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Soziale Zentren gestürmt

Griechenland: Polizei räumt besetzte Häuser in der Hauptstadt

Von Heike Schrader, Athen *

Am gestrigen Dienstag räumte die Polizei in Athen ein seit über zwei Jahrzehnten besetztes Haus in der Innenstadt. Damit greift der griechische Staat bereits zum dritten Mal in den letzten Wochen eines der in der Krise mehr und mehr an Bedeutung gewinnenden sozialen selbstverwalteten Zentren an. Letztere avancierten zum neuen Feindbild der Regierung und der ihnen nach dem Mund redenden Massenmedien.

Mehr als 26 Prozent der Arbeitsfähigen haben keine Stelle, bei den Jugendlichen sind es bereits 57 Prozent. Aufgrund der ständigen Lohnkürzungen und Steuererhöhungen können sich viele kein Heizöl mehr leisten. Der von Holz- und Kohleöfen verursachte Smog in Großräumen wie Athen ist nicht nur deutlich spürbar, sondern höchst gesundheitsgefährdend. Der wachsenden Armut gegenüber steht die Abgabenhinterziehung der Superreichen. Eine Liste mit den Namen von mehr als 2000 vermögenden Griechen mit Auslandsguthaben verstaubte über zwei Jahre in diversen Ministeriumsschubladen, anstatt von der Steuerfahndung genutzt zu werden. Schuld an der Misere der griechischen Bevölkerung sollen nun offenbar die Bewohner von landesweit etwa 40 teilweise seit vielen Jahren besetzten Häusern sein, die von diesen zu sozialen Zentren ausgebaut wurden. Da kam es der staatlichen und medialen Propaganda sehr zupaß, daß nach den polizeilichen Räumungen einiger dieser Häuser Unbekannte in der Nacht zum Montag mit Kalaschnikows auf die leere Parteizentrale der regierenden Nea Dimokratia und insbesondere auf das Büro von Ministerpräsident Antonis Samaras feuerten.

Die Demagogen hatten die Richtung noch im alten Jahr vorgegeben. Die Bevölkerung könne sich nun wieder sicher fühlen, hatte der Minister für Öffentliche Ordnung und Bürgerschutz, Nikos Dendias, getönt, nachdem seine Schergen kurz vor Weihnachten die seit 22 Jahren besetzte »Villa Amalias« im Zentrum Athens geräumt hatten. Der Vorwurf des Drogenhandels sollte das begründen. Von dem war allerdings nach der Räumung keine Rede mehr. Statt dessen mußten nun etwa 1500 größtenteils in Kästen zur Abholung bereitstehende leere Bierflaschen von der letzten Konzertveranstaltung der Villa in Verbindung mit etwa einem halben Liter Petroleum im Kanister neben dem Ofen für die übliche Mär von der Produktionsstätte für Molotow-Brandbomben herhalten.

Eine Woche später drang die Polizei in die Athener Hochschule für Ökonomie ein und demontierte die von dort sendende alternative Radiostation »98fm«. Das aufgrund des Massakers der Militärjunta am Athener Polytechnikum im November 1973 geltende Hochschulasyl war passenderweise im Zuge der Krisenmaßnahmen bereits 2011 abgeschafft worden.

In der vergangenen Woche wurde der Versuch einer Neubesetzung der Villa Amalias nach dem Einsatz von Hubschraubern und schwerbewaffneten Sondereinheiten gegen knapp 1000 Aktivisten beendet. Unmittelbar danach ließ Dendias auch das okkupierte Haus »Skaramanga« in der gleichnamigen Straße in der Nähe des Nationalmuseums in Athen räumen.

Die wie Schwerverbrecher abgeführten Besetzer beider Gebäude wurden teilweise tagelang in Polizeihaft gehalten und vom Richter nur unter der Auflage, das Land nicht zu verlassen und sich einmal im Monat bei der Polizeiwache zu melden, freigelassen.

Die nun geräumten Häuser hatten wie fast alle autonomen sozialen Zentren vor ihrer Besetzung für Jahre, wenn nicht Jahrzehnte leergestanden. Im Zuge der Krise haben viele von ihnen vom Staat vernachlässigte Funktionen übernommen. So dient beispielsweise ein besetztes Fabrikgebäude im Athener Stadtteil Petralona seit etwa zwei Jahren als selbstverwaltetes Gesundheitszentrum. In anderen besetzten Häusern werden Lebensmittel und Kleidung gesammelt und an Bedürftige verteilt.

Die Räumungen haben zu einer Welle der Solidarität mit den sozialen Zentren geführt. Deren vorläufigen Höhepunkt bildete eine Demonstration von etwa 10000 Aktivisten vorwiegend des anarchistischen und antiautoritären Spektrums am vergangenen Samstag in Athen, die trotz diverser Polizeiprovokationen friedlich verlief.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 16. Januar 2013


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