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"Deutschland muss zahlen"

Griechischer Widerstandskämpfer fordert in Frankfurt am Main Begleichung der Kriegsschulden

Von Gitta Düperthal *

Als er in den Saal kam, erhoben sich alle von den Stühlen und applaudierten. Um Manolis Glezos, ehemaliger griechischer Widerstandskämpfer und Europaparlamentarier für die Linkspartei Syriza, zu sehen, kamen am Freiag abend rund 200 Menschen im Gewerkschaftshaus in Frankfurt am Main zusammen. Darunter Gewerkschafter, Antifaschisten und Mitglieder der Linkspartei. Glezos sprach über die ausstehenden deutschen Reparationsleistungen an Griechenland aufgrund von Naziverbrechen im Zweiten Weltkrieg.

»Deutschland ist der größte Schuldner Europas und muss zahlen«, sagte der 92jährige. Er werde »keine Ruhe geben«, bis in dieser Frage Gerechtigkeit herrsche – »und zwar im Interesse aller damaligen Genossen im Widerstand, die nun nicht mehr leben«. Außer der Sowjetunion und Jugoslawien, insbesondere Serbien, hat kein Land unter dem deutschen Überfall mehr gelitten als Griechenland. Mehr als zehn Prozent seiner Bevölkerung überlebten die dreijährige Besetzung und Ausplünderung des Landes nicht. Distomo, Kalavrita, Anogia, Kommeno – damit ist die Aufzählung der Verbrechensorte längst nicht vollzählig. Deutsche Politiker aber verweigern jede Entschädigung für die von der Wehrmacht verübten Massaker.

Den Rechtsweg hielten diese für beendet, empört sich die Hamburger Anwältin Gabriele Heinecke bei der Diskussionsveranstaltung »Deutsche Kriegsschulden – Nach 70 Jahren alles erledigt?«. Sie kämpft seit langem für eine Verurteilung der Verantwortlichen für die brutalen Morde an 218 Dorfbewohnern von Distomo. Sie schilderte die Auseinandersetzungen mit juristischen Winkelzügen bis hoch zum Internationalen Gerichtshof und folgerte: »Es gibt nur eine Lösung, Deutschland zu zwingen – und das sind wir alle.« Ein nur fünfminütiger Warnstreik der IG Metall in mehreren Betrieben könne beispielsweise hilfreich sein.

Manolis Glezos ist für seine Hartnäckigkeit bekannt; auch unter Europaparlamentariern hat er die Forderung diskutiert. Linke Griechen feiern ihn, weil er zusammen mit Apostolos Sandas 1942, wenige Tage nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht, die auf der Akropolis gehisste Hakenkreuzfahne wieder herunterriss. Er habe eigene Fingerabdrücke an der Fahnenstange hinterlassen, damit Wärter dort nicht in Verdacht gerieten, berichtete die Griechin Dora Dimitroulia. Glezos sei in Abwesenheit zum Tod verurteilt worden. Später war er gegen die griechische Militärjunta im Widerstand.

In Frankfurt und anderen deutschen Städten, die er noch bereisen will, ruft er dazu auf, Komitees zu bilden, um die Bundesregierung unter Druck zu setzen. Die solle endlich ihre Schulden begleichen. So seien zunächst Reparationszahlungen für die deutschen Kriegsverbrechen zu leisten. Die interalliierte Kommission hatte 1946 in Paris zunächst entschieden, dass Deutschland Griechenland 14,5 Milliarden Dollar schulde. Am Ende einigte man sich auf nur sieben Milliarden Dollar. Heute wären das 108 Milliarden Euro, ohne die Zinsen seit 1946.

Zweitens hatte Griechenland für die Kosten der Besatzungstruppen der Nazis und dss Afrika-Korps der Wehrmacht aufkommen müssen. Diese Summe von damals circa 3,5 Milliarden Dolla war als »Besatzungskredit« bezeichnet worden. Das entspricht – wieder ohne Zinsen – heute 54 Milliarden Euro. Zudem müsse auch der damals protokollierte Diebstahl archäologischer Schätze endlich geahndet werden.

Elisabeth Abendroth berichtete am Beispiel ihres Vaters Wolfgang Abendroth über die Tradition des gelungenen Zusammenwirkens griechischen und deutschen Widerstands im Zweiten Weltkrieg und appellierte, diese fortzusetzen – und gemeinsam gegen Neoliberalismus und Demokratieabbau in Europa zu kämpfen. Der Vorstandssprecher des Kreisverbands Limburg-Weilburg von Die Linke, Reinhold Hinzmann, erklärte, die Forderung nach Einhaltung bestehender Verträge sei »ein Hohn, solange sich die Rechtsnachfolgerin des deutschen Faschismus weigert, Reparationen an Griechenland zu zahlen«. Er sei froh, so Glezos abschließend, ins Frankfurter Gewerkschaftshaus gekommen zu sein. Dort habe er ein anderes Bild der Deutschen gewinnen können.

* Aus: junge Welt, Montag, 27. April 2015


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