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Gauck belehrt Griechen: Euch wird geholfen

Bundespräsident weist Kritik an Sparzwangprogrammen zurück *

Bei einem Treffen mit dem griechischen Oppositionsführer Alexis Tsipras hat Bundespräsident Joachim Gauck am Donnerstag die Reformauflagen der internationalen Geldgeber an Griechenland verteidigt. Bei den Reformmaßnahmen handle es sich nicht nur um ein Sparprogramm, sondern auch um ein Hilfsprogramm, sagte Gauck nach Angaben von Teilnehmern bei dem Treffen mit dem Vorsitzenden des Linksbündnisses Syriza in Athen. Tsipras habe im Gespräch scharfe Kritik an den Reformauflagen geübt. Das griechische Volk könne »das ungerechte Sparprogramm nicht mehr aushalten«, zitierten ihn Teilnehmer des Gesprächs. Bei der Begegnung seien »unterschiedliche Meinungen« deutlich geworden.

Den Angaben zufolge sprach der Linkspolitiker auch die Frage deutscher Reparationen für die Kriegsbesetzung in Griechenland an: Diese Frage sei noch nicht gelöst worden. Zuvor hatte bereits der griechische Präsident Karolos Papoulias bei einem Treffen mit Gauck auf Verhandlungen über deutsche Entschädigungszahlungen gepocht. Gauck verwies auf die Haltung der Bundesregierung, wonach für Reparationen keine rechtliche Grundlage bestehe.

Am Rande des Besuchs in Athen kam es zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei. Die Sicherheitskräfte setzten Tränengas ein, um Hunderte Kundgebungsteilnehmer am Betreten des Platzes vor dem Parlament zu hindern.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 7. März 2014


»Das sind nur Worte«

Gauck besucht Griechenland. Entschädigungsforderungen übergangen **

Bundespräsident Joachim Gauck hat bei seinem Staatsbesuch in Griechenland um Vergebung für deutsche Kriegsverbrechen gebeten. In dem nordwestgriechischen Dorf Lingiades sagte Gauck am Freitag während einer Zeremonie: »Mit Scham und Schmerz bitte ich im Namen Deutschlands die Familien der Ermordeten um Verzeihung.« Wie schon am Vortag wurde Gauck erneut mit Forderungen nach deutschen Reparationen konfrontiert.

Zusammen mit dem griechischen Präsidenten Karolos Papoulias war Gauck nach Lingiades gekommen. Er legte einen Kranz an dem Mahnmal nieder, das an ein Massaker der deutschen Wehrmacht am 3. Oktober 1943 erinnert. Bei dem Massaker der deutschen Truppen starben unter anderem über 30 Kinder. Der einzige noch lebende Zeuge, der das Blutbad als Kind miterlebt und seine Eltern dabei verloren hatte, war bei der Gedenkstunde anwesend, zeigte sich aber wenig beeindruckt: »Das sind nur Worte. Sie bedeuten nichts«, sagte Panagiotis Babouskas. »Ich will Gerechtigkeit, und das heißt Wiedergutmachung.« Auch eine Gruppe Demonstranten meldete sich mit Sprechchören zu Wort, allerdings erst, als Gauck den Platz vor dem Mahnmal verlassen hatte.

Im Gedenkort Lingiades erinnert heute ein Mahnmal an das Geschehen vor 70 Jahren. Aus Rache für ein Attentat auf einen deutschen Regimentskommandeur waren Soldaten der Wehrmacht über das kleine Dorf hergefallen. Alle, die nicht rechtzeitig hatten fliehen können, wurden zusammengetrieben und umgebracht. 83 Zivilisten – die meisten von ihnen Frauen, Kinder und alte Leute – fanden den Tod.

In seiner kurzen Ansprache sagte Gauck, er möchte aussprechen, was »Täter und viele politisch Verantwortliche der Nachkriegszeit nicht aussprechen konnten oder wollten: Das, was geschehen ist, war brutales Unrecht«. Auf die Reparationsforderungen, die auch Präsident Papoulias am Donnerstag erhoben hatte, ging er jedoch mit keinem Wort ein.

