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Geopolitischer Faktor

Warum Griechenland in der Euro-Zone gehalten und vor der Pleite gerettet wird: Überlegungen des Finanzgurus Marc Faber

Von Rainer Rupp *

Allen gegenteiligen Signalen zum Trotz, ein Rauswurf Griechenlands aus der europäischen Währungsunion kommt nicht in Frage. Allein wegen der strategischen und geopolitischen Bedeutung des Landes im neuen Kalten Krieg der NATO gegen Russland werde Athen in der Euro-Zone gehalten, urteilte der Finanzspekulant Marc Faber in einem Interview mit dem US-Wirtschaftsnachrichtensender CNBC. Dabei zeigte sich der Herausgeber des Gloom, Boom and Doom Report absolut überzeugt, dass man Griechenland aus wirtschaftlichen und politischen Überlegungen niemals erlauben werde, aus freien Stücken den Staatsbankrott zu erklären und damit einen radikalen Schnitt seiner längst untragbar gewordenen Schuldenlast zu erzwingen.

»Es geht um die EZB und die europäischen Banken, die Griechenland Geld geliehen haben. Wenn Griechenland zahlungsunfähig wird, müssten sie große Abschreibungen und Verluste hinnehmen. Deshalb werden sie dem Land am Ende doch wieder mehr Geld leihen und die Lösung des Problems so lange wie möglich hinausschieben«, so der Finanzguru am 11. Mai. »Von noch größerer Bedeutung« sei jedoch die »strategische Lage als Tor zwischen dem Schwarzen und dem Mittelmeer«. Denn nur an dieser Stelle könne die russische Schwarzmeerflotte ins Mittelmeer vorstoßen. Es sei dieser geopolitische Faktor, der laut Faber dafür sorgt, dass Griechenland um jeden Preis in der EU gehalten werden wird. Das wird jedoch auf Grund jüngster Entwicklungen immer schwieriger.

Nach einer nur kurzen Zeit der wirtschaftlichen Erholung ist Griechenland laut jüngsten offiziellen Angaben von Eurostat wieder in die Rezession zurückgefallen, wodurch auch die Steuereinnahmen entsprechend sinken. Zugleich bliebt der Zugang zu neuen Geldquellen von den EU-Institutionen und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) blockiert. »Wir sind am Ende des Weges angekommen«, titelte bereits am 18. April die Financial Times in London. Die Zahlungsunfähigkeit erscheint immer unausweichlicher. So konnte Athen in der vergangenen Woche eine fällig gewordene Schuldentranche an den IWF in Höhe von 750 Millionen Dollar nur noch zurückzahlen, indem es dafür seine Pflichteinlagen beim selbigen Fonds abzog. Jedes Mitglied muss proportional zu seiner Wirtschaftsgröße beim IWF eine solche Pflichteinlage hinterlegen. Jetzt läuft die Zeit, denn letztere muss innerhalb von einem Monat wieder aufgestockt sein, wenn ein Staatsbankrott vermieden werden soll.

Aber Marc Faber bleibt zuversichtlich: »Wenn die EU Griechenland tatsächlich losschneiden würde, dann wäre Russland nur zu froh, an ihre Stelle zu treten, und das würde es potentiell in die Lage versetzen, militärische Macht direkt nach Europa hineinzuprojizieren.« Obwohl der Finanzguru hier die militärischen Optionen gegen Europa im Fall engerer Beziehungen zwischen Moskau und Athen stark überzeichnet, haben EU und NATO andere Gründe, eine solche Entwicklung zu verhindern. Denn eine engere Partnerschaft zwischen den beiden Ländern mit orthodoxen Glaubensgemeinschaften würde über die Lieferung und Weiterleitung von russischem Gas an andere EU-Staaten eine russisch-griechisch-serbische Wirtschaftsachse schaffen (siehe unten) Die daraus folgende prorussische politische Ausstrahlung in der Region würde den Hegemonialplänen der EU und NATO auf dem Balkan diametral entgegenstehen, zumal dadurch auch die Bestrebungen der Ungarn zur »Resouveränisierung« ihres Landes bestärkt würden.

