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EU lässt Athen zappeln

Finanzminister stellen Griechenland neues Ultimatum bis Mittwoch

Von Kurt Stenger *

Athen bleibt im Schwitzkasten der Euro-Partner. Diese haben wieder ein Ultimatum gestellt - wird es nicht erfüllt, ist die Pleite da.

Die griechische Regierung hat das geforderte neue Kürzungspaket pünktlich zum Treffen der Euro-Finanzminister am Donnerstagabend beschlossen - doch diese lassen Athen zappeln. »Wir haben noch nicht alle Bestandteile für eine Entscheidung auf dem Tisch«, sagte der Chef der Eurogruppe, Luxemburgs Premier Jean-Claude Juncker. Erst am kommenden Mittwoch bei einem Sondertreffen soll das eigentlich fertige, zweite Hilfsprogramm im Umfang von 130 Milliarden Euro auf den Weg gebracht werden. Ohne neue Kredite wäre das Land Anfang März pleite.

Die Finanzminister setzten Athen ein Ultimatum. Vor ihrem Treffen muss das griechische Parlament die harten Maßnahmen verabschieden; dieses kommt am Sonntag zusammen. Des weiteren sollen die Chefs der Regierungsparteien in Athen sich schriftlich verpflichten, am geforderten Sparkurs festzuhalten; im April stehen Parlamentswahlen an, die neue Konstellationen bringen können. Die ultrarechte Splitterpartei LAOS hat zudem angekündigt, dem neuen Sparpaket nicht zuzustimmen. Und schließlich muss die Regierung konkrete Maßnahmen zur Einsparung weiterer 325 Millionen Euro benennen. Die Koalition hatte sich nicht auf alle verlangten Einschnitte bei Zusatzrenten geeinigt. Im Gespräch sind angeblich nun Kürzungen im Verteidigungsetat.

Wie das jüngste Treffen zeigt, agieren die Euro-Finanzminister zunehmend wie allmächtige Gläubiger, die auf Teufel komm raus ihre Kredite bedient haben sollen. Zwar ist die deutsche Idee eines Sparkommissars für Athen vom Tisch. Mit Interesse wurde aber der jüngste Vorschlag des Duos Merkel/Sarkozy aufgenommen, ein Sperrkonto für griechische Steuereinnahmen einzurichten, aus denen vor allem die Kredite der Eurostaaten bedient werden sollen. Bislang haben diese aus dem ersten Rettungspaket gut 50 Milliarden Euro nach Athen überwiesen.

Dagegen will sich die Europäische Zentralbank, die griechische Anleihen im Nennwert von rund 50 Milliarden Euro hält, indirekt nun doch am Schuldenschnitt beteiligen, über den eigentlich nur private Gläubiger mit Athen verhandelt haben - inzwischen offenbar mit einem Ergebnis. Bis die Papiere fällig werden, winkt der EZB ein satter Gewinn von rund 12 Milliarden. Ein Teil davon könnte, so eine Idee von EZB-Chef Mario Draghi, an die Euroländer transferiert werden, die dieses Geld dann an Athen weiterreichen könnten.

Da sich das neue Kreditprogramm für Griechenland verzögert, wird es im deutschen Bundestag wohl erst am 27. Februar beraten werden, wie Linksparteichef Klaus Ernst am Freitag mitteilte. Zuvor hatte Kanzlerin Angela Merkel und ihr Finanzminister die Spitzen der im Bundestag vertretenen Parteien über den Zeitplan informiert. Die Oppositionsfraktionen drängten dabei auf Wachstumsimpulse für Griechenland und für Europa insgesamt.

* Aus: neues deutschland, 11. Februar 2012


Griechenland steht still

Generalstreik legt Leben in vielen Städten des Landes lahm

Von Anke Stefan, Athen **

Ein neuer Generalstreik hat das öffentliche Leben im hoch verschuldeten Griechenland am Freitag (10. Feb.) weitgehend paralysiert.

Griechenland atmet durch, wenn auch nicht auf. Mit einem zweitägigen Generalstreik, dem zweiten innerhalb dieser Woche wehren sich Griechenlands Erwerbstätige gestern und heute gegen ein neues Abkommen mit der Gläubigertroika. Noch am Sonntag will die Regierung das Sparpaket im Parlament abstimmen lassen. Darin werden im Gegenzug für ein neues Kreditpaket im Höhe von 130 Milliarden Euro neue Einschnitte, unter anderem die Entlassung von 150 000 Staatsbediensteten, weitere Kürzungen bei den Renten und die Absenkung der Löhne auch in der privaten Wirtschaft gefordert. Vollkommen unklar ist weiterhin, wie die von der Troika geforderte Einsparsumme von 325 Millionen Euro erbracht werden soll.

