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Venizelos greift nach der Macht

Wahl des griechischen Finanzministers zum Vorsitzenden der sozialdemokratischen PASOK gilt als sicher

Von Anke Stefan, Athen *

Evangelos Venizelos, Griechenlands derzeit starker Mann, tritt an die Spitze der Sozialdemokratie. Die Chancen zur Regierungsübernahme durch die PASOK stehen allerdings schlecht.

Am Wochenende wird in Griechenland gewählt. Es geht aber nicht um ein neues Parlament, sondern um einen Nachfolger für Giorgos Papadreou an der Spitze der PASOK. Der Sieger steht schon fest: Nur dem amtierenden Vizevorsitzenden und Finanzminister der Regierung von Lucas Papademos, Evangelos Venizelos, gelang es am vergangenen Wochenende im Nationalrat der PASOK, die für eine Kandidatur erforderlichen 94 Stimmen von den 375 Mitgliedern zusammenzubringen. Klar an dieser Hürde scheiterten der vor Kurzem zurückgetretene Minister für Öffentliche Ordnung Christos Papoutsis und der Parlamentarier Stefanos Tzoumakas.

Die Frage am Sonntag (18. März) ist also nicht, wer neuer Vorsitzender der PASOK wird, sondern wie viele »Mitglieder und Freunde der PASOK« der Aufforderung zur Stimmabgabe folgen werden. Der scheidende Vorsitzende Papandreou hatte in einer vergleichbaren Situation im Februar 2004 noch über eine Million Stimmen erhalten. Damals hatte Ministerpräsident Kostas Simitis den Parteivorsitz abgegeben, um eine drohende Wahlniederlage der PASOK eventuell noch abwenden zu können. Die Rechnung ging nicht auf, aus den Wahlen am 7. März 2004 ging die konservative Nea Dimokratia mit Kostas Karamanlis als Ministerpräsident hervor.

Dasselbe Schicksal droht nun Venizelos, denn seine Partei hat wegen der seit über zwei Jahren betriebenen Sparpolitik viele Anhänger und Mitglieder verloren. Um die Basis dennoch zur Stimmabgabe zu motivieren, wirbt der Apparat von Venizelos unter Aufbietung aller modernen Technologien wie SMS, E-Mail und sozialen Netzwerken, aber natürlich auch mit dem traditionellen Telefonat für den Urnengang. Bereits in seiner Rede vor dem Nationalrat, aber auch auf einer Pressekonferenz am Donnerstag hatte Venizelos klar gemacht, dass er die gemeinsam mit seinem Vorgänger Papadreou eingeschlagene Politik fortsetzen wird. So bezeichnete er die vor Kurzem zustande gekommene Vereinbarung über einen Schuldenschnitt in Höhe von mehr als 100 Milliarden Euro als großen Erfolg für das Land auf dem Weg aus der Krise. »Die Erniedrigung, die wir erlebt haben, die Wunden, die unserem nationalen Stolz zugefügt worden sind, der Schaden, den der internationale Ruf des Landes erlitten hat, werden nun Schritt für Schritt wieder korrigiert.« Vorrangiges Ziel sei es, das Wirtschaftswachstum des Landes zu beleben. Dafür sei es unerlässlich, dass die PASOK als stärkste Partei aus den für Ende Mai oder Anfang Juni in Aussicht gestellten Wahlen hervorgehe, betonte Venizelos. Nur als stärkste Partei könne die PASOK die ihr zukommende bestimmende Rolle spielen. Auf die Frage nach möglichen Koalitionspartnern antwortete er ausweichend.

Der Griff nach der Regierungsmacht wird Venizelos jedoch wahrscheinlich nicht so schnell gelingen. Allen Umfragen zufolge wird die konservative Nea Dimokratia von Antonis Samaras als stärkste Partei aus den Wahlen hervorgehen. Selbst der zweite Platz könnte ihr von der Demokratischen Linken unter Fotis Kouvelis streitig gemacht werden.

