Papandreou gibt den Griechen wieder Hoffnung
Von Anke Stefan, Athen *
Die oppositionelle PASOK unter Giorgos Papandreou hat die vorgezogenen Parlamentswahlen am
Sonntag (4. Okt.) klar gewonnen und die bisher regierende konservative Nea Dimokratia in die Opposition
geschickt.
Von einem historischen Sieg wie 1981 sprachen am Morgen danach die griechischen Zeitungen.
Damals hatte die sozialistische PASOK unter Parteigründer Andreas Papandreou zum ersten Mal
nach der Militärdiktatur (1967-1974) die Nea Dimokratia von Konstantinos Karamanlis abgelöst.
Künftig regiert Giorgos Papandreou, Sohn des Parteigründers. Die bisherige Nea-Dimokratia-
Regierung von Kostas Karamanlis, Neffe des gleichnamigen ehemaligen Ministerpräsidenten,
unterlag der mittlerweile aus dem sozialistischen ins sozialdemokratische Lager gewechselten
PASOK mit mehr als 10 Prozentpunkten. Noch in der Wahlnacht trat Kostas Karamanlis auch von
seinem Posten als Parteiführer zurück. Ein neuer Vorsitzender wird auf einem außerordentlichen
Parteitag innerhalb eines Monats bestimmt werden.
Konkret bekam die PASOK 43,94 Prozent der abgegebenen etwa sieben Millionen Stimmen. Bei
einem Bonus von 40 Sitzen für die stärkste Partei verschafft das Ergebnis Papandreou eine
komfortable Mehrheit von 160 der 300 Mandate im griechischen Parlament. Gegenspieler
Karamanlis dagegen erzielte für seine Partei mit 33,48 Prozent und 91 Sitzen das schlechteste
Ergebnis in der 35-jährigen Geschichte der Nea Dimokratia. Mit 7,54 Prozent und 21 Mandaten ist
die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) nach wie vor drittstärkste Kraft im Parlament.
Allerdings büßte die KKE etwas mehr als einen halben Prozentpunkt und einen Sitz ein. Die
Linksallianz SYRIZA, ein Bündnis aus 11 Parteien und Organisationen – darunter die
Schwesterpartei der LINKEN –, gewann 13 Sitze bei 4,59 Prozent der Stimmen. Auch sie verliert
damit im Vergleich zu den Wahlen im September 2007 etwa ein halbes Prozent und einen Sitz.
Während die im EU-Parlament mit einem Abgeordneten vertretenen griechischen Grünen mit 2,53
Prozent erneut an der Dreiprozenthürde scheiterten, legte die extreme Rechte sogar zu. Das
Völkisch-Orthodoxe Sammelbecken von Giorgos Karatsaferis erzielte 5,63 Prozent (2007: 3,8) und
wird künftig mit 15 statt 10 Abgeordneten mit rassistischen und nationalistischen Parolen gegen eine
angebliche Überfremdung des Landes durch angeblich kriminelle Ausländer hetzen. Die
Wahlbeteiligung lag bei 70 Prozent. In Griechenland herrscht Wahlpflicht. Wer sich trotzdem nicht
am Votum beteiligt, muss aber heutzutage nicht mehr mit Sanktionen rechnen.
Der Erdrutschsieg der PASOK dürfte vor allem der verfehlten Wirtschaftspolitik der Nea Dimokratia
und dem nicht eingelösten Versprechen von Karamanlis nach Eindämmung der wuchernden
Korruption geschuldet sein. Fünf Jahre Nea-Dimokratia-Regierung haben es nicht vermocht, die
drängendsten Probleme wie Arbeitslosigkeit, mangelnde Ausstattung der Bildungseinrichtungen und
des Gesundheitswesens sowie hohe Staatsverschuldung zu lösen.
Karamanlis' Politik der Steuererleichterung für Unternehmen bei gleichzeitiger Erhöhung von
Mehrwertsteuer und anderen indirekten Abgaben führte weder zum Abbau der Staatsschulden noch
zu einem Aufschwung der Wirtschaft. Statt echter Senkung der Arbeitslosigkeit wurden massiv
Vollzeitstellen in prekäre Arbeitsverhältnisse umgewandelt.
All diese Probleme will sein Nachfolger nun bereits in seinem 100-Tage-Programm angehen.
Öffentliche Investitionen, Preisstopp bei Strom und Wasser, Erhöhung der Niedriglöhne und Renten
oberhalb der Inflation und die stufenweise Anhebung des Arbeitslosengeldes von derzeit etwa 400
Euro auf 70 Prozent des Lohns sind nur einige der Maßnahmen, von denen Papandreou sich die
»Ankurbelung des Wirtschaftsmotors« verspricht.
Umgesetzt werden sollen die ehrgeizigen Vorhaben von einem merklich verkleinerten
Regierungsapparat, in dem erstmals auch ein eigenständiges Umweltministerium vorgesehen ist.
»Heute ändern wir den Verlauf für Griechenland und unser aller Leben«, wandte sich der neue
Ministerpräsident noch in der Wahlnacht an seine Bürger. Dafür gelte es keinen einzigen Tag zu
verlieren.
