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Kampf dem "Grexit"

Griechenlands Ministerpräsident trifft deutsche Kanzlerin in Berlin. Was auch immer herausgekommen ist, es bleibt nur ein Zwischenschritt

Von Klaus Fischer *

Er war da: Griechenlands Ministerpräsident Alexis Tsipras traf am gestrigen Montag zu seinem ersten offiziellen Besuch in Berlin ein. Nach seiner Landung auf dem militärischen Teil des Flughafens Berlin-Tegel begann ein kurzes und kompliziertes Programm. Es ging, wie zuletzt immer, um die Frage: Kann die Zahlungsunfähigkeit des EU- und Euro-Zonen- Mitgliedslandes abgewendet werden – und wenn ja, zu welchem Preis?

Tsipras kam nicht mit leeren Händen. Im Gepäck befand sich auch eine »Reformliste«, jenes Mysterium, das wahlweise als Dokument der Unterwerfung oder eines wirklichen Neubeginns in der Zusammenarbeit zwischen Hellas und Resteuropa angesehen werden kann. Nach Informationen der Nachrichtenagentur dpa hatte der Regierungschef auf dem dringend erwarteten Zettel eine Mischung kommender Maßnahmen parat: Steuererhöhungen, Privatisierungen sowie Nachzahlungen von Steuerbetrügern. Das soll Geld in die leeren Staatskassen bringen. Und weil diese Liste vor allem von Berlin so dringend reklamiert worden war, dürfte die Präsentation zumindest die Stimmung zwischen Gast und Gastgeberin erwärmt haben.

Die Europäische Kommission hatte ihren Willen, Griechenland im Euro-Verbund zu halten, bereits am Freitag dokumentiert: In Brüssel hatte man zuvor zwei Milliarden Euro entdeckt, die in der Schatztruhe für Entwicklungshilfe unabgerufen vor sich hin entwerteten. Jetzt werden sie einem guten Zweck zugeführt, sollen Tsipras und dessen Regierung helfen, die dringendste Armut im Lande zu bekämpfen. Und weil die Hoffnung zuletzt stirbt, mag es eine gute Idee sein.

Das »Geld entdecken« der EU-Kommission hat logischerweise seinen Preis. Nach Angaben aus Regierungskreisen in Athen vom Montag sollen dort Beschäftigte künftig auch generell erst mit 67 Jahren in Ruhestand gehen dürfen. Die »Rente mit 62« soll es nur für jene geben, die mindestens 40 Jahre lang gearbeitet haben. Es war ein zentrales Wahlversprechen der Linkspartei Syriza, dass die Altersbezüge nicht angetastet werden. Im Gespräch sind laut dpa auch eine Erhöhung der Umsatzsteuer auf Touristeninseln sowie Zwangsabgaben auf Tabakwaren und Alkohol.

Ein interessanter Akt dürfte der geplante Aufruf der Steuerbehörden an Inhaber von Schwarzgeldkonten werden, die sich melden sollen. »Wir wissen, wer Sie sind, und geben Ihnen eine letzte Chance, sich zu retten«, zitierte dpa einen hohen Beamten des Athener Finanzministeriums. In Athen liegen demnach Listen mit den Namen Tausender Griechen vor, die in den vergangenen Jahren jeweils mehr als 100.000 Euro ins Ausland überwiesen haben. Laut Finanzministerium schulden rund 3,7 Millionen Griechen und 447.000 Unternehmen dem Staat etwa 76 Milliarden Euro.

Tsipras wollte zudem Grundrisse seines Regierungsprogramms vorstellen. Allerdings sei das noch nicht fertig, hieß es. Das könnte zu erneutem Stirnrunzeln bei den Kreditgebern geführt haben – obwohl man derzeit nicht so recht weiß, wer noch dazuzurechnen ist. Das zuletzt verlängerte, aber seit 2012 laufende »Hilfsprogramm« war noch von der »Troika« aus EU, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds (IWF) zusammengestellt worden. Der IWF möchte Berichten zufolge schon seit geraumer Zeit das wackelige Gefährt verlassen, zumal bei den Griechen der Name verhasst ist. Doch ein wenig Geduld scheint der Washingtoner Fonds noch aufbringen zu müssen: Die letzten 7,2 Milliarden Euro aus dem »Rettungstopf« dürfen formal erst fließen, wenn aus Athen belastbare Reformvorschläge gekommen sind. Das Geld lag bis zum Montag auf Eis.

Reichen würde es ohnehin nur bis zur nächsten fälligen Zinszahlung. Ein Konzept, unter welchen Bedingungen Griechenland wirtschaftlich wieder lebensfähig werden und zugleich seine Schulden bedienen könnte, gibt es nicht. Und es wird es auch künftig nicht geben, allenfalls als erneute Mogelpackung wie die letzte »Rettungsaktion«. Vermutlich ist das allen führenden EU- und Staatspolitikern längst klar. Ein »Grexit« ist derzeit eher nicht opportun. Der Ausschluss oder der freiwillige Beschluss Griechenlands, die Währungsunion zu verlassen, gilt als großes Risiko für den Zusammenhalt dessen, was die Visionäre in Brüssel gerne »Europa« nennen. Aus Washington waren zuletzt deutliche Signale gekommen, dass der »große Bruder« einen solchen Fall nicht wünscht. Dort ist man aus geostrategischen Gründen (Russland) ebenso dagegen wie aus dem Kalkül heraus, mit der Euro-Krise sei EU-Europa auch ausreichend genug beschäftigt, um international nicht zuviel Unsinn anzustellen.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 24. März 2015


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