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"Es reicht" den Griechen

Generalstreik gegen Sparkurs der Gläubigertroika

Von Anke Stefan, Athen *

Ein Generalstreik gegen die jüngsten Sparmaßnahmen legte am Dienstag das öffentliche Leben in Griechenland teilweise lahm. Unter dem Motto »Es reicht« hatten die beiden großen Gewerkschaftsverbände für die Privatwirtschaft (GSEE) und den öffentlichen Dienst (ADEDY) ihre Mitglieder mobilisiert.

So kurzfristig wie der gestrige war bisher keiner der über zwei Dutzend Generalstreiks gegen die über Griechenland verhängte Austeritätspolitik angesetzt worden. Unmittelbar nachdem sich abzeichnete, dass die Gläubigertroika aus EU, IWF und Europäischer Zentralbank nicht gewillt ist, den Beschluss der Tarifpartner aus Gewerkschaften und Unternehmerverbänden zur Beibehaltung des Mindestlohns sowie des 13. und 14. Monatsgehalts zu akzeptieren, hatten die beiden Dachverbände am Montag (6. Feb.) einen allgemeinen Ausstand für den folgenden Tag ausgerufen.

Zwar standen am Dienstag nicht »alle Räder still«, in Behörden, Schulen, Banken und Krankenhäusern gab es jedoch erhebliche Behinderungen.Viele Schiffe und Züge fielen aus, und der öffentliche Nahverkehr der Hauptstadt arbeitete nur, um die Tausenden Teilnehmer der Streikkundgebungen ins Athener Zentrum zu transportieren.

Darunter waren auch die Mitarbeiter der im Konkursverfahren steckenden Discountkaufhäuser von Alex Pak. Ihnen schuldet das Unternehmen die letzten zwei Monatslöhne, je 270 Euro netto bei zwei Arbeitstagen pro Woche. »Wir sitzen in der Falle«, erzählt Maria. »270 Euro sind weniger als das Arbeitslosengeld, aber wenn wir jetzt kündigen, verlieren wir jeden Anspruch auf Abfindung.«

Alex Pak ist kein Einzelfall. Obwohl unzählige Unternehmen bereits drastische Lohnkürzungen vorgenommen haben, sind im vergangenen Jahr Zehntausende meist kleiner und mittlerer Betriebe in Konkurs gegangen. Sollte die Inlandskaufkraft durch Lohnkürzungen weiter gesenkt werden, würde dies das Aus für Hunderttausende Firmen bedeuten, befürchteten selbst die griechischen Unternehmerverbände. Ganz zu schweigen von den »Nebenwirkungen« der von der Gläubigertroika unbeirrt verfochtenen 20-prozentigen Kürzung des kargen Mindestlohns von 751 Euro. Denn damit würde auch das in Griechenland an den Mindestlohn gekoppelte feste Arbeitslosengeld von knapp 470 auf etwa 370 Euro sinken.

Niemand zweifele mehr daran, dass die Maßnahmen der letzten zwei Jahre nicht mit dem Ziel der Rettung des Landes und der Wirtschaft verhängt wurden, erklärte Alexis Tsipra, der Vorsitzende der Parlamentsfraktion der griechischen Linksallianz SYRIZA, auf der Streikkundgebung der Dachverbände in Athen. Es handele sich vielmehr »um einen Plan zur Verarmung der Griechen und zum Ausverkauf des öffentlichen Eigentums gegen ein Linsengericht«. Der gestrige Generalstreik dürfte nur der Auftakt einer neuen Streikwelle gewesen sein. GSEE und ADEDY haben bereits angekündigt, am Donnerstag eine »Zuspitzung der Kämpfe« zu beraten.

* Aus: neues deutschland, 8. Februar 2012


Wut auf die Troika

Von Heike Schrader, Athen **

Tausende Menschen haben sich am Dienstag in Athen an den Demonstrationen während eines erst einen Tag zuvor beschlossenen landesweiten Generalstreiks beteiligt. Sie protestierten damit gegen die unzumutbaren Forderungen der Gläubigertroika nach einer 20prozentigen Kürzung des Mindestlohns von bisher 751 Euro sowie die angekündigte Streichung von 15000 Stellen im öffentlichen Dienst noch in diesem Jahr.

Die Wut der Demonstranten richtete sich auch gegen die am Montag von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy gemeinsam vorgeschlagene Einrichtung eines Sonderkontos, in das Griechenland zumindest einen Teil seiner Staatseinnahmen zur Schuldentilgung einzuzahlen hätte. »Keine abwegige Idee«, äußerte wenige Stunden später Euro-Gruppen-Chef Jean-Claude Juncker seine Zustimmung zu diesem neuen Vorstoß für die Bildung eines griechischen Protektorates durch die Mächtigen der Europäischen Union.

So gut wie niemand in Griechenland glaubt mehr, daß der soziale Kahlschlag oder die Abschaffung von Branchentarifverträgen der von den Herrschenden unermüdlich ins Feld geführten »Rettung des Landes« dienen. Kurzentschlossen hatten deshalb die beiden Gewerkschaftsdachverbände GSEE (private Wirtschaft) und ­ADEDY (öffentlicher Dienst) am Montag den Generalstreik ausgerufen.

Die Beteiligung daran und auch die Zahlen der Demonstrierenden lagen am Dienstag nicht in den von vorangegangenen Generalstreiks gewohnten Höhen. Dennoch wurde landesweit der Zugverkehr lahmgelegt. Viele Schulen und Banken blieben geschlossen, staatliche Krankenhäuser hielten nur einen Notbetrieb aufrecht. Die im Vergleich zu den vorhergehenden Generalstreiks geringere Beteiligung wurde durch die unbestrittene Signalwirkung einer landesweiten Mobilisierung innerhalb von 24 Stunden wieder wettgemacht. Beide Dachverbände wollen am morgigen Donnerstag über eine mögliche Zuspitzung der Kämpfe beraten.

Für eine solche Verschärfung sprach sich der Vorsitzende der Gewerkschaft GENOP-DEI der bereits teilprivatisierten Stromgesellschaft DEI aus. »Jetzt müssen harte Auseinandersetzungen geführt werden«, erklärte Nikos Fotopoulos im Gespräch mit jW. Seine Gewerkschaft hat sich auf ihre Fahnen geschrieben, nicht zuzulassen, daß den kleinen Wohnungsbesitzern, die die neu eingeführte Sondersteuer auf Immobilien nicht bezahlen, der Strom abgedreht wird. Um den Ausdruck der entsprechenden Bescheide zu verhindern, besetzte die Gewerkschaft im November vergangenen Jahres das Rechenzentrum der Stromgesellschaft. Fotopoulos muß sich derzeit zusammen mit 14 weiteren Kollegen wegen »Hausfriedensbruch und Behinderung öffentlicher Arbeiten« deswegen vor Gericht verantworten.

Während der ursprünglich den Reihen der PASOK-nahen Gewerkschaftsfraktion PASKE zugehörige ­GENOP-DEI Vorsitzende auf die Kampfbereitschaft der Dachverbände setzt, werden diese von der kommunistisch orientierten Gewerkschaftsfront ­PAME als Teil des Problems gesehen. Als »Desorientierung der Lohnabhängigen« bezeichnete ­PAME-Sprecher Ilias Stamelos auf der getrennt abgehaltenen Kundgebung seiner Gewerkschaftsfront die Strategie des Dachverbands GSEE, angesichts des Drucks der Troika mit den Unternehmervertretern über die Rettung des Mindestlohns im Gegenzug für Senkungen bei den Lohnnebenkosten zu verhandeln.

** Aus: junge Welt, 8. Februar 2012


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