Anschließend wollte Gauck die Synagoge in der Provinzhauptstadt Ioannina besuchen. Am Freitagabend wurde er in Berlin zurückerwartet. Der dreitägige Staatsbesuch in Griechenland stand stärker als erwartet im Zeichen der griechischen Forderungen nach Milliarden-Reparationen. Die Bundesregierung hat dies mit Hinweis auf die Rechtslage abgelehnt.

** Aus: junge welt, Samstag, 8. März 2014


Verpflichtungen gegenüber der Geschichte

Bundespräsident Joachim Gauck hielt anlässlich seines Griechenland-Besuchs auch eine Rede am Mahnmal von Lingiades. Darin sprach er von der "Verpflichtung" Deutschlands, dass die Nazi-Gräuel nicht in Vergessenheit geraten dürfen. Eine Verpflichtung zur Wiedergutmachung konnte aus seinen Worten nicht herausgelesen werden. Was Gauck den Griechen anbot, ist in der folgenden Passage seiner Rede zusammengefasst:

Bundespräsident Gauck:

(...) Die schrecklichen Ereignisse, derer wir gedenken, erlegen uns eine große Verpflichtung auf. Die Verpflichtung nämlich, alles in unserer Macht Stehende zu tun, dass nicht in Vergessenheit gerät, was nie hätte geschehen dürfen.
Ich wünsche mir, dass der heutige Tag in Lingiades Deutsche und Griechen darin bestärken möge, in Zukunft noch mehr gemeinsame Anstrengungen zu unternehmen: damit sich das Wissen in Deutschland über die deutschen Gräueltaten in Griechenland verbreitet.
Damit die Wissenschaft sich intensiver auseinandersetzt mit der deutschen Kriegsführung und dem deutschen Terror, mit dem griechischen Widerstand und seinen antifaschistischen deutschen Unterstützern.
Damit die Kooperation zwischen Gedenkstätten, Museen und Erinnerungsorten in beiden Ländern ausgebaut wird.

(Hier geht es zur ganzen Rede des Bundespräsidenten [externer Link])

Der 91jährige Antifaschist Manolis Glezos schrieb zuvor an Bundespräsident Joachim Gauck einen offenen Brief. Glezos riß am 30. Mai 1941 gemeinsam mit Apostolos Sandas die deutsche Hakenkreuzfahne von der Akropolis in Athen.

Aus dem Brief von Manolis Glezos

Wir begrüßen die Ankunft des deutschen Bundespräsidenten in Griechenland und versichern Herrn Gauck unserer aufrichtigen Hochachtung, unserer Wertschätzung sowie unserer solidarischen Verbundenheit mit dem deutschen Volk. Wir wollen aber auch versuchen, an die noch nicht eingelösten Verpflichtungen seines Landes gegenüber der Geschichte zu erinnern.

Wie wir aus Meldungen in den Medien erfuhren, besucht der Bundespräsident auch die jüdische Gemeinde von Joannina, die fast vollständig dem Holocaust der Nazis zum Opfer gefallen ist: Alle Angehörigen der jüdischen Gemeinde von Joannina wurden gewaltsam in die Krematorien des Schreckens gezerrt – nur aus einem Grund: Sie waren Juden. Der Bundespräsident besucht auch den Märtyrerort Lyngiades, ein kleines Dorf oberhalb von Joannina, in dem Soldaten der Wehrmacht am 3. Oktober 1943 kaltblütig 82 unschuldige und friedliebende Bürger ermordet haben, unter ihnen Säuglinge, Kinder, Frauen und Greise. (...)

