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Glasbruch in der Eurozone

Rösler droht mit Rauswurf Griechenlands aus der gemeinsamen Währung *

Bundeskanzlerin Angela Merkel will den Griechen offenbar kein Geld mehr geben. Finanzminister Wolfgang Schäuble möchte unterdessen den »Troika«-Bericht abwarten.

Die Lage Griechenlands spitzt sich erneut zu. Aus deutschen Regierungskreisen verlautete, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel ein drittes Hilfspaket für Griechenland ablehnt, wie die »Süddeutsche Zeitung« am Montag berichtete. Ein Regierungssprecher wollte sich nicht zu Merkels angeblicher Aussage einlassen.

Nach Angaben der EU-Kommission sind die Experten der »Troika« aus EU, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) ab heute wieder in Griechenland und prüfen, ob das Land die ihm vorgegebenen Sparauflagen eingehalten hat. Dabei zeichnet sich immer mehr ab, dass Griechenland die Auflagen nicht erfüllen kann. Der Bericht der »Troika« soll im September folgen. Athen hofft auf Hilfen im August und September in Höhe von 12,5 Milliarden Euro. Weiterhin hofft es auf mehr Zeit für die Umsetzung der Reformen. So muss Griechenland am 20. August 3,2 Milliarden Euro an die EZB zurückzahlen. Dieses Geld fehlt dem Land.

Am Sonntagabend sagte Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) in der ARD, dass »wahrscheinlich Griechenland seine Auflagen nicht wird erfüllen können«. In diesem Fall würde er weitere Hilfen für das Land ablehnen. »Für mich hat ein Austritt Griechenlands längst seinen Schrecken verloren«, so Rösler.

Dagegen beschwichtigte Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) in der »Bild«, er wolle den nächsten »Troika«-Bericht abwarten. Doch auch er warnte: »Wenn es Verzögerungen gegeben hat, muss Griechenland diese aufholen.« Der IWF versicherte, Griechenland weiterhin dabei unterstützen zu wollen, »seine wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu überwinden.«

Kritik an den Äußerungen der Regierungsmitglieder kommt von der Opposition: »Da wird die Sache ja nicht billiger«, sagte SPD-Chef Sigmar Gabriel am Montag im Bayrischen Rundfunk über einen möglichen Austritt Griechenlands aus der Eurozone. Stattdessen fordert er, Athen mehr Zeit für die Erfüllung der Sparauflagen zu geben. Für Lisa Paus, Bundestagabgeordnete der Grünen, sind »Rufe nach einem Austritt Griechenlands aus der Eurozone billiger Populismus«.

Der finanzpolitische Sprecher der LINKEN, Axel Troost, warnte gegenüber »nd« vor der Wirkung der Worte von Bundeswirtschaftsminister Rösler: »Die Äußerungen sind völlig verantwortungslos gegenüber Griechenland und den anderen südeuropäischen Ländern.« Schon jetzt reagierten die Kapitalmärkte massiv auf solche Meldungen. Ein Austritt Griechenlands aus dem Euroraum würde die Mehrheit Griechen in eine sozial- und wirtschaftspolitische Katastrophe führen. »Damit wäre die ganze Krisenpolitik der Regierung gescheitert«, so Troost.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 24. Juli 2012


Pleitegerüchte um Hellas

Kein Geld mehr? IWF und BRD haben angeblich Geduld mit Athen verloren **

Glaubt man den Medien, zieht der Pleitegeier immer engere Kreise über Griechenland. Berichte, nach denen der Internationale Währungsfonds (IWF) als einer der großen Geldgeber sich nicht mehr an den nächsten Hilfszahlungen für das Land beteiligen will, bestätigte am Montag die deutsche Bundesregierung zwar nicht. Äußerungen führender Koalitionspolitiker machten aber deutlich, daß auch in Deutschland kaum noch Bereitschaft besteht, bei einem negativen Befund der Experten von IWF, EU-Kommission und Europäischer Zentralbank (EZB) im September weitere Hilfskredite freizugeben.

