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Zwischen den Fronten

EU mutiert zur Wirtschafts-NATO. Moskau-Besuch von Alexis Tsipras zeigt: Statt Geschäfte zu machen, sind Blockdenken und Gefolgschaft angesagt

Von Klaus Fischer *

Die gute Nachricht vornweg: Griechenlands Regierung hat die drohende Pleite vermieden und eine fällige Schuld von 450 Millionen Euro beim IWF bezahlt. Mit dem Internationalen Währungsfonds ist bekanntlich nicht zu spaßen, obwohl Athen vom Aufsichtspersonal der Finanzorganisation zuletzt nachsichtiger als die üblichen Kunden behandelt worden ist. Was allerdings zeigt: Geostrategische Erwägungen der USA werden auch heute noch umgehend in der Geschäftspolitik des IWF berücksichtigt, daran können die anderen 187 Mitgliedsstaaten wenig ändern. Hier fordert die aggressive Strategie Washingtons gegenüber Russland ihren Tribut – was gern mit »Primat der Politik« umschrieben wird.

Auf den kann die Regierung in Athen jedoch nur mit Vorsicht setzen. Beim Moskau-Besuch von Ministerpräsident Alexis Tsipras am Mittwoch und Donnerstag wurde deutlich, dass dieses Prinzip von den Führungsmächten des Westens nicht allen gleichermaßen zuerkannt wird. Die Ergebnisse der Gespräche zwischen Tsipras und Präsident Wladimir Putin waren wenig spektakulär. Es ging eher um Absichten zur Verbesserung von Handels- und Finanzgeschäften als um konkrete Vereinbarungen. Die mediale Begleitmusik aus dem »eigenen Lager« machte zumindest deutlich, dass weder Washington noch Berlin oder Brüssel den Griechen den politischen »Primat« zubilligen. Dabei dient dieses ungeschrieben Prinzip lediglich einem Zweck: die Verwertungsbedingungen des (heimischen) Kapitals zu verbessern.

Etwas anderes hat auch Griechenlands Regierung unter Führung der Linkspartei Syriza nicht im Sinn. Beim Moskau-Besuch ging es darum, den Kapitalismus mit Leben, also gewinnbringenden Vereinbarungen, zu erfüllen. Dazu zählten Bemühungen, für die von den Russland-Sanktionen besonders betroffenen griechische Agrarwirtschaft neue Perspektiven zu eröffnen. Nach Angaben von Tsipras habe er mit den Vertretern der Russischen Föderation auch über eine Beteiligung an geplanten – und mit Nachdruck von den griechischen Hauptgläubigern geforderten – Privatisierungen gesprochen. Beide Staaten wollten dazu ein Gemeinschaftsunternehmen gründen, sagte der Ministerpräsident am Donnerstag der Agentur Interfax zufolge in Moskau. Gespräche dazu hätten bereits am Mittwoch begonnen. Medienberichten zufolge ging es um Beteiligungen interessierter russische Firmen an großen Infrastrukturprojekten, wie dem Hafen von Thessaloniki oder der Eisenbahn. Moskau bot demnach auch an, Gasvorkommen vor der Küste auszubeuten.

Tsipras zeigte sich optimistisch, dass Russland sein als Reaktion auf die Sanktionen verhängtes Embargo für Lebensmittel aus Griechenland lockern werde. Bei seinem Treffen mit Kremlchef Wladimir Putin am Vortag hätten beide einen Weg gefunden, die Probleme zu überwinden, sagte der Ministerpräsident. Putin hatte eine völlige Aufhebung des Importstopps zwar abgelehnt, jedoch die Gründung von Gemeinschaftsunternehmen ins Spiel gebracht.

In Berlin und Brüssel versteht man unter Primat der Politik indes das Diktat der eigenen Prioritäten, basierend eher auf der Gefolgschaft zur USA als auf den Interessen des nationalen bzw. regionalen Kapitals. Dadurch bekommt der in linken Medien gebrauchte Begriff von der EU als Wirtschafts-NATO ganz neue Aktualität. Von Griechenland wird allenfalls Gehorsam erwartet – was die in dieser Hinsicht vorbildlichen »Qualitätsmedien« auch durch die Auswahl geeigneter Stichwortgeber unterstützten. So traktierte Spiegel-online am Mittwoch nahezu ganztägig Leserinnen und Leser mit der Meinung des ukrainischen Wirtschaftsministers und früheren litauischen Bankers Aivaras Abromavicius zum Russland-Besuch.

Die Europaabgeordnete der Grünen, Rebecca Harms, giftete gegen die Athener Regierung, die »das Signal setzt, sie könnte sich auch einen Kurs vorstellen, der sich näher an Moskau als an Brüssel orientiert«. Der Regierungschef habe mit seinem Besuch »eindeutig prorussische und eine eindeutig antieuropäische« Stimmung gemacht.