Trotz seiner komfortablen Mehrheit rief Papandreou die »fortschrittlichen Kräfte des Landes« zur
Zusammenarbeit auf. Angesprochen fühlen dürfen sich davon vor allem die Mitglieder der
Linksallianz SYRIZA. Deren Spitzenkandidat hatte bereits kurz zuvor gefordert, nach dem Wechsel
der Regierung gelte es nun, auch einen Wechsel in der Politik einzuleiten. Zu den vordringlichsten
Zielen einer solchen Politik zählte Alexis Tsipras die Bekämpfung der sozialen Ungleichheit, die
Verteidigung der Arbeiterrechte, des öffentlichen Reichtums und der Umwelt. SYRIZA führe »einen
permanenten Kampf an der Seite der vernachlässigten Gesellschaft, an der Seite der Schwachen,
aber auch der jungen Menschen, die für das Recht auf eine Vision einer menschenwürdigen Zukunft
kämpfen«.
* Aus: Neues Deutschland, 6. Oktober 2009
Absolute Mehrheit
Bei den griechischen Parlamentswahlen gelang der PASOK ein haushoher Sieg. Die Politikrichtung wird sich mit der neuen Regierung nicht ändern
Von Heike Schrader, Athen **
Mit mehr als zehn Prozentpunkten Vorsprung (43,94 Prozent) und einer komfortablem Parlamentsmehrheit von 160 Sitzen im 300köpfigen Parlament ist die sozialdemokratische PASOK als Siegerin aus den griechischen Wahlen am Sonntag hervorgegangen. Die bisherige Regierungspartei Nea Dimokratia (ND) erzielte mit 33,49 Prozent ihr schlechtestes Ergebnis seit Gründung der Partei nach Ende der Militärdiktatur (1967–1974). Der bisherige Ministerpräsident Kostas Karamanlis, Neffe des gleichnamigen Gründers und langjährigen Ministerpräsidenten der ND, reichte noch in der Wahlnacht seinen Rücktritt auch vom Parteivorsitz ein.
KKE drittstärkste Partei
Mit 7,53 Prozent konnte sich die Kommunistische Partei Griechenlands, KKE, als drittstärkste Partei behaupten. Im Vergleich zu den letzten Wahlen im September 2007 büßte die Partei jedoch 0,6 Prozent und einen Sitz ein. Sie wird zukünftig 21 Abgeordnete stellen. Während die griechischen Grünen mit 2,52 Prozent an der Dreiprozenthürde scheiterten, gelang der griechischen Linksallianz SYRIZA mit 4,59 Prozent und 13 Abgeordneten der Wiedereinzug ins Parlament. Auch die aus elf Parteien und Organisationen bestehende Linksallianz verlor im Vergleich zu 2007 etwa ein halbes Prozent und ein Mandat. Das rassistische »Völkisch Orthodoxe Sammelbecken, LAOS« dagegen gewann hinzu. Mit Migrantenhetze und Polizeistaatparolen steigerte die Partei ihr Ergebnis von 2007 um 1,8 auf 5,62 Prozent. Unter den nun 15 statt bisher zehn Abgeordneten ziehen neben Parteiführer Giorgos Karatsaferis unter anderem der vormalige Geheimdienstchef des Landes Giannis Korantsis und Thanasis Plevris ins Parlament ein. Letzterer wurde stellvertretend für seinen Vater, den Hitlerverehrer und Holocaustleugner Kostas Plevris, gewählt.
»Es zeigt sich, daß Wut und Unzufriedenheit des Volkes (...) nicht vollständig und kräftig in der Wahlurne Ausdruck finden können, solange die Arbeiterbewegung und allgemein die Bewegung des Volkes nicht zur Neukonstituierung und zum Gegenangriff übergegangen sind«, kommentierte die Generalsekretärin der KKE den Sieg der Sozialdemokraten. Schuld daran seien auch die der Sozialpartnerschaft anhängenden Führungen der meisten Gewerkschaftsorganisationen. Die Warnung der KKE vor einem »Sturm volksfeindlicher Maßnahmen« werde sich schnell bewahrheiten, erläuterte Aleka Papariga. Geändert habe sich nur die Regierung, nicht aber die Politik des Landes.
Nach dem Regierungswechsel sei nun auch ein Politikwechsel vonnöten, erklärte auch der Spitzenkandidat der Linksallianz. Dafür werde SYRIZA im Parlament, in den sozialen Auseinandersetzungen und auf der Ebene der Ideen kämpfen, versprach Alexis Tsipras.
Investitionsprogramm
Im Gegensatz zum auf Einsparungen bei Löhnen und Staatsausgaben setzenden Karamanlis will der neue Ministerpräsident Griechenland mit Hilfe von Investitionen aus der Krise ziehen. In seinem Programm für die ersten 100 Tage hat Giorgos Papandreou unter anderem Lohnerhöhungen oberhalb der Inflation für die Staatsangestellten und staatliche Zuschüsse für Neueinstellungen in der privaten Wirtschaft angekündigt, Steuererhöhungen für die Unternehmen jedoch ausgeschlossen. Mit ähnlichen Versprechen hatte die Nea Dimokratia vor fünf Jahren die PASOK von der Regierung abgelöst. Die statt dessen folgenden Privatisierungen von staatlichen Leistungen, Kaufkraftsenkungen bei Löhnen und Renten und »Flexibilisierung« von Arbeitsverhältnissen konnte Karamanlis trotz teilweise erbitterten Widerstandes der Gewerkschaften durchsetzen. Es steht zu befürchten, daß es sein sozialdemokratische Amtsnachfolger bei sozialdemokratisch dominierten Gewerkschaftsverbänden leichter haben wird.
* Aus: junge Welt, 6. Oktober 2009
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