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Exempel statuieren

Troika-Mafia erpresst Athen

Von Sahra Wagenknecht *

Das Krisentreffen der Euro-Finanzminister am Dienstag endete mit einem unverschämten Ultimatum an Griechenland: Die neue Regierung in Athen soll bis Freitag ihre Wähler um sämtliche Wahlversprechen prellen und um die Rückkehr der verhassten Troika nach Athen bitten, sonst droht das Land von der Europäischen Zentralbank (EZB) aus der Euro-Zone herausgeworfen zu werden.

Die Einstellung der Geldversorgung der griechischen Banken durch die EZB ist offenbar das wichtigste Druckmittel der von Schäuble angeführten EU-Gangstertruppe. Denn bei den »Hilfskrediten« besteht ein Gleichgewicht des Schreckens. Die Nichtauszahlung von »Hilfskrediten« wird die neue griechische Regierung mit der Nichtbedienung der bestehenden Schulden beantworten. Denn Athen braucht neue Kredite ausschließlich dafür, um alte Schulden zu refinanzieren und Zinsen zu bezahlen. Ohne diese Belastungen weist der griechische Haushalt sogar einen geringfügigen Überschuss auf, der den nötigen Spielraum bietet, um das dringend benötigte Sofortprogramm zur Linderung der sozialen Not im Land zu finanzieren.

Ohne die Instrumentalisierung der EZB hätten Merkel und Schäuble also kaum eine Chance. Es ist aber fraglich, ob die EZB im Ernstfall tatsächlich EU-Recht brechen würde. Denn Anfang Januar machte der Generalanwalt in einer Stellungnahme vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) im Zusammenhang mit dem Anleiheaufkaufprogramm deutlich, dass sich die EZB aus den sogenannten Anpassungsprogrammen herauszuhalten habe.

Außerdem ist die politische Situation heute in Griechenland eine andere als damals in Zypern. In Griechenland hat die Troika bereits jahrelang gewütet und eine soziale und wirtschaftliche Katastrophe gigantischen Ausmaßes verursacht. Die Syriza-Regierung wurde gerade deshalb gewählt, weil sie versprochen hatte, dieses Martyrium zu beenden. Und eine überwältigende Mehrheit von 80 Prozent der Bevölkerung unterstützt diesen Kurs der Regierung.

Das »Angebot« der Troika-Mafia vom Montag wurde von der Regierung in Athen daher zu Recht als »absurd« bezeichnet. Nobelpreisträger Paul Krugman kommentierte den Vorgang in seinem Blog sinngemäß: Entweder seien die Euro-Gruppen-Vertreter einfach Trottel oder – das hält der amerikanische Ökonom für wahrscheinlicher – sie haben sich entschieden, an Griechenland ein Exempel zu statuieren, um jedem klarzumachen, dass alternative Politik in Europa keine Chance hat. Das ist gut möglich. Um die Bevölkerung anderer Krisenstaaten zu entmutigen, sich ebenfalls gegen brachiale Lohn- und Rentenkürzungen und den wirtschaftlichen Ruin ihrer Länder aufzulehnen, scheint es für einen Teil des europäischen Establishments das geringere Übel zu sein, dass die riesigen Milliardenbeträge der europäischen Steuerzahler mit einem möglichen »Grexit« endgültig verloren sind. Es sollte alles dafür getan werden, dass diese Strategie der Troika-Mafia nicht aufgeht.

Sahra Wagenknecht ist Erste Stellvertretende Vorsitzende der Fraktion Die Linke im Bundestag.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 18. Februar 2015 (Gastkommentar)


»Absurd und inakzeptabel«

Troika-Memorandum abgewiesen: Tsipras-Regierung weigert sich, Vorgaben von EU, IWF und Europäischer Zentralbank zu akzeptieren. Doch Athen bleibt auf Wohlwollen der EZB angewiesen

Von Andreas Wehr **


Ende in Bitterkeit, »Broke up in acrimony«, so beschrieb die International New York Times den Ausgang des Treffens der Finanzminister der Euro-Staaten am Montag abend. Bereits am 13. Februar war man in diesem Gremium ohne Ergebnis auseinandergegangen. Eine gemeinsame Erklärung war nicht zustande gekommen, da der griechische Finanzminister Gianis Varoufakis seine Unterschrift kurzfristig zurückgezogen hatte. Diesmal bemühten sich die Kontrahenten nicht einmal mehr um einen gemeinsamen Text. Die griechische Seite ließ vielmehr noch vor Verhandlungsschluss ein Papier kursieren, in dem sie erklärte, dass »das Beharren bestimmter Kreise« darauf, die neue griechische Regierung habe das Memorandum anzuwenden, »absurd und inakzeptabel« ist. Jene, die das nicht akzeptieren wollen, »verlieren ihre Zeit«.