Bayerns Finanzminister Markus Söder (CSU) warnte vor einem griechischen Sonderweg im Verhältnis zu Russland. »Weder Reparationsforderungen noch Sonderabkommen mit Russland helfen der sozialistischen Regierung in Griechenland«, zitiert ihn Die Welt. Athen setze die falschen Prioritäten und versuche täglich, seine Partner unter Druck zu setzen. Der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber sagte in der Augsburger Allgemeinen, Athen müsse das russische Angebot zurückweisen, griechische Agrargüter ins Land zu lassen. Wenn Russland seine Sanktionen gegen einzelne EU-Staaten aufhebe, dann wolle Putin damit nur einen Keil zwischen die EU-Länder treiben, so Ferber.

Den Tagessieg beim Anti-Tsipras-Bashing fuhr allerdings die Neue Zürcher Zeitung ein. »Lenin prägte einst einen Begriff für Figuren wie Tsipras: nützliche Idioten. Es liegt im Interesse des Kremls, Europa in der Ukraine-Frage zu spalten. … Tsipras alleine kann sich nicht querlegen, aber als nützliche Instrumente stehen auch noch Putin-Versteher wie Ungarns Regierungschef Orban oder die französische Populistin Le Pen zur Verfügung.« Da waren offenbar ganz besonders neutrale Schweizer Superhirne am Werk, dumm nur, dass sie den Bumerangeffekt nicht bemerkt haben.

* Aus: junge Welt, Freitag, 10. April 2015


Brüderliche Solidarität

Auf der Internetseite des russischen Präsidenten wurde am Mittwoch eine »Gemeinsame Erklärung des Präsidenten der Russischen Föderation und des Premierministers der Griechischen Republik aus Anlass des 70. Jahrestages des Tags des Sieges« veröffentlicht. Darin heißt es:

(…) Die brüderliche Solidarität des russischen und des griechischen Volkes in den Jahren des Zweiten Weltkrieges wurde zu einem weiteren Beleg der historischen Freundschaft und ihrer langwährenden Verbindungen.

Die welthistorische Bedeutung des Großen Sieges ist unstrittig: Sein Ergebnis war die Herausbildung eines neuen Systems internationaler Beziehungen auf der Grundlage allgemein anerkannter Normen und Grundsätze des Völkerrechts und die Schaffung der Organisation der Vereinten Nationen (UNO), die berufen ist, neue Kriege zu verhindern und künftige Generationen vor dem Untergang zu bewahren.

Dank des Großen Sieges triumphierten die Ideale der Freiheit, der Demokratie und des Rechts der Völker auf Selbstbestimmung. Die Russische Föderation und die Griechische Republik bekräftigen ihre grundsätzliche Unterstützung für die zentrale Rolle der UNO und ihres Sicherheitsrates für die Erhaltung des internationalen Friedens und der Sicherheit und rufen die UNO-Mitgliedsstaaten auf, alles in ihren Möglichkeiten stehende zu tun, damit in den internationalen Beziehungen von der Anwendung von Gewalt oder der Drohung mit ihr abgesehen wird ebenso wie von anderen Handlungen, die mit der UNO-Charta unvereinbar sind, die gegen die territoriale Integrität oder die politische Unabhängigkeit jedwedes Staates gerichtet sind. Die Notwendigkeit, an die Ziele und Grundsätze der UNO zu erinnern, ist heute so aktuell wie nie. (...)

Die Russische Föderation und die Griechische Republik verurteilen entschieden alle Versuche, die Geschichte des Zweiten Weltkrieges zu verfälschen. Sie bewerten sie als nicht hinnehmbare Schändung des Gedenkens an jene, die ihr Leben für den Großen Sieg gaben. Die Russische Föderation und die Griechische Republik ehren das Andenken der auf den Schlachtfeldern Gefallenen, die einen entscheidenden Beitrag zur Zerschlagung des Nazismus geleistet haben. Zur historischen Wahrheit gehört, dass es ohne die Schlachten vor Moskau, ohne die heldenhafte Verteidigung Leningrads, ohne die eine Wende einleitenden Schlachten von Stalingrad und Kursk unmöglich gewesen wäre, den Nazismus in den Staub zu werfen. Das Heldentum der Roten Armee und die Selbstbehauptung der Sowjetbürger waren die entscheidenden Faktoren des Sieges. Niemandem ist gestattet, die Millionen Toten zu vergessen, den hohen Preis, den die UdSSR in diesem titanischen Kampf bezahlte.

Das griechische Volk, das alle Schrecken der Besatzung erlebte, kämpfte heldenhaft an allen Fronten gegen den zahlenmäßig weit überlegenen Eroberer und leistete allgemein anerkannt einen gewichtigen Beitrag zum Sieg der Verbündeten, indem es den Angriff der faschistischen Truppen auf die UdSSR hemmte. Sie steckten monatelang an der griechischen Front fest. (…)


Vollständiger Text (russisch): http://ok.ru/adodo/topics/-2002189526 (externer Link)

Übersetzung: Arnold Schölzel




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