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Griechische Regierung greift autonome Szene an

Räumung besetzter Häuser in Athen wird offenbar mit Anschlägen beantwortet

Von Anke Stefan, Athen *

Anstatt gegen Steuerhinterzieher geht die griechische Regierung derzeit gegen mitunter jahrzehntelange Besetzungen von Häusern in staatlichem Eigentum vor. Gleichzeitig häufen sich Gewalttaten, die autonomen Gruppen zugerechnet werden.

Mit der Explosion eines Sprengsatzes im Athener Einkaufszentrum »The Mall« erreichten die Anschläge gegen die griechische Regierung und öffentliche Gebäude am Sonntag ihren vorläufigen Höhepunkt. Zwei Sicherheitsmitarbeiter wurden bei der Detonation verletzt. Die Polizei vermutet autonome Gruppierungen als Urheber der Anschläge. Ein anonymer Anrufer habe bei einer Zeitung und einem Internetportal vor dem Anschlag gewarnt.

Gewalttaten wie diese häuften sich in den vergangenen Wochen. Sie werden als Folge des harten Vorgehens der griechischen Behörden gegen die anarchistische Szene in Athen gewertet. So räumte die Polizei vor einer Woche das mit 25 Jahren am längsten besetzte Haus des Landes in der Lela-Karagianni-Straße im Zentrum Athens. Bereits kurz vor Weihnachten war die ebenfalls symbolträchtige »Villa Amalias« geräumt worden. Der Versuch einer Neubesetzung wurde am 9. Januar von der Polizei sofort unterbunden, nur wenige Stunden später wurden Besetzer aus einem weiteren Haus, ebenfalls im Zentrum der Hauptstadt, geworfen.

Die selbstverwalteten sozialen Zentren, in denen Kultur- und Diskussionsveranstaltungen stattfanden, haben im Zuge der Krise durch Lebensmittel- und Kleidersammlungen, die Einrichtung selbstverwalteter Gesundheitszentren oder Volksküchen an Bedeutung und Rückhalt in der Bevölkerung gewonnen.

Innerhalb der griechischen anarchistischen und antiautoritären Szene, aus der die Mehrheit der Besetzer stammt, reagiert man unterschiedlich auf die staatlichen Angriffe. Die Mehrheit wirbt mit an die Bevölkerung gewandten Aktionen um Solidarität mit den bedrohten Einrichtungen. So findet man überall im Land Transparente mit Parolen für ihre Verteidigung, Kundgebungen werden veranstaltet, Radiosender kurzfristig besetzt und zur Ausstrahlung von »Gegeninformationen« aufgefordert. Am vorletzten Wochenende fand darüber hinaus die bisher größte Solidaritätsdemonstration mit etwa 10 000 Teilnehmern statt.

Umstritten sind dagegen Gewalttaten. Dazu gehört auch der Angriff auf ein Haus, in dem sich sowohl ein Büro des Regierungssprechers Simos Kedikoglou als auch die Wohnung seines Bruders befindet. Ein Dutzend Maskierter hatte die Eingangstür zum Gebäude eingetreten und Brandbomben in den Hausflur geworfen. Kedikoglous Büro war zum Tatzeitpunkt allerdings leer. Es gab keine Verletzten. Die von Teilen der griechischen Linken als parastaatliche Provokationen gedeuteten Aktionen gipfelten in Schüssen auf die leeren Büros der Regierungspartei Nea Dimokratia.

Die Räumungen und die Reaktionen darauf haben auch zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen der griechischen Regierung und der Linksallianz SYRIZA geführt. Regierungssprecher Kedikoglou wirft der größten Oppositionspartei vor, sich nicht eindeutig genug von Gewalt zu distanzieren. Vertreter von SYRIZA dagegen verdächtigen die Regierung, mit den jüngsten Räumungen von den eigentlichen Problemen der griechischen Bevölkerung und dem Skandal um die Vertuschung von Steuerdelikten abzulenken. Gemeint ist die Liste von etwa 2000 griechischen Inhabern von Konten bei einer Schweizer Bank, die über zwei Jahre in Regierungskreisen kursierte, statt von der Steuerfahndung genutzt zu werden.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 23. Januar 2013


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