Damit sind die Fronten klar. Die Regierung von Alexis Tsipras weigert sich, das von der abgewählten Regierung angenommene Memorandum von Europäischer Kommission, Internationalem Währungsfonds (IWF) und Europäischer Zentralbank (EZB) als Grundlage für eine europäische Anschlussfinanzierung des griechischen Haushalts zu akzeptieren. Das gegenwärtige Programm läuft Ende Februar aus. Die Anerkennung des Memorandums als Voraussetzung für weitere Gelder verlangen hingegen die übrigen 18 Finanzminister der Euro-Zone sowie die Europäische Kommission und die EZB. Den größten Druck in diese Richtung übt einmal mehr die deutsche Bundesregierung aus.

Berlin und Brüssel sind sich sicher, in diesem Ringen die besseren Karten zu haben. Immer wieder wird dort darauf verwiesen, dass nicht alleine die Deutschen unnachgiebig sind. Noch entschiedener träten die Finanzminister Portugals und Irlands auf, schließlich hätten ja auch ihre Länder die Vorgaben der Troika akzeptieren müssen. Gern lässt man auch Vertreter der osteuropäischen Euro-Staaten zu Wort kommen. Sie führen regelmäßig Klage darüber, dass man für griechische »soziale Wohltaten« zahlen solle, die man sich nicht einmal im eigenen Land leisten könne.

Neben dieser geschlossenen Front sind es aber vor allem die finanziellen Daumenschrauben, auf die man setzt. Es wird darauf verwiesen, dass die Kapitalflucht aus Griechenland immer größere Ausmaße annimmt. Seit November 2014 seien 20 Milliarden Euro von griechischen Banken abgehoben worden. »Die Banken bluten aus, wenn sich die Links-rechts-Regierung nicht bald mit den übrigen 18 Euro-Ländern einigt«, verkündete die Frankfurter Allgemeine Zeitung rechtzeitig vor dem Treffen der Euro-Gruppe. Um Druck auf Athen auszuüben, hatte die EZB schon wenige Tage nach Amtsantritt der neuen Regierung beschlossen, nicht länger griechische Staatsanleihen als Sicherheit für die Banken des Landes zu akzeptieren. Seitdem sind sie auf Notfall-Liquiditätshilfen (Ela) der Athener Notenbank angewiesen. Diese Liquiditätshilfen dürfen aber nur innerhalb eines bestimmten Finanzrahmens vergeben werden, und über den entscheidet die EZB. Gegenwärtig beträgt er 65 Milliarden Euro. Er müsste recht bald vergrößert werden, soll den griechischen Banken nicht die Luft ausgehen. Doch mit einem Beschluss darüber lässt man sich in Frankfurt Zeit. Schon einmal hatte man mit dem Instrument der Ela ein Land auf Kurs gebracht. Den zyprischen Banken gestattete man erst dann den Zugriff auf solche Liquiditätshilfen, nachdem sich Nikosia bereit erklärt hatte, das Memorandum zu unterschreiben.

Auch was die Finanzierung des griechischen Staatshaushalts in den kommenden Monaten betrifft, ist Athen auf das Wohlwollen der EZB angewiesen. Man will sich mit der Ausgabe kurzfristiger Schuldpapiere (sogenannter T-Bills) behelfen. Aber auch hier gibt es eine Obergrenze, die derzeit bei 15 Milliarden Euro liegt und die nur von der EZB angehoben werden kann. Schon hat die deutsche Bundesbank damit gedroht, der griechischen Notenbank untersagen zu lassen, solche Schuldpapiere auszugeben, da sie hiermit »verbotene monetäre Staatsfinanzierung« betriebe.