Konkurrenz bekommt die PASOK seit Kurzem sogar von ehemaligen Mitgliedern. Am Mittwoch verkündeten die vormalige Arbeitsministerin Louka Katseli und der frühere Innenminister Haris Kastanidis die Gründung ihrer Partei der »Gesellschaftlichen Übereinkunft«. Beide waren aus Fraktion und Partei ausgeschlossen worden, weil sie dem jüngsten Sparmemorandum in Verbindung mit dem Schuldenschnitt ihre Zustimmung verweigert hatten. Ziel der »Gesellschaftlichen Übereinkunft« sei es, »die negative Ausrichtung des Memorandums zu annullieren«, erklärte Parteivorsitzende Katseli auf der Gründungsveranstaltung.

Nach seiner Wahl zum Parteivorsitzenden werde er als Finanzminister und Vizepremier zurücktreten, um sich auf den Wahlkampf zu konzentrieren, kündigte Venizelos an. Wer das Amt übernimmt, ist offen. Spekulationen, nach dem Vorbild des Italieners Mario Monti könnte Papademos selbst das Ressort übernehmen, wurden vorerst vom Regierungssprecher dementiert.

* Aus: neues deutschland, 17. März 2012


Muss Griechenlands Linke die Neuwahlen fürchten?

Die Linksopposition gewinnt in der Bevölkerung an Ansehen. Ihre Chancen könnte sie sich selbst verbauen

Von Dominic Heilig **


Erstmals seit dem Ende der Militärjunta ist die Linke in Griechenland wieder ein ernst zu nehmender Machtfaktor. Seit den 80er Jahren vereinigte sie, wollte man die Panhellenische Sozialdemokratie (PASOK) mitzählen, knapp 50 Prozent der Stimmen auf sich. Nun werden ihr für vorgezogene Neuwahlen im April auch ohne die Sozialdemokraten knapp 42 Prozent vorausgesagt. Die gemeinsame Ablehnung der Austeritätspolitik durch die Linke allein führt dennoch nicht zu gemeinsamem Handeln. Muss die griechische Linke also trotz guter Umfragewerte Neuwahlen fürchten?

Der »SPIEGEL« verglich ihn kürzlich mit »Elvis«, wenn er die Bühne betritt. »BILD« bezeichnete ihn als »Halbkriminellen«, der »offen mit gewalttätigen Anarchisten« sympathisiere, diese vermutlich finanziere. Über Alexis Tsipras, 37 Jahre junger Vorsitzender der radikalen Bündnislinken Synaspismos, wurde zuletzt auffällig oft, wenngleich nur holzschnittartig, auch in deutschen Medien berichtet. Dies mag zum einen an seinen aktuellen Popularitätswerten liegen. Laut einer Umfrage gilt er 39 Prozent der Befragten als beliebter Politiker. Allein als »beliebt« zu gelten - bei der durchaus verständlich hellenischen Politikerverdrossenheit -, ist ein Wert an sich. Aufmerksamkeit erhält der Vizevorsitzende der Europäischen Linken aber vor allem wegen der für sein Parteienbündnis SYRIZA guten Umfragewerte von rund zwölf Prozent und der zumindest rechnerisch linken Mehrheit bei den für April angekündigten vorgezogenen Neuwahlen. Denn im Bündnis mit der zentralistisch-leninistischen Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE), der ebenfalls zwölf Prozent der Stimmen zugesprochen werden, und der Demokratischen Linken (DimAr), die auf rund 18 Prozent in den letzten Umfragen kommt, könnte die radikale Linke ohne die sozialdemokratische PASOK über 40 Prozent der Wähler auf sich vereinigen. Könnte! Denn wie so oft in der Geschichte der radikalen Linken stehen sich die Protagonisten und Parteien beinahe unversöhnlich gegenüber.

Spaltung oder Vielfalt der Linken?

