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Die Linke hat eine Pflicht - Einheit tut not

In Griechenland wird am Sonntag vorzeitig ein neues Parlament gewählt

Umfragen sagen den linken Parteien kräftige Stimmenzuwächse voraus Die Umfrageinstitute sagen den linken Parteien in Griechenland für die Wahl am Sonntag kräftige Zuwächse voraus. Für die Demokratische Linke (DIMAR) und die Koalition der Radikalen (SYRIZA) werden ebenso wie für die Kommunistische Partei jeweils acht bis neun Prozent vorausgesagt. An Vertreter von DIMAR und SYRIZA stellte für »nd« Heike Schrader gleichlautende Fragen.

Sowohl der Demokratischen Linken (DIMAR), der Koalition de Radikalen Linken (SYRIZA) als auch der Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE) werden jeweils acht bis neun Prozent vorhergesagt. Damit könnten sie die Zahl ihrer Abgeordnetensitze gegenüber der vorigen Wahl mehr als verdoppeln. Allerdings ist ihr Verhältnis zueinander überaus schwierig. Das war bereits darann festzustellen, dass nd-Korrespondentin Heike Schrader in Athen zu diesem Thema wie zu anderen Aufgaben der Linken in Griechenland trotz mehrfacher Bitten von der KKE keine Auskünfte erhielt; immerhin aber von DIMAR und SYRIZA.

Wir dokumentieren im Folgenden die beiden im nd erschienenen Interviews.


Die Linke hat eine Pflicht

Andreas Papadopoulos, Sprecher der Demokratischen Linken (DIMAR)


nd: Wie kann Griechenland aus der Schulden- und Wirtschaftskrise wieder herauskommen?

Papadopoulos: Solange das Land aufgefordert ist, die Vorstellungen der Troika (EU, EZB, IWF) nach Entlassungen, Abschaffung des Mindestlohns, weiteren Lohn- und Rentenkürzungen umzusetzen, solange wird die Gesellschaft destrukturiert, werden Rezession und Arbeitslosigkeit zunehmen, wird es keine Wachstumsperspektive und keinen Ausweg aus der Krise geben. Voraussetzung für einen Ausweg aus der Krise ist eine Änderung der Inhalte der Politik hin zu Entscheidungen, die dem Gemeinwohl und der Gesellschaft dienen. Und natürlich setzt ein Ausweg aus der Krise eine fortschrittliche Änderung der Kräfteverhältnisse sowohl in Griechenland als auch darüber hinaus in Europa voraus.

Wie muss sich der griechische Staat verändern, um nicht noch einmal in eine derartige Situation zu geraten?

Die notwendigen Änderungen müssen bei Struktur und Funktionsweise des Staates beginnen. Das herrschende Modell ist produktionsfeindlich, sehr bürokratisch und fußt auf dem Klientelstaat. Obwohl im öffentlichen Dienst viele tausend Menschen arbeiten, ist niemand mit den Dienstleistungen zufrieden, die dieser Sektor den griechischen Bürgern anbietet. Es müssen Dienststellen geschlossen oder zusammengelegt werden, es muss eine Evaluierung der Angestellten geben, damit Griechenland ein moderner europäischer Staat wird, der seinen Bürgern die entsprechenden Dienstleistungen bereitstellt.

Wie stehen Sie zu einer Regierungsbeteiligung nach den Parlamentswahlen am 6. Mai?

Die Demokratische Linke steht den politischen Inhalten einer Regierungsführung des Landes nicht gleichgültig gegenüber. Wir sind keine klaustrophobische Linke, die sich nur um sich selbst dreht. Wir wollen die Qualität der Regierungsgewalt beeinflussen. Die Linke ist verpflichtet, ihre politische Präsenz als »regierende Linke« einzufordern, zum Nutzen der Gesellschaft und des Landes. Auf jeden Fall aber sind für »Koalitionsregierungen« programmatische Übereinkünfte, politische Annäherungen und Übereinstimmungen, aber auch zuverlässige Persönlichkeiten Voraussetzung. Jede eventuelle Koalitionsregierung muss mit verbindlichen politischen programmatischen Inhalten in der Lage sein, die Politik aus ihrer heutigen tief konservativen Position in eine objektiv fortschrittliche Richtung zu führen.

Wie sehen Sie die Chancen für ein Linksbündnis aus DIMAR, KKE und SYRIZA für die Wahlen und darüber hinaus?

Die simple Ablehnung der Memorandumspolitik ist für sich allein kein Kriterium, das zu einer »Regierungsallianz der Linken« führt, wenn man sich die bestehenden weitreichenden Differenzen und Gegensätze im Hinblick auf die Inhalte der auszuübenden Politik und besonders zur Bewältigung der vielschichtigen Krise vor Augen führt. Wir unterstützen die Zusammenführung breiter Kräfte des demokratischen Sozialismus, der Sozialdemokratie, der politischen Ökologie, besonders angesichts der Auflösung der Gesellschaft und des Zerfalls des alten Parteiensystems.