Für die griechische Regierung hängt vom Ausgang des Ringens in der Euro-Gruppe viel, wenn nicht alles ab. In seiner Rede zur Eröffnung des Wahlkampfes hatte Alexis Tsipras die Absicht, »dem Irrsinn der Memoranden ein Ende (zu) bereiten«, zu einer der unverrückbaren Säulen von Syriza erklärt. Knickt er jetzt hier ein, so wäre dies bereits die zweite Säule, von insgesamt dreien, die er einreißt, denn über die erste, die Forderung nach einem deutlichen Schuldenschnitt, redet inzwischen niemand mehr. Zu groß sind die Widerstände im übrigen Europa, auch nur darüber zu verhandeln. So blieben nur die angekündigten Maßnahmen aus dem Programm der Partei »zur sofortigen Bewältigung der humanitären Krise« als dritte Säule übrig, etwa eine kostenfreie Stromversorgung und Lebensmittelgutscheine für mindestens dreihunderttausend Haushalte sowie eine in Stufen erfolgende Erhöhung des Mindestlohns. Dies wäre mehr als nichts, und selbst diese Maßnahmen wären nur unter Mühen durchsetzbar, doch den von Tsipras geweckten Erwartungen von »einem Ende der Unterwerfung Griechenlands« entspricht das alles nicht.

Nichts bliebe dann auch mehr übrig von der großen Beschwörung, dass ein Sieg Syrizas der Ausgang eines grundlegenden Wandels im übrigen Europa sei. »We start from Greece. We change Europe«, hieß es noch vor kurzem hoffnungsvoll in der Europäischen Linkspartei und in der Partei Die Linke. Doch bereits die Reisen von Tsipras und von Varoufakis nach Rom, Paris, London, Brüssel, Berlin und Wien hatten gezeigt, dass sie von dort keine Unterstützung zu erwarten haben. Enttäuschend war vor allem, dass auch die Sozialdemokraten ihnen durchweg die kalte Schulter zeigten. Die Stellungnahmen von Sigmar Gabriel oder François Hollande zu den griechischen Forderungen entschieden sich nicht von denen konservativer bzw. liberaler Politiker. Die Parole »ein anderes Europa ist möglich« wird daher einmal mehr Illusion bleiben.

Reaktion: Unterstützung für Syriza-Kurs

Der Schuldenstreit zwischen Griechenland und seinen Euro-Partnern dreht sich der französischen Regierung zufolge mehr um Wörter als um Grundsatzfragen. »Es ist eine Frage der Wortwahl«, sagte der französische Finanzminister Michel Sapin am Dienstag. Dabei gehe an einer Verlängerung des bestehenden Kreditprogramms für Griechenland kein Weg vorbei. Dem habe der griechische Finanzminister Gianis Varoufakis auch »im Prinzip« zugestimmt. Der stellte wiederum klar, in den bisherigen Verhandlungen über eine Lösung des Schuldenstreits habe er keine konkreten Antworten auf die Frage erhalten, welcher Handlungsspielraum der griechischen Regierung künftig zugestanden werden soll. »Ein bisschen Flexibilität reicht nicht«, betonte Varoufakis. Einen Austritt seines Landes aus der Währungsunion sieht er allerdings nicht als Alternative. »Griechenland ist ein Mitglied der Euro-Zone, und es wird Mitglied der Euro-Zone bleiben.«

Die Parteizeitung der regierenden Syriza, I Avgi, sprach in ihrer Dienstagausgabe von einem »Torpedo Schäubles«. Der Bundesfinanzminister habe die Bemühungen um eine für alle Seiten komfortable Lösung untergraben. Athens Antwort sei: »Wir lassen uns nicht erpressen«, so das Blatt.

In Griechenland stößt der Kurs der Koalitionsregierung des Linksbündnisses Syriza und der Rechtspartei »Unabhängige Griechen« offenbar auf breite Unterstützung. Wie die deutschsprachige Griechenland Zeitung auf ihrer Internetseite unter Berufung auf die linke Zeitung Efimerida ton Syntakton berichtete, begrüßen einer Erhebung des Meinungsforschungsinstituts Marc zufolge acht von zehn Griechen die Verhandlungstaktik ihrer Regierung. Mehr als die Hälfte der Befragten erklärte, dass das Kabinett unter Ministerpräsident Alexis Tsipras ihre Erwartungen vor den Wahlen übertroffen habe. Den meisten Zuspruch erhält die Regierung bei Arbeitslosen (68,8 Prozent), Freiberuflern (60 Prozent) und Geschäftsinhabern (60 Prozent). Hunderte Menschen demonstrierten am Montag abend in Athen ihre Unterstützung für das Kabinett.