Dass aus der linken Mehrheit nach den Parlamentswahlen vermutlich nichts wird, daran ist auch das griechische Wahlrecht nicht ganz unschuldig. Denn dieses gewährt dem Wahlsieger, sozusagen als Bonus, 50 zusätzliche Sitze in dem 300 Plätze zählenden Parlament. Um diese Bonussitze zugesprochen zu bekommen, müssten KKE, DimAr und SYRIZA eine gemeinsame Wahlliste bilden. Doch dazu wird es nicht kommen, vermutlich nicht einmal zu einer Koalition oder auch nur tief greifender Kooperation nach dem Urnengang. Was nach dem Systemzusammenbruch 1989 in Osteuropa von links fortan als Vorteil gedeutet wurde - die Pluralität der Linken und die daraus resultierende Existenz gleich mehrerer linker Parteien in den Parlamenten -, erweist sich nun als Bumerang. Denn »politisch lässt sich das nicht addieren«, wie es der Chef der Demokratischen Linken, Fotis Kouvelis, zusammenfasste. Kouvelis ist sogar noch populärer als sein Konterpart Tsipras. Beide kennen sich. Sie konkurrierten 2008 um den Vorsitz von Synaspismos. Kouvelis verlor den Machtkampf und gründete 2010 seine Demokratische Linke. Diese könnte mit rund 18 Prozent zweistärkste Kraft nach einem neuerlichen Bürgervotum werden. Politisch steht Kouvelis' Demokratische Linke irgendwo zwischen PASOK und SYRIZA, plädiert für einen Verbleib in der Eurozone und der EU und will über »konstruktive Kritik« die Wettbewerbsfähigkeit griechischer Unternehmen zur Überwindung der Krise steigern. Die exekutiven Sparmaßnahmen haben die Demokratischen Linken im Parlament stets abgelehnt und umwerben nun ausgeschlossene PASOK-Mitglieder. Um diese bemüht sich auch das Parteienbündnis SYRIZA, dessen einflussreichster Bestandteil Tsipras' Synaspismos ist. Das Linksbündnis fordert eine Koalition aller linken, fortschrittlichen Kräfte. SYRIZA, das vor allem unter Akademikern Zuspruch findet, ist die wohl am stärksten in den sozialen Protestbewegungen Griechenlands verankerte Linkspartei und muss auch nach innen mit der Vielfalt der radikalen Linken leben. In der Vergangenheit machte SYRIZA durch heftige Flügelauseinandersetzungen Schlagzeilen. Die bislang proeuropäische Positionierung hat darunter zuletzt gelitten und die Frage nach dem Verbleib in der EU wird mittlerweile nicht mehr von allen eindeutig bejaht. Bereits vor Beginn der aktuellen Krisenproteste in Griechenland unterstützte Synas-pismos den vor allem jungen Protest an Schulen und Universitäten. Eine willkommene Angriffsfläche für konservative Parteien. Doch nicht nur für diese. Auch DimAr-Chef Kouvelis sieht in derlei Unterstützung lediglich ein »steriles Dagegensein«. Die seit 20 Jahren amtierende Generalsekretärin der KKE, Aleka Papariga, wirft Synaspismos vor, den »Kapuzenträgern« (gemeint sind gewaltbereite Demonstranten, D.H.) auf den Rücken zu klopfen. Wenig Verständnis für Ränkespiele

Da kommt es schon mal vor, dass sich die der KKE zuzurechnende Gewerkschaft »Militante Front aller Arbeiter« (PAME) mit gewaltbereiten Demonstranten aus dem anarchistischen Spektrum vor dem Parlament in Athen Straßenschlachten liefert. In dem Maße, wie sich die PASOK in den letzten Jahrzehnten dem europäischen Mainstream annäherte und ihre sozialpolitische Programmatik über den Haufen warf, verbarrikadierte sich die KKE in einem ganz eigenen Dogmatismus und schloss immer wieder KritikerInnen und ReformerInnen aus der Partei aus. Die KKE lehnt jede Form der Reformierung des bestehenden Systems ab und fordert den Austritt aus dem »imperialistischen Bündnis EU«. Jeder auf Reform ausgerichteten Koalition im Parlament wird von ihr eine Absage erteilt. Alle ihr nicht angeschlossenen oder nahestehenden Organisationen werden kritisch beäugt. Als »revolutionäre Organisation« und »Avantgarde der Arbeiterklasse« sieht sie die »Stunde der Entscheidung« gekommen und fordert dazu auf, sich gegen die griechische Plutokratie hinter der KKE zu versammeln. Das, wen wundert es, lehnen sowohl Kouvelis als auch Tsipras ab.