Das Land wartet derzeit nach Angaben aus dem Berliner Finanzministerium auf die Freigabe einer Tranche von gut 31 Milliarden Euro aus dem zweiten Hilfeprogramm des IWF und des Euro-Fonds EFSF. Ob sie gezahlt wird, hängt davon ab, ob die Troika aus IWF, EU-Kommission und EZB Athen auf gutem Wege bei der Erfüllung der »Spar«- und »Reformauflagen« sieht. Die Inspekteure reisen dieser Tage wieder in das Land und sollen ihren Abschlußbericht Anfang September vorlegen. Bisherige Informationen, auch aus der griechischen Regierung, lassen aber erwarten, daß es gegenüber dem Zeitplan zu Verzögerungen gekommen ist, nicht zuletzt wegen der beiden Parlamentswahlen in den vergangenen Monaten. Den griechischen Wunsch nach mehr Zeit und Neuverhandlungen haben die deutsche Regierung und andere EU-Staaten wiederholt abgewiesen.

Auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble signalisierte in einem Bild-Interview wenig Bereitschaft zu Zugeständnissen. »Wenn es Verzögerungen gegeben hat, muß Griechenland diese aufholen«, sagte er.

Noch weiter war am Vorabend Wirtschaftsminister Philipp Rösler im ZDF vorgeprescht. Was Griechenlands Verbleib in der Euro-Zone angehe, sei er »mehr als skeptisch«. Wenn das Land seine Zusagen nicht erfülle, könne es keine Hilfen mehr erwarten. Der Fall eines Austritts aus dem Währungsraum habe nicht nur für ihn inzwischen seinen Schrecken verloren, so der FDP-Mann.

IWF, EU-Kommission und Euro-Länder haben Griechenland bislang knapp 150 Milliarden Euro geliehen. Brüssel rechnet nicht vor September mit Klarheit über die nächste Hilfstranche. »Die Entscheidung wird erst fallen, wenn die laufende Bewertung abgeschlossen ist«, sagte ein Sprecher. (Reuters/jW)

** Aus: junge Welt, Dienstag, 24. Juli 2012


Menschen, nicht Märkte

Von Simon Poeichau ***

Es ist nicht das erste Mal, dass aus Kreisen der Bundesregierung auf Griechenland eingedroschen wird. Doch in den letzten Tagen war es besonders hart. Die Stimmen zu einem möglichen Austritt Griechenlands aus der Eurozone wurden immer lauter. Griechenland soll keine Gelder mehr bekommen, wenn es seine Auflagen nicht erfüllt. Dann geht das Land bald bankrott und muss höchstwahrscheinlich aus der Eurozone austreten. Ein solches Szenario hat für Wirtschaftsminister Rösler seinen Schrecken verloren, wie er im ARD-Interview sagte.

Was ihn offenbar nie geschreckt hat, sind die sozialen Einschnitte und die extreme Armut, die die griechische Bevölkerung im Rahmen der neoliberalen Krisenpolitik erleiden muss. Bei einem möglichen Rauswurf Griechenlands aus der Eurozone würde sich deren Lage noch einmal erheblich verschlechtern. Das ist einem Herrn Rösler reichlich egal, denn ihm geht es letzten Endes darum, dass die freie Marktwirtschaft funktioniert. Da darf der Wirtschaftsfaktor Mensch nicht zu teuer werden.

Genau das ist der Fehler der aktuellen Krisenpolitik: Nicht die Menschen, sondern die Banken und Märkte versucht man die ganze Zeit zu retten. Und mit diesem Zynismus gegenüber der südeuropäischen Bevölkerung schneidet sich der Bundeswirtschaftsminister noch dazu ins eigene Fleisch: Meldungen mit Aussagen wie der seinen drückten den DAX am Montag gleich ins Minus.

*** Aus: neues deutschland, Dienstag, 24. Juli 2012 (Kommentar)


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