Wir brauchen eine Neuzusammensetzung und Neugründung des breiteren demokratischen und fortschrittlichen Spektrums. Die Wende der PASOK-Sozialdemokraten zum wirtschaftlichen Liberalismus und die anderer Kräfte der Linken zu veralteten kommunistischen und antieuropäischen Positionen machen die Bildung eines sozialistischen Raums notwendig.


Einheit tut not

Panos Skourletis, Sprecher der Koalition der Radikalen Linken (SYRIZA)


nd: Wie kann Griechenland aus der derzeitigen Schulden- und Wirtschaftskrise wieder herauskommen?

Skourletis: Nötig ist eine vollständige Änderung der Politik. Sowohl in Griechenland als auch in Europa. Momentan ist Griechenland das Versuchstier für extreme neoliberale Politik, die vor wenigen Jahren für das europäische Haus undenkbar gewesen wäre. Die dramatischen Kürzungen von Löhnen und Renten, die Explosion der Arbeitslosigkeit in ungeahnte Höhen, die Zerschlagung des Sozialstaates und die Privatisierung öffentlicher Leistungen werden von der griechischen Regierung als Ausweg aus der Krise gerechtfertigt, während sie in Wirklichkeit der Grund der vielfältigen und dramatischen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Krise sind, die Griechenland durchlebt und die mit hoher Geschwindigkeit auf die übrigen europäischen Länder übergreift. Deswegen ist eine radikale Änderung der Kräfteverhältnisse zugunsten der arbeitenden Bevölkerung heute dringender denn je. Der Ausweg aus der Krise geht nur über die Aufwertung ihrer Bedürfnisse an die erste Stelle, gegenüber denen der Banken und der Märkte.

Als SYRIZA und als Europäische Linkspartei haben wir eine Reihe von Vorschlägen unterbreitet, die auf folgenden Achsen fußen: Neuverhandlung der Schulden im Rahmen einer europäischen Lösung, unmittelbare Kredite von der EZB, Maßnahmen für Wirtschaftswachstum, Schutz der Erwerbstätigen, Stärkung des Sozialstaates und produktive Neubildung des Staates.

Wie muss sich der griechische Staat verändern, um nicht noch einmal in eine derartige Situation zu geraten?

Griechenland wurde über Jahrzehnte von zwei Parteien, der Nea Dimokratia und der PASOK, regiert, die einen bürokratischen Staat errichtet haben, ineffizient und mit einem riesigen Netz von Klientelbeziehungen. Deswegen geht es nicht um »weniger Staat«, wie Troika und Regierung glauben machen wollen. Es geht darum, wie der Staat die geschädigten Schichten der Gesellschaft stützen kann, wie seine Ziele und Präferenzen von den Bedürfnissen der Gesellschaft bestimmt werden können.

Wie stehen Sie zu einer Regierungsbeteiligung nach den Parlamentswahlen am 6. Mai?

Wenn damit die Beteiligung an einer Regierung von Befürwortern der Memoranden gemeint ist, das wäre ein Verbrechen. Genauso verbrecherisch ist allerdings die Weigerung bestimmter Teile der Linken, einen gemeinsamen Weg zu finden, um die Bildung einer Koalitionsregierung aus Memorandenbefürwortern nach den Wahlen zu verhindern. Seit geraumer Zeit artikuliert sich das Volk auf eine Weise, die für die Zeit seit dem Sturz der Junta (1967-1974) einzigartig ist: mit Versammlungen auf Plätzen, riesiger Beteiligung an Streiks und Demonstrationen, Besetzungen öffentlicher Gebäude. Diese Leute fordern die Einheit der Linken und aller Kräfte, die gegen Neoliberalismus und die Memorandumspolitik von EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und IWF kämpfen.

Wie sehen Sie die Chancen für ein Linksbündnis aus DIMAR, KKE und SYRIZA für die Wahlen und darüber hinaus?

Wir haben wiederholt und öffentlich beiden Parteien und weitere Organisationen wie den Ökologischen Grünen eine Zusammenarbeit vorgeschlagen. Wir halten dies für möglich und erforderlich. Leider haben die chronischen Leiden der griechischen Linken diese Zusammenarbeit nicht erlaubt, sie scheitert an dem beharrlichen Bestehen von KKE und DIMAR darauf, zunächst in den Wahlen die eigene Stärke zu zeigen. Die KKE nimmt zwar auch an den Kämpfen gegen die Memoranden der Troika teil, versucht aber, Allianzen lediglich mit sich selbst aufzubauen. DIMAR schließt ebenfalls kategorisch jede Zusammenarbeit mit den anderen Kräften der Linken aus, sendet gleichzeitig aber Signale für eine Regierungszusammenarbeit mit der PASOK nach den Wahlen. Wir wollen hoffen, dass unser Kampf in naher Zukunft diese Verknöcherung der Parteiführungen überwinden, andernfalls geht eine historische Chance nicht nur für die Linke, sondern für das Land als Ganzes verloren.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 5. Mai 2012


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