Bemerkenswert ist, dass der Spekulant Faber die Unterstellung, Russland lege wegen der angeblichen Annexion der Krim und wegen seiner politischen und wirtschaftlichen Offerte gegenüber Griechenland (Gaspipeline) ein imperialistisches Verhalten an den Tag, resolut zurück gewiesen hat. CNBC wollte wissen, »ob die EU nur deshalb keine Kosten dafür scheue, Griechenland in der EU zu halten, um zu verhindern, dass sich Putin das Land unter den Nagel reißt, um damit den Ruhm der Sowjetunion wieder herzustellen«? Faber unterstrich, dass die jüngsten russischen Maßnahmen in Reaktion auf den US-Imperialismus erfolgt seien. Es seien schließlich die USA gewesen, »die die Wolfowitz-Doktrin zur Eindämmung und Zurückdrängung von Ländern wie China und Russland umgesetzt haben«. Das Ergebnis dieser Entwicklung sei die allseits zu beobachtende Entstehung einer neuen Weltordnung, die von den beiden aufsteigenden und immer enger zusammenarbeitenden Mächten China und Russland geformt werde.

Was im Westen heute noch als wichtig gelte, wie der Ausgang der Wahlen in Großbritannien, habe in Asien, dem neuen Kraftwerk der Weltwirtschaft, so gut wie keine Bedeutung mehr. Statt dessen habe in Fernost die ganze Aufmerksamkeit dem Besuch des chinesischen Ministerpräsidenten Xi Jinping in Moskau zum 70. Jahrestag des Sieges über den deutschen Faschismus gegolten. Dagegen sei die Wiederwahl des britischen Premiers David Cameron für die meisten Menschen der Welt »von keinerlei Interesse« gewesen, so Faber. Großbritannien sei »kein Imperium mehr, sondern ein degeneriertes Land; wirtschaftlich völlig bedeutungslos«. Auch die USA sieht der Finanzmanager im Niedergang.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 19. Mai 2015


Wohlwollender Paternalismus

Offiziell wird der Druck auf Athen, »den russischen Energie-Offerten zu widerstehen«, so die New York Times am 8. Mai, mit der Sorge Washingtons um Griechenlands wirtschaftliche Zukunft gerechtfertigt. Offensichtlich sind die Griechen aus der Sicht der USA nicht fähig, selbst zu entscheiden, was in ihrem eigenen, besten Interesse liegt, und deshalb will man ihnen mit wohlwollendem Paternalismus dabei »helfen«. Das zumindest ist der Kern der offiziellen, am 8. Mai veröffentlichten Erklärung der US-Botschaft in Athen anlässlich des Besuchs von Amos Hochstein, Sondergesandter und Koordinator für internationale Energiefragen des US-Außenministeriums. Hochstein hatte in Gesprächen mit drei Ministern der Tsipras-Regierung sowie mit Vertretern von Energieunternehmen versucht, mit allerlei Versprechungen die Griechen von einer engeren energiepolitischen Zusammenarbeit mit Russland abzubringen.

In der US-Erklärung heißt es: „Sondergesandter Hochstein kam nach Athen, um die Unterstützung (…) der US-Regierung für die Diversifizierung der griechischen Energie zu bekräftigen. Dies schließt die Unterstützung für die wichtigsten Erdgasinfrastrukturprojekte wie die Trans-Adriatic-Pipeline, den Griechenland-Bulgarien-Interconnector (IGB) und die verstärkte Verwendung von Flüssiggas (LNG) mit ein.« Und weiter: »Diese Projekte werden die griechische und europäische Energiesicherheit erhöhen, Griechenlands Abhängigkeit von einem einzigen Gaslieferanten verringern, den Wettbewerb erhöhen und die Preise für die Verbraucher senken. Die Verlängerung der Transanatolischen Pipeline wird 1,5 Milliarden Euro ausländischer Investitionen in Griechenland zur Folge haben, während der Bauphase 10.000 Arbeitsplätze schaffen und über 25 Jahre viele Millionen Euro jährlich an Einnahmen generieren.«

