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Gnadenfrist für griechischen Staatssender

Von Anke Stefan, Athen *

Das Urteil des griechischen Obersten Verwaltungsgerichtshofes fiel klar aus: Alle Fernseh- und Radioprogramme der öffentlich-rechtlichen Medienanstalt ERT müssen zunächst den Betrieb wieder aufnehmen.

Damit gab das Gericht dem Einspruch der vor einer Woche gekündigten 2656 Angestellten der ERT statt. Andererseits bestätigte der Verwaltungsgerichtshof grundsätzlich die Rechtmäßigkeit des Regierungserlasses zur Auflösung der ERT und Einrichtung eines neuen Trägers des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und Fernsehens. Bis die von Finanzminister Giannis Stournaras angekündigte Anstalt NERIT aufgebaut ist, soll nach dem Willen des Verwaltungsgerichtes ein eingesetzter Geschäftsführer die Funktionen der Geschäftsleitung bei der ERT übernehmen.

Das für die Regierung geradezu salomonische Urteil bot der wegen der vom Ministerpräsidenten Andonis Samaras angeordneten Schließung zerstrittenen Regierung eine goldene Brücke, um ihren Streit zu beenden. Denn auch die kleinen Koalitionspartnerinnen PASOK und DIMAR hatten sich für einen Umbau der ERT ausgesprochen. Der sollte ihrer Meinung nach allerdings bei laufendem Betrieb vorgenommen werden, da Griechenland nicht ohne öffentlich-rechtliches Fernsehen und Radio bleiben könne. Dies sei nicht möglich, hatte Samaras dagegen seinen Entschluss begründet, die Medienanstalt zu schließen. Der Verwaltungsgerichtshof bot beiden nun den unterschriftsreifen Kompromiss an: Die ERT bleibt auf Sendung, bis parallel dazu die neue NERIT aufgebaut ist.

Wenn die Regierungskrise in Griechenland damit trotzdem noch nicht beigelegt ist, so liegt dies daran, dass der Ministerpräsident mit seinem Schließungserlass zum wiederholten Mal eine Entscheidung getroffen hat, ohne den Willen der Vorsitzenden von PASOK und DIMAR zu berücksichtigen.

Man habe anfangs über die ERT gesprochen, erklärte PASOK-Vorsitzender Evangelos Venizelos am späten Montagabend nach Beendigung der Krisensitzung der drei Parteiführer. Vor allem aber sei es in den Gesprächen um Einhaltung von Regeln für die Zusammenarbeit der Parteien gegangen. Die Regierung könne »nicht als Einparteienregierung agieren, die ihre beiden anderen Partnerinnen nur toleriert«.

Die Dreiparteienregierung sei keine Regierung allein der Nea Dimokratia, sagte auch DIMAR-Vorsitzender Fotis Kouvelis. Für heute ist eine weitere Gesprächsrunde der drei Parteiführer angesetzt. In der wird es wohl unter anderem um die von beiden Juniorpartnerinnen der Regierung geforderte Kabinettsumbildung gehen.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 19. Juni 2013


Nicht weiter so in Athen

Von Klaus Joachim Herrmann **

Die Lösung der jüngsten griechischen Krise erfolgt auf den ersten Blick nach einer überraschend schlichten Formel: Alle machen weiter. Der geschlossene staatliche Radio- und Fernsehsender nimmt seinen Betrieb so bald wie möglich wieder auf und die Koalitionsregierung stellt ihren nicht ein – sie bleibt so lange wie möglich.

Ganz einfach »weiter so« heißt das aber nicht. Durch nassforsche Schließungen von Medien wird der konservative Regierungschef so bald nicht mehr hervortreten. Er müsste sich erneut gegen den Willen zur Demokratie, die Öffentlichkeit, gegen Solidarität über Landesgrenzen hinweg und auch den griechischen Verwaltungsgerichtshof stellen. Der Sender wiederum ist zwar vorerst in seiner Existenz bestätigt, nicht aber in seinem Aufwand – er wird, wenn auch bei laufendem Betrieb, gründlich umgebaut und also bitter sparen müssen.

Die Dreiparteienregierung erscheint als solche erst einmal gestärkt. Das Modell einer Einparteienregierung, deren Tun von zwei willfährigen Partnern demütig beobachtet wird, ist gescheitert. Die Juniorpartner wollen künftig nicht nur gefragt werden. Sie drängen nicht nur auf eine Kabinettsumbildung, sondern auf Mitsprache. Das macht das Regieren nicht leichter, aber bei den gewaltigen Problemen des Landes vielleicht ausgewogener und etwas weiser. Wenn auch Europa sensibler geworden ist, hätten alle etwas von der Überwindung der letztlich eher kleinen für die Bewältigung der ganz großen Krise gewonnen.

** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 19. Juni 2013 (Kommentar)


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