Donnerstag (7. Okt.) Staatsbedienstete in Griechenland gegen weitere Kürzungen ihrer Bezüge. Behörden, Schulen und Universitäten blieben geschlossen, in den staatlichen Krankenhäusern arbeitete nur ein Notdienst. Die Fluglotsen des Landes beteiligten sich für vier Stunden am Ausstand, wodurch am Nachmittag zahlreiche Flüge ausfielen.

Im Zuge des von EU, Internationalem Währungsfonds (IWF) und griechischer Regierung ausgehandelten Sparprogramms zum Abbau des Staatsdefizites waren den öffentlichen Angestellten bereits in der Vergangenheit die Bezüge um etwa 20 Prozent gekürzt worden. Als Gegenleistung für die dem hoch verschuldeten Land versprochenen Milliardenkredite sollen nun darüber hinaus zahlreiche Lohnzulagen ganz gestrichen werden. Dabei liegen die Gehälter der Staatsangstellen in Griechenland nach Recherchen des Gewerkschaftsdachverbandes ADEDY jetzt schon 48 Prozent unter den durchschnittlichen EU-Bezügen bei Staatsbediensteten.

Schon die bisherigen Sparmaßnahmen haben die stark binnenmarktorientierte Wirtschaft des Landes schwer geschädigt. Durch Lohn- und Rentenkürzungen, drastische Erhöhungen der Mehrwert- und anderer Verbrauchssteuern sowie die Drosselung der staatlichen Investitionen ist die Kaufkraft der Bevölkerung dramatisch eingebrochen. Lag die Arbeitslosigkeit 2009 noch bei 9 Prozent, so ist sie im Zuge des Sparprogramms bereits auf 11,6 Prozent gestiegen. Einhellig sagen Wirtschaftsexperten ein weiteres Ansteigen auf 14,5 im Jahr 2011 und auf 15 Prozent im Jahr 2012 voraus.

Vor diesem Hintergrund sei es eine Lüge, wenn in Umfragen suggeriert würde, die Bevölkerung sei mit den harten Sparmaßnahmen einverstanden, erklärte der Vorsitzende der Gewerkschaft der Gemeindeangestellten im Athener Stadtteil Vyron auf der Streikkundgebung in Athen. »Die Menschen sind gegen die Maßnahmen, sie verurteilen die von der Troika aus EU, IWF und Europäischer Zentralbank eingeforderte Politik. Die Beteiligung an den Streiks und den Demonstrationen ist zwar nicht immer so hoch, aber die Unzufriedenheit ist eine allgemeine«, erläuterte Christos Panagiotopoulos. Dementsprechend sei man auch bereit, weiterzukämpfen, bis die angesprochene Troika des Landes verwiesen und die volksfeindlichen Maßnahmen zurückgenommen worden seien.

Über die Beteiligung am aktuellen Streik konnte sich der aufrufende Dachverband der Gewerkschaften im Öffentlichen Dienst, ADEDY, sicher nicht beklagen. Landesweit beteiligten sich nach dessen Angaben über 67 Prozent aller Staatsangestellten an dem eintägigen Ausstand. Und das, obwohl die Mehrheit der gewerkschaftlich organisierten Staatsbediensteten der regierungsparteinahen Gewerkschaftsfraktion PASKE angehört.

Doch auch in den Reihen der Anhänger der regierenden PASOK wächst die Unzufriedenheit über die Politik der eigenen Partei. Aussagen wie die des Vizeministerpräsidenten Theodoros Pangalos, unterschiedslos alle hätten sich in der Vergangenheit am reichlich gedeckten Staatstisch gütlich getan, wirken dabei wie ins Feuer gegossenes Öl. »Hey Dicker«, hieß es in Athen auf den Plakaten der PASKE in den Gemeindeverwaltungen, neben einem Bild des stark übergewichtigen Pangalos, »wir haben da nicht gemeinsam gegessen ... Aber wir sind es, die die Rechnung bezahlen.«

Den in der kommunistisch orientierten Gewerkschaftsfront PAME organisierten Staatsangestellten gehen die Mobilisierungen der ADEDY dagegen nicht weit genug. »Heute reicht es nicht, die Folgen der Maßnahmen festzustellen und unserer Unzufriedenheit Ausdruck zu geben«, erklärte Lambrini Christogianni auf der getrennt abgehaltenen PAME-Streikkundgebung in Athen. »Die Krise ist keine aus heiterem Himmel, sondern die Folge der kapitalistischen Entwicklung«, so die PAME-Gewerkschafterin im Ministerium für Landwirtschaftliche Entwicklung. Zu ihrer Überwindung brauche es nicht nur die Abwehr des Sparprogramms, sondern die Überwindung der kapitalistischen Produktionsweise, die solche Krisen hervorbringe.

* Aus: Neues Deutschland, 8. Oktober 2010


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