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Linke: Berliner Kurs ist Grund für Athener "Katastrophe"

Wagenknecht kritisiert unsozialen Kürzungsdiktate / Streit um Stand der Verhandlungen über blockiertes Kreditprogramm geht weiter / IWF-Chefin Lagarde schließt Grexit nicht mehr aus *

Berlin. Die Vizevorsitzende der Linksfraktion, Sahra Wagenknecht, hat die Bundesregierung für die »wirtschaftliche Katastrophe« in Griechenland verantwortlich gemacht. Die Politik von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und Kanzlerin Angela Merkel sei in Europa »die entscheidende Wachstumsbremse. Beide haben das Wachstum durch ihre unsozialen Kürzungsdiktate in ganz Europa abgewürgt, verweigern sich jetzt einem Investitionsprogramm und treiben Griechenland mit der Forderung nach weiteren Lohn- und Rentenkürzungen immer tiefer in die wirtschaftliche Katastrophe«, sagte Wagenknecht mit Blick auf Äußerungen Schäubles beim Treffen der G7-Finanzminister und Notenbankchefs in Dresden.

Der Bundesfinanzminister hatte vor dem Minister-Treffen vor einer weiteren Schuldenspirale gewarnt. »Wir werben für unseren Ansatz: Strukturreformen sind der Erfolgsschlüssel für nachhaltiges Wachstum, Schuldenberge hingegen eine Wachstumsbremse«, sagte Schäuble der Deutschen Presse-Agentur. Wagenknecht wies dies zurück. »Es ist absurd, dass ausgerechnet Schäuble nun vor einer Schuldenspirale warnt, welche die Weltwirtschaft gefährde. Schließlich hat die Bundesregierung selbst mit ihrer unsozialen Bankenrettungs- und Kürzungspolitik massiv an der Schuldenspirale gedreht. Nur ein Schuldenschnitt und der Mut, endlich das Geld bei den Profiteuren zu holen, führen aus dieser Spirale wieder hinaus«, so die Linkenpolitikerin. Dies gelte vor allem für Griechenland.

Über den Stand der Verhandlungen über die Freigabe von Geldern aus dem von den Gläubigern blockierten Kreditprogramm gibt es unterdessen weiter Streit. Beinahe wortgleich hieß es von Seiten der EU-Kommission und des Internationalen Währungsfonds (IWF), bei den Gesprächen mit Athen gebe es noch viel zu tun. EU-Währungskommissar Pierre Moscovici bezeichnete in Dresden ein Abkommen mit Athen als »möglich«. Es sei aber »nicht richtig, zu sagen, dass drei Viertel des Weges bereits geschafft seien«, sagte er dem französischen Radiosender France Culture.

Regierungschef Alexis Tsipras hatte zuvor erklärt, die Verhandlungen seien »auf der Zielgeraden« und die Gesprächspartner »einer Vereinbarung nahe«. Dazu sagte bereits am Mittwochabend Finanzminister Schäuble, er sei »immer ein bisschen überrascht, dass aus Athen immer so gesagt wird, wir stünden kurz vor einer Einigung«. Die Verhandlungen seien »noch nicht sehr viel weitergekommen«. Am Donnerstag sagte der griechische Regierungssprecher Gavriil Sakellaridis dann, Athen hoffe auf ein Abkommen »bis Sonntag«.

Die Gläubiger von Europäischer Union und Internationalem Währungsfonds fordern von der seit Januar amtierenden Athener Regierung im Gegenzug für die Freigabe der bisher blockierten letzten Tranche über 7,2 Milliarden Euro aus einem laufenden Kreditprogramm umfassende Maßnahmen. Die Gläubiger pochen auf Bedingungen, die SYRIZA nicht erfüllen will. Tatsächlich hat die Regierung in Athen immer mehr Zugeständnisse gemacht.

Die EZB zeigte sich derweil in ihrem am Donnerstag veröffentlichten Bericht zur Finanzstabilität besorgt, dass die Hängepartie in Sachen Kreditprogramm für Griechenland auch die Kosten für andere Länder, sich mit frischem Geld zu versorgen, in die Höhe treiben könnte. Darüber hinaus äußerten sich auch nicht-europäische G7-Länder besorgt über den anhaltenden Streit.

Lagarde schloss ein Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone in der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« vom Freitag nicht mehr aus. »Der Austritt Griechenlands ist eine Möglichkeit«, sagte sie. Zwar wäre ein solcher Schritt »kein Spaziergang«, er bedeutete aber »wohl nicht das Ende des Euro«. Dass bereits in den kommenden Tagen eine umfassende Lösung im Schuldenstreit erreicht werden könne, sei hingegen »sehr unwahrscheinlich«, sagte Lagarde.

* Aus: neues deutschland (online), Freitag, 29. Mai 2015


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