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Widerstand mit langem Atem

In Griechenland demonstriert seit rund einem Jahr eine Gruppe Putzfrauen gegen die Austeritätspolitik

Von Anke Stefan, Athen *

Auch wenn der Protest gegen die Kürzungspolitik in Griechenland nachlässt – eine Gruppe Putzfrauen demonstriert hartnäckig weiter. Am Mittwoch vor dem EU-Parlament in Straßburg.

Fast der gesamte Widerstand gegen die Austeritätspolitik in Griechenland ist erlahmt. Doch ausgerechnet eine Gruppe Frauen bietet der Regierung seit fast genau einem Jahr unermüdlich die Stirn. Die Rede ist von den 595 beim griechischen Finanzministerium angestellten Putzkräften, die am 17. September vergangenen Jahres im Zuge der Verschlankung des Staatsapparates auf die Straße gesetzt wurden. Ihre Arbeit wird seitdem von noch schlechter bezahlten, bei privaten Reinigungsfirmen angestellten Frauen geleistet. Doch anstatt »gesenkten Kopfes nach Hause zu gehen, sind wir auf der Straße geblieben«, erzählt Konstantina P. Zusammen mit einem Dutzend Kolleginnen steht sie vor dem Eingang der Polizeizentrale im Zentrum Athens. In dem Gebäude sind soeben fünf weitere Kolleginnen verschwunden, die von der Staatsanwaltschaft vorgeladen wurden.

Gemeinschaftlich sollen sie bei einer der zahlreichen Protestaktionen der Frauen die Straftatbestände des Hausfriedensbruchs öffentlicher Einrichtungen und der Beamtenbeleidigung begangen haben. Der zierlichen Vasso G. wird darüber hinaus vorgeworfen, gleich drei martialisch gerüstete Beamte der Bereitschaftspolizei verletzt zu haben. »Die Regierung versucht mit allen Mitteln, eine Handvoll Frauen zu terrorisieren, um alle anderen, die daran denken, Widerstand zu leisten einzuschüchtern«, sagt Konstantina P. Etwa 50 Gewerkschafter anderer Branchen sind gekommen, um lautstark ihre Solidarität mit den Putzfrauen und den Beschuldigten auszudrücken. »Es scheint, die Regierung hat die Geduld verloren. Wir dagegen haben genug Geduld, um weiterzumachen, bis wir gewonnen haben.«

Geduld, Ausdauer und Kraft haben die Putzfrauen in der Tat. Seit ihrer Entlassung vor etwa einem Jahr waren sie überall vertreten, wo sich die von der Spar- und Kürzungspolitik Betroffenen im nach wie vor krisengeschüttelten Griechenland zur Wehr setzen: Eimer und Besen schwenkend auf Streikdemonstrationen und auch auf der »Gedenkveranstaltung« anlässlich des Jahrestages der Schließung der öffentlich-rechtlichen Medienanstalt Griechenlands. Hier waren ebenfalls im Handstreich gleich mehr als 2500 öffentliche Angestellte entlassen worden. Kürzlich waren die Putzfrauen im Norden des Landes, wo die Bewohner von Skouries gegen die Zerstörung der Region durch den großflächigen Abbau von Gold im Tagebau kämpfen. Sie wissen, dass sie mit ihrem Einsatz Beispiele geben und aufrütteln. »Ohne uns«, so die Einschätzung von Konstantina P., »wäre beispielsweise der derzeitige Widerstand gegen die Evaluierung aller Angestellten im öffentlichen Dienst nicht so kraftvoll.«

In eigener Sache war man seit der Entlassung vor einem Jahr jeden Tag aktiv. Über Wochen blockierten die Frauen jeden Morgen den Eingang zum Finanzministerium in Athen. Dabei wurden sie regelmäßig von Männern der Bereitschaftspolizei, die vom Alter her ihre Söhne sein könnten, unter dem Einsatz von Schlagstöcken vertrieben. Nur um sich am nächsten Morgen wieder vor Ort einzufinden.

Am 23. September wird der Oberste Gerichtshof über ihre Klage auf Wiedereinstellung entscheiden. Seit über 130 Tagen, wie Konstantina P. stolz anmerkt, haben die Frauen überdies ein Zeltlager auf dem Platz vor dem Ministerium errichtet und es trotz Hitze im Sommer und des nun einsetzenden stürmischen Herbstregens »in Schichten bis heute gehalten«. Hier kommen täglich Menschen vorbei, um den auch sonst unter schwierigen Bedingungen lebenden Frauen ihre Anerkennung auszusprechen. »Ihr seid die einzige Stimme des Widerstands«, sagen Arbeitslose, prekär Beschäftigte und von Kündigung Bedrohte zu den Frauen.

Von denen haben viele ihrerseits als alleinerziehende Mütter oder Verwandte von pflegebedürftigen Angehörigen mit mehr als nur der eigenen Entlassung zu kämpfen. Sie fordern ihre Wiedereinstellung in die schlecht bezahlten Jobs. 450 Euro bekam Konstantina P. am Ende jedes Monats für ihre Arbeit im Finanzamt des Athener Stadtteils Iliopolis ausgezahlt. Bei solchen Löhnen ist die Vergabe der Reinigungsarbeiten an private Firmen für den griechischen Staat wohl ein Verlustgeschäft. Denn die entlohnen zwar ihre eigenen Angestellten noch schlechter, lassen sich aber die Dienste gut bezahlen. Deshalb ist Konstantina P. auch überzeugt davon, dass die Regierung der auf den Abbau von Staatsausgaben drängenden Troika einen Bärendienst erweist.

Für den 20. September wurde international ein Tag der Solidarität mit den widerspenstigen Putzfrauen ausgerufen. Vorher wollen sie international selbst »auf den Putz hauen« – am am Mittwoch auf einer Demonstration vor dem Europäische Parlament in Straßburg. »Denn seit die Troika nach Griechenland gekommen ist, gibt es hier keine Gerechtigkeit mehr.«

* Aus: neues deutschland, Mittwoch 17. September 2014


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