Gestern legten landesweit mehrere hunderttausend Beschäftigte die Arbeit nieder, Zehntausende nahmen an den überall im Land stattfindenden Protesten teil. In Athen kam es dabei am Rande der Demonstration der Gewerkschaftsdachverbände zu Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und vermummten Demonstranten aus dem anarchistischen Spektrum.

Widerstand schlägt der Vereinbarung aber auch von anderer Seite entgegen. In einer dramatisch aufgezogenen Pressekonferenz erklärte am Freitag der Vorsitzende der ultrarechten LAOS, Giorgos Karatzaferis, seine Partei werde die erst Mittwochnacht innerhalb der Regierungskoalition unter Lucas Papademos ausgehandelte Zustimmung zu den Maßnahmen doch nicht mittragen. Umfragen zufolge verliert die rechtsextreme LAOS seit ihrer Einbindung in die Regierungsverantwortung als Juniorpartner in die Koalitionsregierung aus sozialdemokratischer PASOK, konservativer Nea Dimokratia und LAOS massiv Stimmen, vor allem an die offen faschistische Partei Chrisi Avgi (Goldene Morgendämmerung). Dem Populisten Karatzaferis ist jedoch zuzutrauen, dass er seine Meinung bis zur parlamentarischen Abstimmung am Sonntag erneut ändert.

Bereits am Donnerstag (9. Feb.) war der PASOK-Staatssekretär im Arbeitsministerium, Giannis Koutsoukos, aus Protest gegen die neuen Einschnitte zurückgetreten, am Freitag verkündet sein Parteikollege, Pavlos Stasinos, seinen Rücktritt vom Parlamentssitz. Beide werden von Nachrückern ersetzt. Die PASOK-Abgeordnete Milena Apostolaki dagegen erklärte gestern, sie werde gegen die Vereinbarung stimmen.

Doch auf Gläubigerseite ist man noch unentschlossen, ob die nächste Tranche ausgezahlt werden soll. Ohne diese wäre Griechenland bereits im März vor die Wahl gestellt, entweder Löhne und Renten nicht mehr zu bezahlen oder die Zahlung seiner Schulden einzustellen. Am 20. März wird eine Rückzahlung von 14,5 Milliarden Euro fällig, die Athen ohne Hilfe nicht bedienen kann. Ob mit oder ohne Staatsbankrott: Wie das Land aus der Rezession herauskommen soll, steht bestenfalls in den Sternen über Athen.

** Aus: neues deutschland, 11. Februar 2012


»Raus aus der EU!«

Von Heike Schrader, Athen ***

Bereits zum zweiten Mal innerhalb einer einzigen Woche sind die Erwerbstätigen Griechenlands am Freitag (10. Feb.) in einen landesweiten Generalstreik getreten. Nach dem Ausstand vom vergangenen Dienstag wurde die erneute Protestaktion auf 48 Stunden ausgedehnt. Für Samstag nachmittag haben die beiden Gewerkschaftsdachverbände GSEE (private Wirtschaft) und ADEDY (öffentlicher Dienst) sowie zahlreiche Organisationen der Linken und der Zivilgesellschaft zu Massenprotesten vor dem griechischen Parlament aufgerufen.

Hintergrund der Protestaktionen sind die aktuellen Forderungen der Gläubigertroika aus EU, IWF und Europäischer Zentralbank, die im Gegenzug für ein neues Kreditpaket über 130 Milliarden Euro weitere gnadenlose Einschnitte zu Lasten der Bevölkerungsmehrheit verlangt. Es sollen nicht nur staatlichen Ausgaben und Renten weiter gekürzt, sondern auch in Jahrzehnten erkämpfte Errungenschaften des Tarifrechts mit einem Federstrich beseitigt werden. So würden die Löhne aller nach dem griechenlandweit geltenden Tarifvertrag Bezahlten um 22 Prozent gekürzt. Weil sich beide dafür eigentlich zuständigen Seiten, die GSEE und die Unternehmerverbände, gegen diesen beispiellosen Bruch der Tarifautonomie ausgesprochen haben, bestand die Troika auf Durchsetzung ihres Diktats durch die Regierung. Diese hatte sich den Forderungen am Donnerstag gebeugt und will den Horrorkatalog noch am Sonntag im Eilverfahren vom Parlament abnicken lassen.