Mehr als einhundert solcher Massenmorde, denen Zehntausende von Zivilisten zum Opfer gefallen sind, hat die Naziwehrmacht in Griechenland begangen. 1770 Dörfer wurden in unserem Land niedergebrannt, mehr als 400000 Wohnhäuser in Schutt und Asche gelegt. So ist unser Land zum Schauplatz einer niemals zuvor gesehenen Tragödie geworden; kein anderes Land hat sie in diesem Umfang und in dieser Gestalt erlitten. Das führte dazu, daß Griechenland nach dem Ende der deutschen Besatzung weniger Einwohner zählte als vor deren Beginn: Bombardierungen, Massenhinrichtungen, Hungertote, Opfer von Epidemien und der Rückgang der Geburtenrate bewirkten einen dramatischen Bevölkerungsrückgang von 13,7 Prozent. Demgegenüber betrug der Bevölkerungsverlust der Sowjetunion zehn Prozent, von Polen acht Prozent und der von Jugoslawien sechs Prozent. Gleichzeitig erlitt Griechenland eine unsagbare ökonomische Katastrophe: Das Land wurde restlos ausgeplündert und seiner Reichtümer beraubt. Archäologische Altertümer und Kunstschätze wurden gestohlen und ins Reich abtransportiert.

Gleichwohl hat unser Land bis heute, also 70 Jahre nach Ende der Besatzung, immer noch keine Wiedergutmachung erhalten. Und dies obwohl von Deutschland an alle anderen zerstörten Länder bereits Kriegsentschädigungen gezahlt wurden: An alle anderen – nur nicht an Griechenland! Warum? Auch der Besatzungszwangskredit wurde an Griechenland nicht zurückgezahlt – anders als an Polen und an Jugoslawien. Ebensowenig wurden die geraubten archäologischen Güter und Kunstgegenstände von unschätzbarem Wert zurückgegeben. Warum? Wie erklärt sich diese nicht nachvollziehbare Haltung gegenüber unserem Land?

(...) Es ist Zeit, daß Deutschland endlich die Mauer der Gleichgültigkeit und Härte unserem Land gegenüber durchbricht. Wenn wir den Willen haben, wird auch ein Weg gefunden werden, unseren Konflikt zu lösen: in einvernehmlicher und in uns wechselseitig anerkennender Weise, ohne Feindschaft und Schmerz. Unsere Parole ist: Gerechtigkeit, nicht Rache! (...)


(Zitiert nach: junge Welt, Freitag, 7. März 2014)



Gesten und Geister

Uwe Kalbe über Joachim Gaucks Besuch in Griechenland **

Joachim Gauck plante für seinen Besuch in Lyngiádes eine spontane Umarmung des Staatspräsidenten, wie es bereits im Vorfeld hieß. Lange habe Griechenland auf solch eine Geste warten müssen, so die verhaltenen, aber bereits gerührten Kommentare des noch ungeschehenen Ereignisses. Dies ist erstaunlich, denn eine Umarmung von Gauck kann man leicht als Zumutung empfinden. Zumal nach den ungesühnten Verbrechen, die die deutsche Wehrmacht in dem Gebirgsort im Jahr 1943 beging.

Berliner Politiker verwandeln sich derzeit in den Augen vieler Griechen wieder in jene Sorte Deutsche, die sie noch in Erinnerung hatten. Merkel mit Hitlerbärtchen ist zwar aus diversen Gründen ebenso eine Zumutung wie Gaucks Umarmung; die verborgene Angst vor dem brutalen Wesen der früheren Besatzer jedoch verständlich. Damals wurde Griechenland erstmals Geldgeber: in Form eines Zwangskredits zur Finanzierung der teuren Besatzer, der nie zurückgezahlt wurde und mit Zins und Zinseszins inzwischen schwindelnde Höhen erreicht haben dürfte. Zinsen wurden für Deutschland erst wieder zum Thema, als es das Geld der eigenen Banken zu retten galt – mit Troika-Zwangskrediten an Griechenland. Ein Schuldenerlass könnte hier Wunder wirken; Gesten von Gauck reichen dagegen nicht, die Geister der Vergangenheit loszuwerden.

** Aus: neues deutschland, Freitag, 7. März 2014 (Kommentar)


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