Die USA seien besorgt, dass Athens Erwägung einer Verlängerung der russisch-türkischen Pipeline durch Griechenland nicht zur Diversifizierung der Energieversorgung beitrage. Dies dürfte, so die versteckte Drohung, »die Aufmerksamkeit der EU-Wettbewerbsbehörden auf sich lenken und auch keine langfristige Lösung für Griechenlands Energiebedarf darstellen«. Doch Washington reicht die »schützende Hand«: »Herr Hochstein diskutiert mit griechischen Verantwortlichen auch Griechenlands großes Potential, eine führende Rolle bei der Lösung von Europas Energiesicherheit zu spielen.« (rwr)



EU und USA über griechische Pipelinepläne alarmiert

Von Rainer Rupp **

Im Laufe von schmerzhaften und langwierigen Verhandlungen mit seinen europäischen Gläubigern hat Griechenland zu verschiedenen Zeiten die russische Karte gespielt. Aus den anfänglich eher taktischen Annäherungsversuchen zwischen der linken Regierung von Alexis Tsipras in Athen und dem Kreml in Moskau wurde schnell Ernst, als erste Berichte über eine Beteiligung Griechenlands am russisch-türkischen Pipelineprojekt auftauchten. Dies geschah vor dem Hintergrund der Sanktionen von EU und USA gegen Russland. Auslöser war die Absage der neuen Regierung in Bulgarien an das Pipelineprojekt »South Stream«. Auf Druck von Brüssel, aber vor allem aus Washington, entschied sich Sofia gegen vitale nationale Wirtschaftsinteressen – ohne Gegenleistungen.

Mit der South-Stream-Pipeline, die an der Ukraine vorbei durch das Schwarze Meer russisches Gas in die südeuropäischen Länder der EU und bis nach Österreich gebracht hätte, sollte – wie bereits bei der Transportvariante durch die Ostsee – das Erpressungs- und Diebstahlspotential Kiews beim russischen Gastransit nach Westeuropa weiter verringert werden. Nach Bulgariens Absprung von diesem Projekt hat Russland zum Erschrecken der westlichen Strategen innerhalb kürzester Zeit ein Gasabkommen mit Ankara geschlossen. Die neue Pipeline soll über die Türkei Gas nach Südwesteuropa bringen. Und Ankara, statt des bettelarmen Bulgariens, wird jährlich Hunderte Millionen Euro Transitgebühren kassieren.

Die Tsipras-Regierung, die verzweifelt auf der Suche nach wirtschaftlichen Großprojekten ist, will sich offensichtlich an diesem russisch-türkischen Vorhaben beteiligen, zumal dadurch Griechenlands Energiesicherheit enorm verbessert würde. Demnach soll die geplante türkisch-russische Gasleitung über griechisches Territorium nach Serbien und Ungarn führen. Eine abzweigende Röhre soll auch bis an die zentrale europäische Gasverteilerstelle im österreichischen Baumgarten gelegt werden. Zugleich hat auch Rom bereits Interesse an einer weiteren Verbindung nach San Foca im »Absatz« des italienischen »Stiefels« angemeldet.

In Brüssel herrschte daraufhin Alarmstimmung. Denn durch die griechische Beteiligung am russisch-türkischen Projekt würden die Pläne der EU, Gas aus Aserbaidschan vom Kaspischen Meer über die transanatolische Pipeline an Russland vorbei nach Europa zu bringen, zur Makulatur. Nicht nur, dass die Transportkosten viel höher wären als für russisches Gas. Aserbaidschan könnte auch nur deutlich weniger liefern als die Russen. Deshalb ist die vorgesehene Kapazität der transanatolischen Pipeline auch viel kleiner.

Als Ende April der Chef des russischen Konzerns Gasprom, Alexej Miller, Griechenland besuchte, um »aktuelle Energiefragen von gemeinsamem Interesse« zu diskutieren, platzte aus Wut über so viel griechische Souveränität Brüssel der Kragen. In einem mehr als durchsichtigen Manöver reichte die EU-Kommission umgehend eine Kartellklage gegen den russischen Gasriesen ein, um den Kreml für seine Einmischung in die Verhandlungen zwischen der EU und deren ägäischen Schuldnern zu bestrafen. Auch die USA blieben nicht untätig. In einer recht undiplomatischen Note forderten sie die griechische Regierung auf, keine Pipelinegeschäfte mit den Russen zu machen.

** Aus: junge Welt, Dienstag, 19. Mai 2015


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