Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Athen: Linke wollen Bruch des Sparpakts

Keine Koalitionsregierung der stärksten Parteien in Sicht *

Eine Koalitionsregierung in Griechenland ist nicht in Sicht. Der Vorsitzende des Linksbündnisses SYRIZA, Alexis Tsipras, hat den Bruch des Sparpakts mit der Europäischen Union zum Fixpunkt seiner Sondierungsgespräche gemacht. Im Alleingang will der 37-jährige Politiker das Sparprogramm Griechenlands für null und nichtig erklären. Tsipras werde einen entsprechenden Brief an die EU-Kommission und die Europäische Zentralbank (EZB) schreiben, erklärte sein Mitarbeiter Panagiotis Lafazanis.

Die Konservativen wiesen die »antieuropäischen« Forderungen der Linken zurück. Der Chef der Konservativen, Antonis Samaras, rief Tsipras auf, »zu sich zu kommen«. Der Sozialistenführer Evangelos Venizelos mahnte zur Besonnenheit.

Das entscheidende Treffen der Chefs der drei stärksten Parteien sollte nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe stattfinden. Scheitern die Verhandlungen, sind schnelle Parlamentsneuwahlen unabwendbar. Eigentlich wären nach einem Misserfolg der Gespräche die Sozialisten als drittstärkste Kraft am Zuge. Wie es allerdings hieß, will Venizelos ein Sondierungsmandat gar nicht mehr annehmen.

Bundesaußenminister Guido Westerwelle warnte Griechenland unterdessen, dass dem hoch verschuldeten Land bei einem Verlassen des vereinbarten Sparkurses ein Stopp der internationalen Hilfszahlungen drohe. »Wir wollen, dass Griechenland in der Eurozone bleibt, aber ob Griechenland in der Eurozone bleibt, das liegt in den Händen Griechenlands«, erklärte der FDP-Politiker am Mittwoch in Brüssel.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 10. Mai 2012


Deutsch-Eurokratie

Berlin will Griechen-Votum korrigieren

Von Werner Pirker *


Der Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz (SPD), hat Griechenland mit einem möglichen Stopp der Hilfszahlungen gedroht. »Die griechischen Parteien sollten bedenken«, sagte er, »daß eine stabile Regierung, die sich an Absprachen hält, Grundvoraussetzung für weitere Unterstützung der Euro-Zonen-Länder ist«. Der Mann, der der einzigen EU-Institution vorsteht, in der Demokratie wenigstens noch simuliert wird, will damit sagen, daß Griechenland eine den Vorstellungen der – deutschem Spardiktat folgenden – Euro-Zonenländer genehme Regierung benötige, auch wenn eine solche nicht dem Wählerwillen entsprechen sollte. Denn eines haben die Parlamentswahlen in Griechenland eindrucksvoll zum Ausdruck gebracht: Die griechische Bevölkerung wünscht sich eine andere Regierungspolitik als die von der Eurokratie vorgegebene.

Mit der Kreierung des Begriffsungetüms »marktkonforme Demokratie« hat die deutsche Kanzlerin die Unterordnung der Demokratie unter die Märkte offiziell zur Leitlinie erhoben. Unter jene Finanzmärkte, deren Versagen als Steuerungsinstrumente längst offenkundig ist, was zu Beginn der Finanzkrise, als landauf landab verkündet wurde, die Marktkräfte künftig stärker regulieren zu wollen, common sense zu sein schien, bis dann doch wieder der Glaube an den Markt als objektive ökonomische Instanz die Oberhand gewann. Das Urteil der Finanzmärkte über den Ausgang der griechischen Wahlen ist dementsprechend vernichtend. Es werde einige Zeit dauern, bis sich das Vertrauen der Märkte in die Politik wiederherstellen ließe, wird befürchtet. Über das Vertrauen der Menschen in die Politik macht sich die Politik schon lange keine Gedanken mehr.

Die Mehrheit der Griechen hat gegen die fremdbestimmte Politik der Troika gestimmt – für Bild ein Sieg des Chaos über die Vernunft. Daß Alexis Tsipras, Chef der Links­allianz SYRIZA, die Zusagen der Athener Regierung zu den asozialen Auflagen aus Brüssel für null und nichtig erklärte, wird von den EU-Granden als Aufruf zur Rebellion wahrgenommen. Mit allen Mitteln der ökonomischen Erpressung wird das Hegemonialkartell versuchen, eine »stabile«, die Austeritätspolitik fortsetzende griechische Regierung zu bilden. Eine solche, stabil und Brüssel-hörig zugleich, wird nicht zu haben sein. Als Illusion dürfte sich aber auch die Annahme der SYRIZA erweisen, sich dem EU-Diktat entziehen zu können, ohne aus der Euro-Zone auszutreten. Anders als die kommunistische KKE, die für einen Austritt Griechenlands aus der EU eintritt, herrscht in Griechenlands bunter Linke wie in der deutschen Linkspartei der Irrglaube vor, daß eine demokratische und soziale EU machbar wäre. Aus der Logik der Euro-Krise ergibt sich jedoch eindeutig, daß es ohne Wiederherstellung der nationalen Souveränität keine demokratische und soziale Entwicklung in Griechenland und anderswo geben kann.

** Aus: junge Welt, Donnerstag, 10. Mai 2012


Zurück zur Griechenland-Seite

Zurück zur Homepage