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Alles schwer zu überblicken

Vom Brotkringel bis zum Bauprojekt machen Krise und Teuerung der griechischen Bevölkerung zu schaffen

Von Anke Stefan, Athen *

Die Gläubigerauflagen bestimmten in dieser Woche wieder den Alltag der Griechen: Sparauflagen traten in Kraft, weitere wurden im Parlament verabschiedet und die Institutionen kehrten nach Athen zurück.

Die Pizzeria hat ihre Preise schon angepasst: Statt knapp über 14 bezahlen wir 15 Euro für eine vegetarische und die klassische mit Pilzen und Schinken. Doch die seit Montag geltenden neuen Mehrwertsteuersätze für viele Produkte und Dienstleistungen sorgen anfänglich noch für Verwirrung. Kein Wunder, beinhalten sie die für bürokratische Verwaltungsvorschriften typischen Absurditäten. So wird der ermäßigte Mehrwertsteuersatz von 13 Prozent für einige Grundnahrungsmittel, darunter Brot und Schafskäse, beibehalten. Der Brotkringel mit Schafskäsefüllung aber ist beim Bäcker in den Hauptsteuersatz von 23 Prozent aufgestiegen. Erklärungsbedürftig wäre beispielsweise auch, warum zwar Tintenfisch und seine Verwandten, nicht aber Miesmuscheln weiterhin dem ermäßigten Satz unterliegen.

Vor allem bei den »Pfennigprodukten« ist der Unterschied erst einmal kaum zu sehen. Sie habe noch keinen Überblick, »dafür müsste ich die Preise von letzter Woche im Gedächtnis haben«, meint eine Kundin im Supermarkt, die an ihrer Kleidung gemessen sicherlich nicht zu den ganz Armen gehört. Skeptisch ist sie dennoch: »Wir werden ja sehen, was am Ende im Portemonnaie übrig bleibt.«

Klar habe man viele Produkte heraufgesetzt, sagt die Verkäuferin. Fruchtsäfte beispielsweise seien damit in Preisbereiche gestiegen, »die fast einem Kaufverbot gleichkommen«. »Ist schon unglaublich, was unter den Lebensmitteln jetzt so alles als Luxusgut zählt«, setzt die junge Frau im blauen Kittel empört hinzu.

Mehr als eine Milliarde Euro soll die Mehrwertsteuererhöhung pro Jahr in die klammen Staatskassen spülen. Doch ob diese Rechnung aufgeht, darf bezweifelt werden. Im Supermarkt kommt man um die Bezahlung der Steuer nicht herum. Doch schon im nächsten, für griechische Durchschnittsfamilien fast unverzichtbaren Ausgabenfeld sieht es anders aus: Die zum Bestehen der Eingangsprüfung zum Universitätsstudium fast unerlässlichen Nachhilfestunden waren bisher von der Mehrwertsteuer befreit. Nun ist auf den Unterricht in den entsprechenden privaten Einrichtungen, den sogenannten Frontistiria, auf einen Schlag der Hauptsteuersatz von 23 Prozent fällig. »Das wird nur dazu führen, dass vermehrt auf private Nachhilfe außerhalb der Frontistiria zurück gegriffen wird«, meint Vivy, die gemeinsam mit ihrem Mann ein kleines Frontistirio in einem Mittelklasse-Stadtteil im Norden Athens betreibt. »Solche Einzelstunden werden - natürlich schwarz - auch von den meisten in den Frontistiria beschäftigen Lehrkräften angeboten.« Nur die großen Institute könnten es sich leisten, die neue Mehrwertsteuer nicht auf die Schüler umzulegen, meint die energische Mittvierzigerin. Institute wie das ihre steckten jetzt in der Zwickmühle. »Wir können uns weder leisten, die Mehrwertsteuer selbst aufzufangen, noch können wir sie auf die Familien der Schüler umlegen, die auch kein Geld haben und zum größten Teil bereits mit den bisherigen Zahlungen im Rückstand sind.« Wenn es um »8 Prozent oder so« gegangen wäre, hätten die meisten ihrer Kunden mitgemacht, ist sie überzeugt. »So aber werden jetzt alle ›ohne Quittung‹ zahlen wollen.«

Die griechische Wirtschaft befindet sich bereits wieder im freien Fall. Um 4,2 Prozent ist laut staatlicher Statistik der Umsatz der Industrie im Mai 2015 im Vergleich zum Vorjahresmonat gefallen. Nahezu alle Straßenbauprojekte wurden gestoppt, da der Staat seinen vertraglich zugesicherten Anteil seit Monaten nicht bezahlt hat. Wo Tausende von Arbeitsplätzen - wohlgemerkt bei einem bereits über 1,5 Millionen Menschen zählenden Arbeitslosenheer - auf dem Spiel stehen, ist es kein Wunder, dass auch Sommerschlussverkauf und auf Sonntage ausgedehnte Ladenöffnungszeiten die Kassen nicht klingeln lassen. Da muss als gute Meldung schon herhalten, dass man jetzt die von der SYRIZA-geführten Regierung eingeführten Guthabenkarten an besonders Bedürftige verteilt. Sie werden monatlich mit 70 bis 220 Euro aufgeladen, die im Supermarkt eingelöst werden können.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 25. Juli 2015


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