** Aus: junge Welt, Mittwoch, 18. Februar 2015


Solidarität mit Syriza-Regierung

Linke-Chef präsentierte mit Vertretern von Schwesterparteien Appell für »demokratischen Aufbruch in Europa«. Absage an neoliberale Dogmen

Von Jana Frielinghaus ***


Pierre Laurent brachte es auf den Punkt: Die Politik von EU und Internationalem Währungsfonds gegenüber den Krisenländern, insbesondere gegenüber Griechenland, sei absurd. Man habe den Hellenen Kredite gegeben, nehme ihnen aber mit der aufgezwungenen Politik jede Möglichkeit, diese zurückzuzahlen, sagte der Generalsekretär der Französischen Kommunistischen Partei (PCF) und Vorsitzende der Europäischen Linken (EL) am Dienstag in Berlin.

Gemeinsam mit dem deutschen Linke-Vorsitzenden Bernd Riexinger, der Vizechefin der Vereinigten Linken (Izquierda Unida, IU) Spaniens, Maite Mola, und Theodoros Paraskevopoulos, ökonomischer Berater des griechischen Linksbündnisses Syriza, stellte Laurent einen Aufruf von Linksparteien unter dem Titel »Hoffnung für einen demokratischen Aufbruch in Europa« vor.

Darin halten sie fest, Syrizas Wahlsieg eröffne Chancen für einen »grundlegenden Richtungswechsel der Europäischen Union«. »Wir sind solidarisch mit dem Kampf des griechischen Volkes und unterstützen die neue griechische Regierung«, heißt es im Aufruf weiter. Man unterstütze deren Forderung nach fairen Verhandlungen über eine Anschlussfinanzierung ohne neue Kürzungs- und Privatisierungsvorgaben. Die Linksparteien plädieren in dem Papier zudem für eine europäische Schuldenkonferenz nach dem Muster der Londoner Konferenz von 1953, von der die alte Bundesrepublik massiv profitierte (siehe dazu jW-Thema vom Dienstag). Ziel solle nicht nur eine Beendigung der Schuldenkrise der gesamten Gemeinschaft, insbesondere aber Griechenlands, sein. Zudem wird im Appell verlangt, die Macht der Banken einzuschränken.

Ob ein Politikwechsel auch außerhalb Griechenlands gelingt, wird sich in diesem Jahr insbesondere in Spanien zeigen, wo im März die Kommunalparlamente und im November die Volksvertreter in Madrid neu gewählt werden. Aktuellen Umfragen zufolge ist gegenwärtig die erst vor einem Jahr gegründete linke Gruppierung »Podemos« mit rund 28 Prozent stärkste Partei. Für einen Politikwechsel sei die Einigung der Linken nötig, sagte Maite Mola in Berlin, dafür kämpfe ihre Partei.

Linke-Chef Riexinger zeigte sich überzeugt, dass sich mit dem Syriza-Sieg die Chancen für neue, links dominierte Regierungsbündnisse in Europa verbessern – auch wenn eine »Gruppe neoliberaler Dogmatiker« versuche, »diese Tür wieder zuzudrücken«. Denen, so Riexinger, gehe es nicht um einen Schuldenabbau, sondern um Auflagen, die die Massen weiter mit dem Kampf ums nackte Überleben beschäftigen und um das »Verramschen öffentlichen Eigentums«. Mit dieser Politik werde die griechische Wirtschaft »weiter in den Abgrund gerissen«.

Bei den laufenden Verhandlungen zwischen Griechenland und den EU-Finanzministern hat sich dennoch vorerst die Mehrheit der neoliberalen Hardliner durchgesetzt. Dabei habe EU-Währungskommissar Pierre Moscovici zuvor einen Entwurf für eine Abschlusserklärung vorgelegt, der auch für Athen akzeptabel gewesen wäre, so Riexinger. In dem Papier sei die »humanitäre Notlage« der griechischen Bevölkerung anerkannt worden, von einer Fortsetzung des alten, von der EU, EZB und IWF diktierten Programms sei keine Rede gewesen, ebensowenig von weiteren Auflagen für eine Kreditverlängerung. Dieser Entwurf sei aber von Euro-Gruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem kassiert worden, sagte der griechische Finanzminister Gianis Varoufakis einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters zufolge. Allerdings betonte Moscovici demnach am Mittwoch, zwischen EU-Kommission und Euro-Gruppe bestehe keine grundlegende Differenz: »Es gibt keinen guten Polizisten und keinen bösen Polizisten.«

Riexinger warnte unteressen, es gebe »keine Perspektive in Europa, wenn wir die Nachbarn zu Bettlern machen«. Ein Austritt Griechenlands aus dem Euro sei »die teuerste Variante für die Menschen in unseren Ländern«.

*** Aus: junge Welt, Mittwoch, 18. Februar 2015




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