Während am Freitag Hunderttausende die Arbeit niederlegten, versammelten sich Zehntausende zu Protestdemonstrationen überall im Land. Die kommunistisch orientierte Gewerkschaftsfront PAME hatte ihre Anhänger bereits zum vierten Mal in dieser Woche zu Massenkundgebungen in mehreren Dutzend Städten aufgerufen. Allein in Athen folgten dem viele Tausend. »Selbst wenn die Erwerbstätigen ihr eigenes Fleisch für die Rückzahlung der Schulden geben würden, ließe sich der Konkurs nicht vermeiden«, erklärte die Generalsekretärin der Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE), Aleka Papariga, auf der Kundgebung in der Hauptstadt. »Deswegen gibt es nur eine Lösung: Die Loslösung von der EU und die einseitige Annullierung der Schulden. Alles andere ist eine Tragödie für die Lohnabhängigen.«

Tausende weitere Menschen versammelten bei der kleineren Kundgebung der Gewerkschaftsdachverbände direkt vor dem griechischen Parlament. »Wenn wir heute längst nicht so viele sind, wie wir sein müßten, liegt das vor allem an den Bremsern in den Spitzen der Dachverbände, die keine breite Mobilisierung organisieren«, erklärte Giorgos von der Gewerkschaft bei der griechischen Stromgesellschaft, ­GENOP-DEI, gegenüber junge Welt. Er selbst gehört der Gewerkschaftsfraktion PASKE an, die der sozialdemokratischen Regierungspartei PASOK nahesteht und die Mehrheit in der GSEE hat. Durch seine Teilnahme am Ausstand verliert er seinen Tageslohn von 60 Euro. Viele seiner Kollegen können dieses Opfer nur schwer bringen, weiß er.

Parallel zu den beiden Großdemos fanden in Athen zahlreiche kleine Kundgebungen vor öffentlichen Gebäuden statt. Darüber hinaus besetzten PAME-Gewerkschafter das Arbeitsministerium, während das Finanz- und das Gesundheitsministerium von deren eigenen Angestellten okkupiert wurden.

*** Aus: junge Welt, 11. Februar 2012


Protektorat Südost

Griechenland wird ausgehungert

Von Werner Pirker ****


Man muß kein Ökonom sein, um zu begreifen, daß das von der deutschen Kanzlerin und ihrem französischen Spießgesellen den Griechen aufgezwungene »Sparpaket« der reine Wahnsinn ist. Denn solche Programme würgen bei gleichzeitigem Fehlen von Wachstumsanreizen die Wirtschaft ab, führen zur Rezession, die wiederum neue Kürzungen »zwingend erforderlich« macht. Das ist die wirtschaftliche Seite der Misere, von der sozialen ganz zu schweigen. Denn daß vor allem die kleinen Leute zu sparen haben, ist das wichtigste Gesetz der neoliberalen Ökonomie.

Die Arbeitslosigkeit in Griechenland beträgt mittlerweile 19,2 Prozent. Das Gesundheitswesen liegt schwer krank darnieder – Operationssäle müssen geschlossen werden, weil kein neues Personal mehr eingestellt werden darf. In Schulen werden Lebensmittelkarten an unterernährte Schüler ausgegeben. Die Selbstmordrate ist steil angestiegen.

Das reicht der Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und IWF noch nicht. Der griechischen Regierung werden Massenentlassungen, Lohnkürzungen, Rentensenkungen bisher nicht gekannten Ausmaßes sowie die Minimierung des Mindestlohnes und des Arbeitslosengeldes abverlangt, will sie auf das EU-»Rettungspaket« zugreifen. Und obwohl das Technokratenkabinett in Athen sich ohnedies zu jeder Gemeinheit bereit zeigte, ist damit das EU-Reservoir an demütigenden Auflagen noch lange nicht ausgeschöpft. Es wird verlangt, daß das Parlament dem zwischen Regierung und den Finanzkontrolleuren von EU und IWF ausgehandelten Abkommen zustimmt, die Regierungsparteien sich schriftlich zu dem von Brüssel vorgegebenen Programm bekennen und zusätzliche 325 Millionen Euro aus dem Etat gestrichen werden.

Wenn in Europa deutsch gesprochen wird, wird ein peripherer Staat wie Griechenland flugs zum Protektorat. Angesichts des deutschen Machtgehabes ergeben sich griechische Anspielungen auf die Hitler-Wehrmacht gewissermaßen von selbst. Das mag zwar übertrieben und »politisch unkorrekt« sein, gibt aber eine reale Tendenz wieder. Die Tendenz zur Unterwerfung der europäischen Peripherie und zur Suspendierung der Demokratie in den abhängigen Ländern. Angesichts der Allmacht der EU-Kommissare bleibt von Griechenlands demokratischen Institutionen nur die Fassade. Deutschland setzt in Griechenland großmachtpolitisch fort, womit es in den Ländern des ehemaligen Jugoslawiens begonnen hat. Das Ergebnis wäre die Kosovoisierung des ganzen europäischen Südens.

Ein Volk, das andere Völker unterdrückt, wußten schon Marx und Engels, könne selbst nicht frei sein. Der Wettbewerbsvorteil, der Deutschland zum Exporteuropameister machte, ergab sich aus der extremen Lohnzurückhaltung hierzulande. Und dieses »deutsche Modell« soll nun in ganz Europa umgesetzt werden. Darin liegt der eigentliche Sinn des EU-Projekts: europaweite Umverteilung von unten nach oben.

**** Aus: junge Welt, 11. Februar 2012


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