So kommt es zu dem Paradoxon, dass die griechische Linke trotz ihrer momentanen Stärke Neuwahlen fürchten muss. Die Mehrheit der Griechen, die eine sozial- und wirtschaftspolitische Kurskorrektur fordert, dürfte wenig Verständnis für die Ränkespiele eben jener Parteien haben, die bislang als einzige ihre Zustimmung zu allen Spardiktaten der Regierung Papademos verweigert haben. Doch ist es akzeptabel, angesichts der sich dramatisch verschärfenden sozialen Situation im Land einen durch die Bevölkerung nicht legitimierten Technokraten aus dem Bankenmilieu, wie es Lucas Papademos ist, weiter regieren zu lassen? Und ist es hinnehmbar, dass von der Zerstrittenheit der politischen Linken auch Rechtsnationalisten profitieren oder sogar die »Morgenrot-Faschisten« (Chrysi Avgi) die Drei-Prozent-Hürde überwinden?

Gemeinsame Themen gibt es genug

Dabei liegen die Gemeinsamkeiten auf der Hand. Und zumindest für eine Übergangszeit sollte es möglich sein, diese in eine Koalition einzubringen. Weder KKE noch SYRIZA oder DimAr würden etwa einen Koalitionsvertrag unter dem Diktat von Schäuble oder IWF beschließen. Vielmehr könnte ein Dreierbündnis zum Beispiel damit beginnen, die Kapitalflucht ins Ausland zu stoppen, Verbindlichkeiten auf ihre Rechtmäßigkeit zu prüfen, das Bankenwesen unter öffentliche Kontrolle zu stellen, den Militärhaushalt drastisch herunterzufahren, die Privatisierungen in der öffentlichen Daseinsvorsorge rückgängig zu machen, die Mindestrenten anzuheben, kostenlose Essensversorgung an Schulen und in Kindertagesstätten einzuführen, die wenigen Vermögenden im Lande gerecht zu besteuern, Korruption abzubauen und das Leben von Migranten und Flüchtlingen endlich zu schützen. Die radikale Linke könnte beispielsweise den von der EU und ihrer Grenzschutzagentur FRONTEX geforderten Bau des Grenzzauns zur Türkei abbrechen. Elf Kilometer Stacheldraht nach US-amerikanischen Vorbild kosten bereits jetzt drei Millionen Euro, die bislang aus dem griechischen Haushalt entnommen werden sollen. 200 Kilometer sollen insgesamt gesichert werden. Finanziell ist das angesichts der Milliardenschulden des Landes nicht viel, aber ein Anfang wäre es allemal. Von der Sicherung des Überlebens von Tausenden von Flüchtlingen aus Afrika ganz zu schweigen.

Den Menschen in Griechenland überhaupt wieder Hoffnung zu geben, ihnen zu zeigen, dass ihre Proteste, Streiks und Wahlzettel etwas zählen, müsste die allererste Aufgabe der radikalen Linken im Mutterland der Demokratie sein. Debatten über einen möglichen Austritt Griechenlands aus Eurozone oder EU müssen warten. Wenn die drei Linksparteien das nicht hinbekommen, sollen sie einfach nach Hause gehen und besser gar nicht erst antreten.

** Dominic Heilig, Diplom-Politikwissenschaftler und Autor, arbeitet als Koordinator des Arbeitskreises »Demokratie, Bildung, Wissen & Kultur« in der LINKEN-Bundestagsfraktion. Er kommentiert regelmäßig den Zustand der europäischen Linken.

Aus: neues deutschland, 17. März 2012


Die "Großen" verlieren an Zustimmung

Die Griechen verlieren nach jüngsten Umfragen immer mehr das Vertrauen in die beiden großen Parteien, die die Übergangsregierung des parteilosen Finanzexperten Lucas Papademos stützen. So kämen die bis vergangenen November allein regierenden Sozialisten (PASOK) nur noch auf elf Prozent der Stimmen (2009: 44 Prozent). Die Konservativen würden 28 Prozent (2009: 34 Prozent) erreichen. Sie wären auf einen oder mehrere Koalitionspartner angewiesen. Demoskopen betonen jedoch, dass 27,5 Prozent der Befragten nicht sagen, wen sie wählen würden. Gute Werte allerdings erhält Ministerpräsident Papademos: 45 Prozent der Befragten sprachen ihm das Vertrauen aus. Die Neuwahlen sollen entweder Ende Mai oder Anfang Juni stattfinden.




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